Kultur: Die Quotenidiotie – „eine Schlinge, in der man zappelt“
Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase ist morgen im Filmmuseum Potsdam zu Gast: Dort startet die erste Filmnacht „Filmstadt Babelsberg“
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Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase ist morgen im Filmmuseum Potsdam zu Gast: Dort startet die erste Filmnacht „Filmstadt Babelsberg“ Das Potsdamer Filmmuseum startet am Donnerstag zur ersten von sechs geplanten Filmnächten, die bis Dezember die verschiedenen Gesichter der Filmstadt Babelsberg näher beleuchten. Zum Auftakt gibt es ein Gespräch mit Regisseur Volker Schlöndorff und Autor Wolfgang Kohlhaase, die 1999 den Film „Die Stille nach dem Schuss“ gemeinsam produzierten. Mit dem bekannten Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, geboren 1931 in Berlin, kamen wir ins Gespräch. Was bedeutete für Sie die DEFA? Sie war die einzige Möglichkeit, Filme zu machen. Aber das ist nicht einschränkend gemeint. Der größte Teil meines Lebens ist mit der DEFA verbunden. Regisseur Egon Günther sagte einmal, er hätte sich eine politische Entscheidung gewünscht, die DEFA nicht gleich in den puren Kapitalismus zu entlassen. Teilen Sie diese Auffassung? Natürlich habe auch ich die Abwicklung beklagt, denn es gab ein großes Kapital an gelernten Leuten, an gesammelten Fähigkeiten. Aber ich könnte nicht sagen, wie man dies auf plausible Art hätte bewahren können. Die DEFA war ein Budget-Betrieb, der finanziert wurde wie eine Oper. Der Markt, das ist eine andere Art der Filmproduktion. Es wäre ein Wunschtraum gewesen, weiterhin gesicherte Studio-Produktionen zu machen, nur unter Auslassung der Zensur. Man hat schnell gemerkt, dass auch die Marktwirtschaft Aspekte von Zensur hat. Welche Auswirkungen hatte die Wende auf Ihre Arbeit? Es trifft einem in jedem Alter anders. Ich kannte viele Leute und hatte nicht das Problem, Arbeitsangebote zu kriegen. Wie spürten Sie die Grenzen der DEFA? Die härteste Beschränkung war jenes 11. Plenum 1965, als fast eine Jahresproduktion zurückgezogen wurde. Das hat bleibenden Schaden angerichtet. Den größeren Verlust erlitt die Politik, wenn sie sich dem irreführenden Glauben hingab, dass die Wirklichkeit einfach abbestellt werden kann. Nach einem Jahr der Betäubung wurden ja wieder Filme gemacht. Aber ein Gefühl der Gemeinsamkeit zwischen Film und Politik, was die verbündete Beteiligung an offenen Fragen der Gesellschaft betraf, ging verloren. Die Welt schien nun arbeitsteilig zu sein: die einen machen Filme, die anderen verbieten sie. Natürlich konnte man Meinungsverschiedenheiten in der Gesellschaft für normal halten, aber nicht, wenn die damals geübte Besserwisserei herrschte. Es gab in der Politik Leute mit sehr engen Vorstellungen, aber auch andere, die sich durchaus wünschten, dass über Probleme geredet wird: auch im Kino. Nach dem Plenum wurde ja auch die gesamte Direktion der DEFA ausgewechselt. Andererseits gab es Kollegen, die mit dem Korsett enger Wünsche durchaus zufrieden waren. Die DEFA hinterließ immerhin rund 600 Filme. Tritt man heute, 20 oder 30 Jahre später, einen Schritt zurück, bleibt eine begrenzte Anzahl von Filmen, die den Tag überlebt haben. Ich denke, proportional gesehen, etwa so viel wie im Westen. Wir haben unter kontrollierenden Blicken gearbeitet, aber das hat auch die Sinne geschärft. Man rieb sich an der Gesellschaft, aber Reibung war auch Haftung. Welche Resonanz hatten Ihre Filme bei den Zuschauern? Natürlich will man immer das Lebensgefühl des Publikums treffen. Das gelingt aber nur ab und zu. Vielleicht war es so bei „Berlin – Ecke Schönhauser“ (Regie Gerhard Klein), oder später bei „Ich war neunzehn“ und noch später bei „Solo Sunny“ (beide in der Regie Konrad Wolfs). Der Film braucht das Publikum eines gegebenen Augenblicks. Ein Film, der den Nerv der Zuschauer nicht trifft, geht auf eine große Außenbahn. Fanden Sie nach der Wende sofort wieder Ihre Themen? Ich kann eigentlich nur meine Geschichten erzählen, denn ich bin ja kein anderer Mensch geworden. Wenn ich es eng sehe, lebe ich in Berlin. Da