Kultur: Die Oberen auf den Plan gerufen
Prominente Zeitzeugen erinnern sich im Einstein-Forum an Stephan Heym
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Stephan Heym habe in der DDR einen Bonus gehabt, meinte Fritz Pleitgen, früherer Ostberlin-Korrespondent. „Ich glaube, er konnte sich in dem Staat, der sich sozialistisch nannte, mehr erlauben als andere seiner kritischen Kollegen. Außer ihm vielleicht noch Christa Wolf oder Stephan Hermlin. Diesen Freiraum hat er geschickt genutzt.“
Fritz Pleitgen moderierte die überaus gut besuchte Erinnerungsveranstaltung im wenig Platz bietenden Einstein-Forum für den Schriftsteller Stefan Heym, dessen Geburtstag sich am 10. April zum 100. Mal jährte. Neben der Witwe Inge Heym stellte sich viel Prominenz ein, die Heym persönlich kannte: der SPD-Politiker Egon Bahr, Schriftsteller Christoph Hein und Literaturwissenschaftler Dietger Pforte. Obwohl der Abend lang war, wurde er in keinem Augenblick langatmig, weil jeder dieser Redner bildhaft über seine Begegnungen mit Heym sprach. Ein Stück Zeitgeschichte wurde lebendig.
Der in einem bürgerlich-jüdischen Elternhaus in Chemnitz Aufgewachsene, der vor den Nazis fliehen musste, im amerikanischen Exil als ein in Englisch schreibender Journalist und Schriftsteller sein tägliches Brot verdiente, der nach dem Zweiten Weltkrieg in ein zerstörtes Land zurückkehrte und 1953 schließlich die DDR als seinen Lebensort wählte, konnte von ständigen Konflikten mit den Mächtigen dieses Landes ein Lied singen. „Doch er wusste, wie er sich gegen sie behaupten konnte. Und dies machte ihn auch manchmal Spaß“, betonte Christoph Hein, der in diesem Jahr mit dem Internationalen Stephan-Heym-Preis ausgezeichnet wurde. Er habe in den Auseinandersetzungen mit den SED-Funktionären eine Partisanenmentalität entwickelt, der sie nicht Herr werden konnten, warf Pleitgen ein. Vor seinem Haus versammelte sich die Stasi, um ihn im Auge zu behalten. Doch ließ er sich davon in seinem Denken, Reden und Schreiben nicht beeinträchtigen.
Auch nach der Wende blieb Stephan Heym mutig und unbequem. An die Zeit des deutschen Einheitsprozesses erinnerte Egon Bahr. Der renommierte Schriftsteller, der 1994 als Parteiloser für die PDS in den Bundestag gewählt wurde, habe in dieser Zeit eine weithin beachtete Rolle gespielt. Als Alterspräsident hielt Heym die Eröffnungsrede. Die CDU/CSU-Fraktion versagte ihm demonstrativ den Applaus. „Er musste an diesem Tag in hasserfüllte Augen von Abgeordneten blicken. Kurz zuvor wurde Stefan Heym IM-Tätigkeit vorgeworfen. Einige Tage später wurde jedoch mitgeteilt, dass diese Annahme ein Irrtum gewesen sei.“ Fritz Pleitgen: „Dies war eine der schändlichsten Stunden in der Geschichte des Deutschen Bundestages.“ Und Christoph Hein sagte, dass dieser Hass von Parlamentariern Heym sehr irritiert habe. „Dass dies in einer Demokratie passierte, ist unglaublich.“ Ein Jahr später gab Stephan Heym sein Mandat wieder zurück, aus Protest gegen eine Diätenerhöhung.
Egon Bahr plädierte dafür, dass man wieder mehr Bücher von Heym lesen sollte, denn er sei leider ein unterschätzter und verkannter Schriftsteller unseres Landes. Beispielsweise den „König David Bericht“, „Fünf Tage im Juni“ oder die Erinnerungen „Nachruf“. Für viele Westdeutsche war der Autor in den Siebziger- und Achtzigerjahren eher ein Dissident denn Schriftsteller, meinte Dietger Pforte. „Somit hatte auch die Literaturkritik wenig Interesse an ihm.“ Aber er habe mit seinen Texten immer eine hohe politische Wirkung erzielt.
Das Kleine Welttheater Chemnitz mit Sabine Kühnrich und Ludwig Streng bereicherte den Abend mit Ausschnitten aus ihrem Heym-Programm „Was es ist zu sein berühmt“. Die Lyrik, die von Streng vertont wurde, schrieb Heym als Schüler Helmut Flieg in Chemnitz. Mit ihren zeitkritischen Aussagen stieß sie bei den Oberen auf wenig Gegenliebe. Vor allem das antimilitaristische Gedicht „Exportgeschäft“ rief 1931 die Nationalsozialisten auf den Plan. Er wurde daraufhin vom Gymnasium verwiesen. Klaus Büstrin
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