
© Manfred Thomas
Von Heidi Jäger: Die Monster bändigen
Zwischen Angst und Wagemut: Andreas Dresen wurde beim Filmkunstfest in Schwerin gefeiert
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„Tür auf. Chaos rein.“ Eine mutig klingende Ansage von einem Mann, der sich selbst als Kleinbürger, ja sogar als Spießer bezeichnet. Doch gerade durch die Selbstüberlistung schlägt der ordnungsliebende, detailversessene Andreas Dresen offensichtlich den richtigen, inzwischen mehrfach preisgekrönten Haken. Zu brav, zu überraschungsarm befand er seine ersten Filme und drehte wagemutig ohne Drehbuch „Halbe Treppe“, gerade weil er keine Halbheiten mag. Er lehnte sich weit übers Geländer und schwebte im freien Fall wie von unsichtbaren Fäden gehalten zu neuen Horizonten. Die Fäden waren indes selbst geknüpft, durch den Blick in die eigenen Abgründe. Indem er seine eigene Seele entblößte, „entblätterten“ sich auch seine Schauspieler, wurde die ganze Filmcrew mitgerissen. Denn bei dem Potsdamer Regisseur Andreas Dresen funktioniert alles auf Augenhöhe.
Und so ist auch dieser große „Andreas Dresen Abend“ beim 19. Filmkunstfest in seiner Heimatstadt Schwerin ein kumpelhafter Schulterschluss. Knut Elstermann, der wie viele andere Filmemacher aus Potsdam angereist ist, moderiert diesen „Halli Galli“-Abend. Der soll nach der festlichen Verleihung des Film- und Medienpreises Schwerin an Andreas Dresen tags zuvor, nun in launiger Ausgelassenheit über die Bühne rocken. Und zwar mit der „Andreas Dresen Oldstar Band“, wie Kino-Knut kurzerhand die Besetzung mit Cutter Jörg Hauschild, Filmmusiker Jens Quandt sowie den „Sängern“ und Gitarristen Andreas Dresen und Axel Prahl tauft.
Doch noch steht Lola-Preisträger Dresen wie ein Schüler vor der Abiprüfung aufgeregt am Bühnenrand und würde am liebsten in seinem Kapuzenshirt verschwinden. Noch einmal stimmt er die Saiten seiner Klampfe, denn als „Gegenleistung“ für den Preis soll er nun vor seinen Schwerinern singen. Lieder von Gundermann, so wie bereits vor einem Jahr: zum zehnten Todestag des Bagger fahrenden Songpoeten. „Die Schauspielerin Petra Kelling fragte mich, ob ich bei einem Gedenkkonzert mitmachen würde. Doch dann fand das Ganze in der Columbia-Halle Berlin vor 3000 Leuten statt. Damals schwor ich mir: ,Nie wieder’.“
Doch nun läuft er in Windeseile vom Filmgespräch mit Schülern zu seinem Wendefilm „Stilles Land“ ins Hotelzimmer, um mit Axel Prahl erneut nach den richtigen Tönen zu suchen. Ganz nebenbei muss er noch ein Manuskript des Berliner Autors David Lode lesen, der über alle Dresen- Filme, einschließlich der studentischen an der HFF, geschrieben hat. Da diese feuilletonistische „Filmografie“ pünktlich zum Kinostart von „Whisky mit Wodka“ Anfang September erscheinen soll, ist Eile geboten.
Zeit zum Soundcheck im „Capitol“muss dennoch bleiben. Doch selbst Ulk-Nudel Axel Prahl hat es schwer, die bleierne Last von Dresen zu nehmen. Ja, er ist eben nicht der Mann auf der Bühne, obwohl er zugibt, dass er gern Musiker geworden wäre. „Musik entsteht so im Moment, beim Drehen gucke ich nur zu.“
Und wenn er das Lied über die kleine Linda anstimmt, das Gundermann geschrieben hat, als er Mitte 30 noch mal Vater wurde, ist das wie der Gesang von Prahl: klar und doch sanft wie Badeschaum und mit einem Prickeln auf der Haut. Vielleicht spiegelt sich ein bisschen der eigene Traum vom Vaterwerden in dem Lied. Denn Filmemachen ist für den 45-jährigen Dresen nicht alles, bekennt er in dem Dokumentarfilm „Mein Leben“ von Cordula Kablitz. Da unterscheidet er sich sehr von seinem neuen Filmhelden Otto in „Whisky mit Wodka“, der in Schwerin erstmals im Ausschnitt zu sehen ist und im Vergleich zu „Wolke 9“ in geradezu barocker Üppigkeit über die Leinwand läuft.