weiß ich ein bisschen Bescheid. Davon versuchte ich früher zu erzählen und heute auch. In „Die Stille nach dem Schuss“ wird über eine RAF-Terroristin erzählt, die in der DDR untertauchte, um dort im real existierenden Sozialismus ein unauffälliges Leben zu beginnen. Wer hatte den Einfall zu diesem Film? Erst war es meine Idee, dann auch die von Volker Schlöndorff. Ich wusste wenig über die RAF, aber in den hochmotivierten, verfehlten und gewalttätigen Biografien schien mir ein Stück deutscher Geschichte zu stecken. Ich wollte nach der Wende keinen Wiedervereinigungsfilm auf Kaffeetafel-Ebene machen, wo sich Tante Frieda und Onkel Otto endlich treffen. Ich dachte, „Die Stille nach dem Schuss“ könnte eine Geschichte sein, die zum Thema gehört, auf ihre eigene Weise. Volker Schlöndorff stand dem Thema sicher näher... Er kannte die 68er Zeit, er hatte ja auch schon Heinrich Bölls Buch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ verfilmt. Dann schien ihm aber, dass dieses Projekt über die hier verborgenen Leute durchaus von gemeinsamem Interesse sein könnte. Und es war vielleicht sinnvoll, dass einer von „hier“ und einer von „dort“ darüber nachdachten. Es war eine vergleichsweise langwierige Arbeit, aber das lag am Stoff. Gab es bei der Arbeit zwischen Ihnen auch Ost- West-Konflikte? Schlöndorff hatte eine andere berufliche Sozialisierung. Ich bin kaum aus der DDR hinausgekommen, er hat in Frankreich gearbeitet und in den USA. In unseren Vorstellungen, was wir im Kino machen wollen, lagen wir aber nicht so weit auseinander. Wir haben in der DDR ja doch immer versucht, Film und Realität in Beziehung zu bringen. Und das gab es auch in der Bundesrepublik, wenn man an Namen wie Fassbinder oder Herzog oder Trotta oder eben auch Schlöndorff denkt. Woran arbeiteten Sie in der letzten Jahren? Ich habe mit Frank Beyer, der schon „Der Aufenthalt“ und „Der Bruch“ gedreht hat, eine Fernsehadaption auf den „Hauptmann von Köpenick“ gemacht. Danach schrieb ich ein Drehbuch für den Regisseur Philipp Stölzel nach einer englischen Vorlage. Der Film hieß „Baby“. Er spielte in einem skurrilen Milieu, wurde mit wenigen Kopien gestartet und fand im Kino also eigentlich nicht statt. Es war Stölzels erster Film, aber die Szene hat ihn, glaube ich, bemerkt. Davor gab es noch einen Dokumentarfilm „Mein Leben ist so sündhaft lang“ über Victor Klemperer, gemeinsam mit Ullrich Kasten. Was steht als nächstes an? Nächste Woche, ich erzähle es gerne, beginnt Andreas Dresen die Dreharbeiten zu „Sommer vorm Balkon“. Das ist eine Berliner Geschichte, zwei Frauen und ein Mann, Liebe, die erst zu glücken scheint, und dann doch nicht. Der Film soll leicht und komisch sein, wie wir hoffen, und auch eine kleine Bedeutung haben. Gab es für Sie auch längere Zwangspausen beim Schreiben? Man wird immer mal gefragt, ob man sich beteiligen will. Dann begegnet man umgehend der Frage der Finanzierung und das ist ein weites Feld. Das Fördersystem streut breit, macht aber oft wenig Effekt. Deutsche Filmproduktionen haben keinen großen Anteil am deutschen Markt und sind dadurch sicher auch oft nicht mutig. Aber ehe ich über Geld rede, müsste ich über Partnerschaft reden, über die moralische Seite der Arbeit. Ich denke jedenfalls nicht an Geld, wenn ich morgens aufstehe. Aber gegen Mittag wird es ernüchternd. Dann trifft man diese Quotenidiotie. Das ist die Schlinge, in der man bald zappelt. Und wenn dann doch gedreht wird? Dann lebe ich in einem anderen Klima. Die Tage sind sinnvoll. Wie war das bei dem Vorhaben mit Andreas Dresen? Als wir uns im Mai das erste Mal trafen, hatte ich 30 Seiten notiert, die Geschichte, ihre Tonlagen und ihr Temperament. Dann haben wir eine Menge geredet, Dresen, Cooky Ziesche, die Dramaturgin, und ich. Und so entstand das Drehbuch. Die Hauptrollen spielen Nadja Uhl, Inka Friedrich und Andreas Schmidt. Das Gespräch führte Heidi Jäger. Die morgige Filmnacht beginnt 18 Uhr mit „Die Stille nach dem Schuss, 20 Uhr „Berlin – Ecke Schönhauser“. Danach Gespräch mit Schlöndorff und Kohlhaase, 23. 30 Uhr „Ich war neunzehn“.
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