Kultur: Die Luft geht ihnen noch lange nicht aus
Der Babelsberger Posaunenchor feiert sein 120-jähriges Bestehen
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Der Babelsberger Posaunenchor feiert sein 120-jähriges Bestehen Als der Babelsberger Posaunenchor seinen 100. Geburtstag feierte, geschah dies mit „Polizeieskorte“. Schließlich schrieb man das Jahr 1985 und war noch mitten im wachsamen Sozialismus. Wenn da Gäste aus Schwetzingen – dem tiefsten Kapitalismus anreisten – war Vorsicht geboten. Jedenfalls schipperten die Posaunisten aus Babelsberg samt ihrer blasenden Freunde aus Schwetzingen musizierend auf der Havel entlang und hatten die achtsame Wasserschutzpolizei immer brav im Schlepptau. Die DDR ist inzwischen untergegangen, der Posaunenchor bläst kräftig weiter. Er überlebte das Kaiserreich und auch zwei Weltkriege, in denen zahlreiche Bläser als Soldaten ihr Leben ließen. Am Sonnabend begeht er nun mit einer geistlichen Abendmusik sowie einem sonntäglichen Gottesdienst in der Friedrichskirche sein 120-jähriges Bestehen – die Schwetzinger wiederum mit im Boot. Einer, der kräftig an der Vereinsgeschichte mitblies, ist Helmut Przybilski, der schon als 16-jähriger – nach bestandener Aufnahmeprüfung – dem Chor beitrat. Das war 1953. Zunächst lernte er dort die Trompete spielen, seit 1968 ist die Posaune sein Lebensbegleiter, die sicher auch manch graues Wölkchen am Politikhimmel des einstigen Vorsitzenden der Stadtverordnetenversammlung vertrieb. „Besonders gern spiele ich die alten Bläsermusiken des Barock und der Renaissance. Aber ich liebe auch die Abwechslung.“ Und als die Schwetzinger mit ihrem Repertoire nicht nur Kirchenmusik und Lieder mit nach Potsdam brachten, sondern auch Spiritual- und Pop-Bearbeitungen, waren die Babelsberger offenen Ohres und legten auch diese Partituren auf ihre Pulte. „Unser Spektrum ist jedenfalls sehr breit und wir hätten Notenmaterial für mindestens zehn Chöre“, freut sich Helmut Przybilski, der seit über 20 Jahren die Organisation des Posaunenchores managt. Jeden Mittwoch treffen sich die Bläser und halten sich künstlerisch und auch gesundheitlich fit. Denn eines steht für Helmut Przybilski fest: „Durch das Musizieren bleibt man geistig rege und auch die Luft geht einem nicht aus.“ Vor allem aber können die Freizeitmusiker andere Menschen mit ihren Darbietungen erfreuen und das tun sie rund 40 Mal im Jahr: beim diakonischen Blasen im Altersheim ebenso wie bei Bläsermusiken im Konzert. Ihr Musizieren im Advent beim wöchentlichen Turmblasen vom Babelsberger Rathaus ist inzwischen genauso zur Tradition geworden wie das vorweihnachtliche Musizieren auf allen Stationen des Klinikums „Ernst von Bergmann“. Und auch bei Benefizveranstaltungen kann man auf die Babelsberger bauen: Sie musizierten für den Erhalt der Friedrichskirche und der Alten Neuendorfer Kirche in ihrem Kiez und auch für die Gotteshäuser in Caputh, Seeburg oder Wildenbruch. 21 Mitglieder zählen sie derzeit, und obwohl die meisten schon gesetzten Alters sind, gibt es durchaus auch Nachwuchs: „Unser Altersspektrum reicht vom Schüler bis zum Rentner und auch einige Studenten der Potsdamer Uni mischen mit. Dabei ist das Blasen eine sehr mühsame Angelegenheit, die ein intensives Üben verlangt, was nicht gerade förderlich für die Nachwuchsgewinnung ist. So zehren wir vom Bestand und vom Zuzug.“ Auch er müsse jetzt beispringen, um für den mit 78 Jahren ausgeschiedenen Tubabläser zu spielen. „Aber nur als Ersatz, meiner Posaune halte ich die Treue.“ Zu Bestzeiten hatte der Posaunenchor 47 Bläser: Das war 1950 unter der Leitung von Helmut Klebedszons. Über 30 Jahre stand er dem Ensemble vor, bis 1983 Werner Letz die Fäden in die Hand nahm. Auch die Kantorinnen Christa Bleyl und später Sonja Ehmendörfer arbeiteten mit den Posaunisten. Seit 2001 ist es nun erneut Henning Melms, der sich an vorderster Stelle um die musikalische Qualität kümmert. Der Vorläufer des Evangelischen Posaunenchors ist bereits auf das Jahr 1860 datiert: der Evangelische Männer- und Jünglingsverein Nowawes. Als er im Mai 1885 sein 25-jähriges Bestehen feierte, erhielt er als Jubiläumsgeschenk einige Instrumente, so dass durch einen Militärmusiker junge Männer als Bläser ausgebildet werden konnten. Das war die Geburtsstunde des Posaunenchores. In der Chronik ist vermerkt, dass er sich schnell entwickelte: „ zu solchem Ruf, dass er zu Kirch- und Familienfesten weit und breit begehrt wurde.“ Ein Ruf, den er bis heute verteidigt. Heidi Jäger Abendmusik: 14. Mai, 19.30 Uhr; Festgottesdienst: 15. Mai, 11 Uhr, beides in der Friedrichskirche.
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