Der Stoff geht auf eine wahre Geschichte zurück und ist eine Hommage an Frank Beyer. Es ist ein Film über einen Mann, der vielleicht auf die falschen Werte setzt und darüber einsam geworden ist. Wir sehen Otto, der immer weiter auf der Karriereleiter klettert und sich gleichzeitig in den Abgrund säuft. Um ihn zu erziehen, wird ihm vom Regisseur ein zweiter Hauptdarsteller gegenüber gestellt. „Das hat Kurt Maetzig bei ,Schlösser und Katen’ tatsächlich gemacht, um den trinkenden Hauptdarsteller zu disziplinieren. Frank Beyer war damals als Regieassistent dabei und fragte später Wolfgang Kohlhaase, ob das nicht eine Filmidee wäre. Doch Frank Beyer fand keine Finanzierung. Es ist bitter, dass Leute solchen Kalibers nach der Wende viel zu schnell vergessen wurden.“
Nun erzählt Dresen diese Geschichte und holte sich Henry Hübchen an die Seite. Und der lobte in dem Dokfilm über die Arbeitweise Dresens vollmundig seinen Spielleiter: „Dresen weiß genau, was er will.“ Doch der gesteht wiederum seine Unsicherheit, die bei jedem Dreh tendenziell schlimmer werde. Der Druck des Geldes, der Druck des Ruhms? Oder auch die Furcht vor dem gestrengen Auge der eigenen Künstlerfamilie?
Schließlich begann Andreas Dresen seine „Karriere“ mit einem gehörigen Flop. „Ich war vielleicht 12, als ich mein erstes Stück spielte: auf einer Bühne so groß wie ein A4-Blatt und mit Papierpuppen an Strippen.“ Doch sein auswendig gelernter Faust fand keine Gnade vor Vater Adolf Dresen und Ziehvater Christoph Schroth, zwei Regie-Legenden. Am Ende saß der Junge heulend in der Badewanne. Doch offensichtlich ist er zum Kämpfer geboren, denn er versuchte es Jahre später mit einem Remake: Und wurde dem Familienanspruch gerecht.
Als er 2002 wie einst sein gestrenger Vater an dessen Wirkungsstätte am Deutschen Theater Berlin inszenierte, fühlte er sich schmerzlich mit dem Verstorbenen konfrontiert. Der Sohn inszenierte Horvaths „Kasimir und Karoline“. „Ein Stück ohne einen leisen Funken von Versöhnlichkeit. Manchmal wünsche ich mir auch für meine Filme einen rauheren Zug, denn die Welt besteht nicht aus Nettigkeit.“
Dabei ist gerade er von ständiger Sympathie umgeben. „Das genieße ich durchaus. Wer wünscht sich nicht, geliebt und gemocht zu werden?“ Aber der Hauptteil seines Lebens bestehe wie bei jedem anderen aus Alltäglichkeiten, wie einkaufen oder Wäsche waschen. Und natürlich dem Beruf. „Schön, dass ich diese Arbeit mit Freunden machen kann und nicht mit ,Arschlöchern’.“ Wenn er mit einem Neuen arbeitet, erkundige er sich im Vorfeld durchaus, wie der so sei. „Ensemble heißt aber für mich nicht nur miteinander kuscheln, sondern sich auch reiben und beißen.“
Doch bislang hat sich die Dresen-Familie dabei offensichtlich nicht verbissen. Frei von der Leber weg erzählen einige seiner Mitstreiter auf der Schweriner Bühne von dem gemeinsamen Weg. „Seit zehn Jahren höre ich von Kollegen: ,Du kennst doch den Dresen, mit dem will ich auch mal arbeiten’“, sagt Thorsten Merten, gespielt genervt. Und der Holsteiner Axel Prahl entgegnet ihm scherzend: „Du bist nur Dresen-Schauspieler. Ich bin durch ihn Ossi geworden.“ Doch das größte Kompliment an diesem Abend macht wohl Horst Rehberg, der in „Wolke 9“ Sex im Alter spielt: „ Dieser Film war eine der schönsten Aufgaben in meinen 50 Arbeitsjahren. Toll, wenn einem als ollen ,Provinzknochen’ so was noch mal passiert.“
Glück und Erfolg sind flüchtig, weiß Dresen – der Zweifler. Doch vielleicht macht ihm das Lola-Preisgeld zu „Wolke 9“ wieder so „hemmungslos“ wie bei „Halbe Treppe“. Damals haben sie ihr Preisgeld von „Nachtgestalten“ auf den Kopf gehauen, „wir haben gemacht, was man sich sonst nicht traut.“ Vielleicht lässt er also bald wieder seinen Ordnungssinn zu Hause und fährt hinaus ins Abenteuer Film. Ein Thema brennt ihm bereits unter der Haut: das Leben von Gundermann, „ein typisches DDR-Gewächs“. Laila Stiehler, Dresens Drehbuchautorin bereits aus Studententagen, ist schon am Recherchieren: über einen Mann, der immer die DDR verbessern wollte und in den 70ern auch mit der Stasi zusammengearbeitet hat. „Doch die haben ihn rausgeschmissen und schließlich wurde er ihr Opfer. Ein sehr erzählenswerter Mensch und eine tolle Musik.“ Also Türen auf und Chaos rein, in der Hoffnung, die Monster zu bändigen.
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