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Kultur: „Die Porträtierten beziehen Stellung“

Das Potsdam Museum zeigt Arbeiten von Sibylle Wagner. Ihrer Ausstellung „Jenseits von Effi Briest“ gelingt eine neue Strategie des Abbildens von Frauen

Stand:

Frau Götzmann, die neue Ausstellung „Jenseits von Effi Briest“ beschäftigt sich monothematisch mit Frauenporträts. Ist dazu aus kuratorischer Sicht nicht schon alles gesagt?

Nein – wie man an unserer aktuellen Ausstellung sieht! Ich fand das Thema sehr spannend, weil das Porträt auch bei uns in der Sammlung ab 1945 eine große Rolle spielt. Aus der Alten Kunst kommend habe ich mich schon sehr lange mit dem Genre des Porträts beschäftigt und festgestellt, dass es immer verschiedene Ebenen gibt: die des Dargestellten, die des Künstlers und letztendlich die des Betrachters. Und ich habe mich gefragt, ob man es eigentlich in der zeitgenössischen Kunst schafft, dem Porträt noch etwas Neues abzuringen. Eigentlich ist ja schon alles da gewesen. Gerhard Richter etwa lässt seine zeitgenössischen Porträts immer weiter verschwimmen, Arnulf Rainer überarbeitet und übermalt sie, Werner Tübke verwandte hingegen das Stellvertreterporträt.

Sie haben nun die Künstlerin Sibylle Wagner ins Potsdam Museum geholt. Wie geht sie mit diesem Problem um?

Ihr gelingt eine erstaunliche Neuerung in zweifacher Hinsicht: In einem direkten Blickkontakt zur Porträtierten macht sie eine Aufnahme, die nicht länger als 20 Sekunden dauert, um Spontanität und Authentizität einzufangen. Das entstandene Basis-Motiv überarbeitet sie, aber nicht mit Pinsel oder Farbe, sondern mit dem Material Plexiglas. Sie schafft ein fotografisches Porträt, das eine malerische Verbindung eingeht. Durch eine spezielle, von ihr entwickelte Technik potenziert sie das Licht und die Farbe im Porträt und verhilft ihm zu einer Intensivierung der Ausdruckskraft. Beeindruckend ist, dass die Lichtwirkung der Porträts nicht von außen kommt.

Sie bringt die Frauen also zum Strahlen.

Ja. Für die Gattung des Porträts und das Medium der künstlerischen Fotografie lassen sich außerdem enge Bezüge zu unserem Sammlungsbestand finden. Reizvoll an diesem Projekt ist, eine zeitgenössische Ausstellung zu entwickeln, die in Potsdam und Brandenburg verankert ist, aber auch über diesen Radius hinausgeht. Unter den hier von Sibylle Wagner Dargestellten gibt es Potsdamerinnen, Brandenburgerinnen, Berlinerinnen, der Kreis zieht sich jedoch auch weit über Deutschland hinaus.

Wie hat Sibylle Wagner die Porträtierten ausgewählt?

Die Ausstellung lässt sich als eine Art biografischer Zirkel bezeichnen. Die besondere Wertschätzung der Person und ihres Amtes ist eine Bedingung für die Auswahl. Sibylle Wagner begann 2005 mit der Porträtserie, in den vergangenen zehn Jahren sind so mehr als 60 Frauenporträts entstanden, unter ihnen sind beispielsweise Jutta Limbach, die vormalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts oder Elisabeth Wagner, die die interdisziplinären Mosse-Lectures an der Humboldt-Universität Berlin leitet. 47 davon werden jetzt bei uns in der Ausstellung zu sehen sein. Das ist eine absolute Premiere, der ganze Bestand ist noch nie als Serie gezeigt worden.

Aber wo ist die Verbindung zu Effi Briest, die ja im Titel der Ausstellung genannt wird?

Sibylle Wagner hat sich während ihrer künstlerischen Beschäftigung mit den Frauenporträts ein Atelier in Rheinsberg angemietet. Das bot ihr im Jahr 2011 die Möglichkeit, sich mit Theodor Fontanes Roman „Effi Briest“ auseinanderzusetzen. Schon früher hat sie dieses Thema einer Frauenfigur beschäftigt, die mit ihrer Widersprüchlichkeit am Beginn des 20. Jahrhunderts steht.

Und wie hat sie den Transfer in die Gegenwart geschafft?

