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Vereinsmitglieder. „Die Mitbürger“ (Philipp Mauritz, Charlott Lehmann, Joachim Berger, Katja Zinsmeister) in der Reithalle des Hans Otto Theaters.

© Thomas M. Jauk/HOT

„Die Mitbürger“ am Hans Otto Theater Potsdam : Bürgertum, du feste Burg

Als Happening war die Uraufführung in der Reithalle angekündigt. Aber auch wenn es inhaltlich dem Bildungsbürgertum ans Eingemachte geht: Es bleibt Theater.

Was tun, wenn einem die Worte ausgehen? Das Ende von „Die Mitbürger“ in der Potsdamer Reithalle macht es vor. Nachdem einige Argumente ausgetauscht worden sind, nachdem angestoßen, rätselgeraten, gelacht, gesungen und ein bisschen auch diskutiert wurde, spielt das Ensemble zwei ultimative Möglichkeiten durch, die der Unmöglichkeit, sich zu verständigen, folgen können. Die eine ist auf der Bühne Farce, die andere wortwörtlich eine Handreichung. Wenn Worte nicht mehr helfen, kann man entweder das Gegenüber in Stücke hacken (Kehle durchtrennen geht auch). Oder: Man kann tanzen.

Und getanzt wurde am Ende der Premiere von Regisseurin Esther Hattenbach, wenn auch zaghaft. Was befreiend, aber auch seltsam ratlos wirkte für einen Abend, der inhaltlich so schwere Klopper im Gepäck hat. Es geht um die Verführungskraft von Verschwörungstheorien, Rassismus und genereller Wir-gegen-die-Denke. Diese Kraft wirkt bekanntlich teilweise bis in die Mitte bürgerlichster Kreise hinein.

Es geht hier darum, was das heute überhaupt sein soll: ein Bürger. Wobei im Stück gleich zu Beginn betont wird, dass es ja nur im Deutschen der etymologische Bezug zur Burg bis ins Heute geschafft hat, „dass die bürger etwas sehr spezifisch deutsches sind in der bedeutung der wehrhaftigkeit, der verteidigungsbereitschaft“. Bürgerrechte und Bürgerwehr, Bürgerstolz und Bildungsbürgertum: Es geht, theoretisch, um die im Saal. Uns.

Vereinssitz: Potsdam

Die Form, die sich das Berliner Autorenduo Annalena Küspert und Konstantin Küspert dafür ausgedacht hat, ist ziemlich schlau. „Die Mitbürger“, so nennt sich in dieser Uraufführung ein Verein, der Solidarität und Miteinander fördern will. Im Stück ist es dieser Verein, der ins Hans Otto Theater eingeladen hat, um sich vorzustellen. Diese Metaebene ist in hübscher Konsequenz durchgezogen bis ins Programmheft hinein, wo statt der üblichen Inhaltsangaben eine Vereinssatzung zu finden ist (Vereinssitz: Potsdam), sogar eine Kontonummer für Spenden gibt es (die zum Babelsberger Verein Neue Kulturwege e.V. verlinkt).

Alles auf der Bühne und davor ist dazu angelegt, in Kuschelstimmung zu verfallen. Im Saal ein Sofa, auf der Bühne eine Bar (Willkommensgetränk gratis) und auch ein paar Stühle mit Tischen in Tuchfühlung zu den Protagonisten. Sie, die „Gastgeber“, bezirzen nach Kräften. Ob das der Journalist Wolfgang (Philipp Mauritz) ist, der selbsternannte Wahrheitssucher. Oder Helmut (Joachim Berger), der Akademiker mit der ehrerbietenden Stimme, der später eine Gauland-Rede halten wird.

Oder auch Gloria (Katja Zinsmeister), die Mütterliche, deren Faible für Ernährungsfragen später ziemlich rabiat unterdrückt wird. Oder Ronja (Charlott Lehmann), eine junge Tischlerin, die rührend über den ersten Lockdown spricht („wie eine schneedecke, die kanten rund macht“) und ihre spätere Einsicht, dass Alleinsein nicht das Gleiche wie einsam sein ist. Weshalb sie den „Mitbürgern“ beigetreten sei.

Klare Rollenverteilung

Am besten kann das mit dem Sympathiepunktesammeln Lucie (Franziska Melzer). Von langen blonden Locken umflossen, umschwänzelt sie in gemütlichstem Sächsisch Publikum wie Co-Mitglieder. Dass ihre Umarmungen auch dazu da sind, Luft abzuschnüren, merkt man erst später.

Die Assoziation zu Susanne Dagen, der neu-rechten Buchhändlerin aus Dresden, stellt sich schneller ein. Lucie ist hier nicht nur für das Zwischenmenschliche („Ihr Lieben! Meine Sternschnuppen!“) zuständig, sondern auch für die Kunst. Ihre Sätze über die „abartigen Auswüchse des neoliberalen Kapitalismus“ und die „hehre Tradition“ der Kunst in „unseren Breitengeraden“ fallen so nett, dass man sie fast überhört.

Eine ganze Weile funktioniert die Verführungsidee also ganz gut. Es wird gemütlich gequizzt („Gandhi oder Hitler?“), und Klavier gespielt (Johannes Bartmes). „Die Mitbürger“ zeigt auch anschaulich: Der Grad zwischen Auffassungen, die man reflexhaft teilt (Schiller ist toll), und konfus gezogenen Rückschlüssen (daher darf es keine politische Kunst geben) ist schmal. Und doch: Vom angekündigten „Happening“ ist das Ganze ganz schön weit weg. Dafür sind die Rollen zu klar verteilt, und auch zu klar als Theater erkennbar. Fast alle Figuren sind kräftig überzeichnet, nahe an der Karikatur.

Was wiederum dazu führt, dass das, was die auf der Bühne dem Publikum zu vorgerückter Stunde an verschwurbeltem Blödsinn zumuten, kaum zu direkten Reaktionen im Saal führt. Wer will schon mit einer Theaterfigur diskutieren? „Mumpitz!“, ruft immerhin ein Mann im Publikum, als Wahrheitssucher Wolfgang behauptet, bei dem „Sturm auf den Reichstag“ im Sommer 2020 seien 100.000 Menschen beteiligt gewesen.

Um die Happening-Idee aber so richtig zünden zu lassen, hätte man Figuren entwickeln müssen, denen man bis zum Schluss in ihrer Denkweise folgen muss. Man hätte wohl das Wagnis eingehen müssen, sich nicht gegen sie zu entscheiden.

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