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Von Lena Schneider: Die Puppe in uns

Beim „Herbstleuchten“ in der fabrik ging es um Artifizielles im menschlichen Antlitz

Stand:

Tapp-tapp-tapp. Schritte auf dem Bühnenboden, die in die Stille knallen wie kleine Peitschenhiebe oder zufällige, in den Boden gehauene Morsezeichen. Das Geräusch ist ein Hauptmotiv in Colette Sadlers „The Making of Doubt“, das am Freitag im Rahmen des Herbstleuchten-Festivals in der fabrik gezeigt wurde. Je nach dem, ob die Füße bestrumpft, beschuht oder bloß sind, variiert die Lautstärke – aber der hämmernde, regelmäßige Rhythmus von Schritten, die sich zielstrebig von A nach B bewegen, bestimmt das Stück. Hier wird nicht gerannt und nur selten gesprungen; nicht piourettiert oder getrippelt, sondern festen Schrittes gelaufen. Tapp-tapp-tapp.

Am Anfang etwa sitzen sechs Figuren auf der Bühne, die Rücken zum Publikum. Alle in dunklen Kapuzenpullis, grauen Hosen und Turnschuhen. Dann lösen sich vier aus der Starre und schleppen, zerren, werfen die übrigen zwei – bald als Puppen enttarnt – durch den Raum. Immer scheinen die vier Tänzer (Eva Baumann, Maxwell McCarthy, Sergiu Matis und Jara Serrano Gonzales) einer inneren Zielstrebigkeit zu folgen. Doch die Sicherheit trügt: Die Bewegungsabläufe zielen ins Leere. Sie erzählen keine Geschichte, haben keine Pointe. Die Tänzer schreiten festen Schrittes von einer Zufälligkeit in die nächste. Nicht nur die beiden Puppen auf der Bühne werden durch die Tänzer herumgewirbelt, durch ihre Kommandos wirbeln die Tänzer auch einander umher. Konsequent also, dass sie zwischendrin immer wieder wie Marionetten zu Boden fallen oder in puppenhafter Starre verharren. Die Puppen wirken echt, die Tänzer werden zu Puppenkörpern.

Was sich im ersten Teil von „The Making of Doubt“ bereits andeutet, wird im zweiten Gewissheit: Ein bisschen Puppe ist hier jeder. Da sprießen plötzlich Extra-Gliedmaßen aus den Tänzerkörpern hervor, echte Körper und Prothesen vermischen sich. Welches der drei Beine ist das künstliche? Hier entstehen die Zweifel, die Sadler in ihrem Titel ankündigt: Woran lässt sich Menschliches – Menschlichkeit – festmachen? An der Körperhülle jedenfalls nicht, so viel ist am Ende sicher.

Wo ein menschlicher Körper dargestellt ist, muss noch lange keiner drin sein. Darum geht es der schottischen Künstlerin, die zwischen ihrem Glasgow und Berlin pendelt: das „Versprechen“ von wahrheitsgetreuer Repräsentation will sie brechen. Die Idee zu dem Stück kam ihr, als sie mal ein Foto von sich selbst sah. Da wurde ihr klar, dass diese Person auf dem Bild ebenso gut eine Puppe sein könnte. Von außen gesehen unterscheidet Mensch und Prothese nicht viel.

Um Artifizielles im menschlichen Antlitz – oder Menschliches in der Verkleidung des Artifiziellen – geht es auch William Wheeler und Stefan Pente. Wie Colette Sadler waren sie 2007 Artists in Residence in der fabrik. Ausschnitte ihres Films „One Hand on Open“ stellten sie bereits letztes Jahr vor, in diesem Jahr wurde er im Rahmenprogramm der Berlinale gezeigt. Der Film ist eine exzentrische Mischung aus expressionistischem Stummfilm und greller Popart, aus psychodelischem Animationsfilm und thrilleraffinem Blue-Box-Drag-Kino. Er erzählt die Geschichte von Tracey (William Wheeler), die in einem Institut für Gewaltforschung versucht, ihr Gedächtnis wiederzufinden. Neben grellen Outfits und puppenhaft geschminkten Drag-Queens auf hohen Hacken, präsentiert „One Hand on Open“ einen Beitrag zur Diskussion um homophobe Gewalt: Chandrakali (ebenfalls William Wheeler), die Leiterin oben genannten Instituts, will präventiv potentiell gefährdete schwule und bisexuelle Männer mit Waffen versorgen.

Wo Sadler die Authentizität von Körpern und Körperteilen in Frage stellt, spielen Wheeler und Pente in ihrem Film mit der Zufälligkeit von sexueller Identität. Dritter im Bunde der belebenden Verwirrspiele von ehemaligen Artists in Residence war Marten Spangberg. Der sollte zwar erst am Samstag seine Arbeit präsentieren, zeigte aber schon am Freitag quirlige Präsenz.

Zusammen mit einer Gruppe von Choreographiestudenten aus Stockholm bedruckte und verteilte er in der Pause T-Shirts mit der Aufschrift „I am a choreographer“ und erzählte nebenbei von seiner Auffassung vom Tanz: Dass nämlich genau besehen eigentlich alles Choreographie sei, wenn man es nur als solche denke. Eine luftige These.

Abende wie dieser aber, und das bleibt das Schöne an fabrik-Besuchen, machen immer wieder Lust, sich auf steile Thesen einzulassen.

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