Sie hat etwa eine Schaukel-Installation entworfen und damit ein Motiv aufgegriffen, das für Freiheitsdrang und Selbstbestimmtheit steht – und das übrigens auch in einer Illustration einer frühen, äußerst wertvollen Fontane-Ausgabe in der Ausstellung zu sehen sein wird. Außerdem werden Zitate aus dem Roman die Porträts als eine Art Schrift-Landschaft begleiten.

Die Ausstellung geht über die Porträts hinaus?

Ja, des Weiteren ist eine eigens für die Ausstellung komponierte Klang-Installation zu hören, die Sibylle Wagner mit Sabine Schäfer unter dem Titel „Beyond E.“ konzipiert hat. Eingesprochen wurde sie von der Hamburger Schauspielerin Irene Kugler, die auch selbst als Porträtierte in der Ausstellung zu sehen ist. Und: Es wird auch eine Veranstaltung mit dem Theodor-Fontane-Archiv Potsdam geben, diese erste Zusammenarbeit unserer beiden Häuser freut mich wirklich sehr. Von dort gelangt auch die erwähnte Leihgabe der Effi-Briest-Ausgabe mit Lithografien von Max Liebermann in unsere Ausstellung.

Gab es bei der Auswahl dieser Textstellen auch ein leitendes Motiv?

Ja, die Künstlerin hat sich auf Stellen konzentriert, die für den Kontakt zwischen Tochter und Eltern aufschlussreich sind. Die Idee dazu erhielt sie durch die Beschäftigung mit der Biografie ihrer eigenen Mutter.

Diese Form von Beziehung spielt ja in „Effi Briest“ eine wichtige, wenn auch nicht die Rolle, an die man bei dem Roman zuerst denkt.

Stimmt, für Sibylle Wagner waren jedoch die eigene Biografie und die Auseinandersetzung mit den Tagebüchern ihrer Mutter ausschlaggebend – zwei dieser Tagebücher werden auch in der Ausstellung zu sehen sein. In diesem Zusammenhang hat sie sich für die Briefe interessiert, die Effi mit ihren Eltern austauscht.

Ist diese Verbindung zu den Eltern auch bei den porträtierten Frauen ein Thema?

Nicht unbedingt, es handelt sich ja, wie der Titel vermuten lässt, um einen Kontrapunkt, der in der Ausstellung gesetzt wird. Dennoch sind Emotionen und Bindungen generell ein Thema. Das erste Porträt dieser Serie schuf Sibylle Wagner 2005 von ihrer Freundin Felicitas Klein und deren neugeborenem Kind. Hiermit entstanden die Idee und die Bildkonzeption zu einer Porträtserie über Menschen, die ihr Leben beeinflusst haben und die sie besonders wertschätzt.

Eine Wertschätzung, die Frauen wie Effi Briest nie erfahren haben?

Ja, aber nicht ausschließlich! Sibylle Wagner war es wichtig, komplett unterschiedliche Frauen vorzustellen. Es sind Anwältinnen unter den Dargestellten, eine Pferdeflüsterin ist auch in der Ausstellung, Künstlerinnen, aber auch Kuratorinnen sind vertreten. Effi Briest steht ja für die moderne Frau am Beginn des 20. Jahrhunderts, die aber natürlich scheitert, die den Konventionen ihrer Zeit nicht entfliehen kann – anders als die Frauen, die aktuell gezeigt werden.

Wie wird ihr Jenseits von Effi Briest denn künstlerisch umgesetzt?

Die Porträtierten – und das ist auch etwas ganz Neues im Zusammenhang mit der Präsentation von Porträts – äußern sich in der Ausstellung selbst. Wir haben Kommentare aufgenommen, die über die Lebenssituation Aufschluss geben.

Inwiefern?

Sibylle Wagner hat sich den jeweils ersten Satz notiert, den die Frauen bei der Sichtung ihrer Porträts äußerten. Diese Sätze sind zusammen mit einer späteren Reflektion der Frauen an die Wand gebracht. Eine Art Stellungnahme zum Bild.

Das Objekt bekommt also erstmals eine eigene Stimme?

Ja, sie bekommen jetzt einen aktiven Part, der über den Moment des Auslösens hinausgeht und zeigt, dass jede Aufnahme das Einfrieren eines Moments darstellt. Diese Momente sind in der Ausstellung über die Porträts und die berührenden Kommentare wieder abrufbar.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

Jutta Götzmann, 1965 in Ascheberg in Nordrhein-Westfalen geboren, studierte Kunstgeschichte an der Universität Münster. Seit 2008 leitet sie als Direktorin das Potsdam Museum.

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