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Auf den Spuren der Anarchie. Die Regisseure von „ Projekt A“ Moritz Springer (l.) und Marcel Seehuber mit Protagonistin Hanna Podding im Thalia Kino.

© Manfred Thomas

„Projekt A“ im Thalia in Potsdam: Die Ruhe vor dem Sturm?

Der Anarcho-Film „Projekt A“ regt eigentlich zur Diskussion an. Im Thalia in Potsdam blieb sie aus.

Stand:

Ein Mann in weißen Shorts und Unterhemd löscht mit einem Gartenschlauch sein brennendes Auto. Im Hintergrund Sirenengeheul, ein Feuerwehrmann kommt herbeigeeilt. „Ach nett, dass ihr auch schon da seid“, sagt der Mann. „Was willst du denn jetzt noch löschen?“ Auch der Feuerwehrmann steht etwas ratlos da, plötzlich explodiert ein Brandsatz im Feuerwehrwagen. Nun müssen die Einsatzkräfte das eigene Fahrzeug löschen.

Marcel Seehuber und Moritz Springer haben in ihrem Dokumentarfilm „Projekt A“ anarchistische Strömungen in Europa mit der Kamera begleitet und diese Szene in Athen festgehalten. Am vergangenen Dienstag wurde die Doku im Thalia Kino gezeigt.

Das brennende Feuerwehrauto steht hier – so am Anfang – natürlich sinnbildlich für all die Vorurteile, die der Normalbürger gegen die anarchistische Bewegung hegt. So stellt man sich Anarchie doch vor, oder? Brennende Autos, geplünderte Ladenzeilen, gesetzlose Zustände. Eigentlich will der Anarchismus jedoch etwas anderes: Er stellt das System infrage – aber für ein gerechteres Miteinander: „Anarchie ist, wenn kein Mensch über den anderen herrscht“, schreibt Horst Stowasser. Dem bekannten Anarchisten ist der Film gewidmet, er hat die beiden Regisseure mit seinen Theorien inspiriert. Darauf folgt, dass für mehr Gerechtigkeit der Staat abgeschafft werden muss.

Kann eine Gesellschaft ohne Regierungen und Justiz bestehen? Die Projekte der verschiedenen Protagonisten entwerfen konkrete Bilder, wie eine solche Ordnung aussehen könnte. Denn von unorganisiertem Chaos sind diese Lebensentwürfe weit entfernt: Die Aktivisten führen Beratungsgespräche mit Hilfesuchenden, sitzen in Büros und funktionieren überhaupt nach einem gut ausgebauten – aber unbürokratischen – Verwaltungssystem. So hat sich etwa in Barcelona die Cooperativa Integral Catalan (CIC) etabliert, die durch ein großes solidarisches Netzwerk innerhalb Spaniens alternatives Wirtschaften innerhalb der Gruppen ermöglichen will: durch Tauschmodelle und die Bezahlung mit Bitcoins – einer digitalen Geldeinheit, die dezentral, ohne die Abwicklung über Banken funktioniert.

Die horizontale Struktur ist eine vorherrschende Idee der anarchistischen Gruppierungen, um Macht- und Geldmonopole zu verhindern und die Entscheidungsgewalt in die Hände der Verbraucher zu legen. So setzt sich die CIC etwa für den Ausbau von Ökodörfern ein, die nach dem Selbstversorgerprinzip funktionieren. Die Anarchobewegung hat in Spanien lange Tradition: Während der 1930er Jahre war der Norden des Landes weitgehend anarchistisch verwaltet, Großbetriebe wurden kollektiviert und Geld abgeschafft. Die Bewegung wurde jedoch im Bürgerkrieg zerschlagen. In Griechenland ist nach der jüngsten Finanzkrise und der Enttäuschung über die Politik der Wunsch nach einem alternativen System bei vielen groß. Im autonomen Stadtteil Exarchia haben Bürger einen Parkplatz annektiert und ihn zum „Parko Navarinou“, einer Grünanlage mit Spielplatz und Open Air Kino, umgebaut. Außerdem haben die Anwohner das VOX, ein selbstverwaltetes Gesundheitszentrum, ins Leben gerufen – ein Viertel der Griechen hat aufgrund der Krise keinen Zugang mehr zur medizinischen Grundversorgung. Aus Exarchia stammen auch die Bilder des brennenden Feuerwehrautos. „Alle stellen immer die Frage, ob Gewalt erlaubt ist. Aber die Diskussion über Gewalt ist sinnlos“, sagt Protagonistin Margarita, eine Fotografin, die von Anfang an beim Bau des Parks dabei war. „Unser Planet wird zerstört, Reiche werden immer reicher, die Finanzpolitik hat uns das letzte Hemd geraubt und wir sitzen da und überlegen, ob Gewalt sinnvoll ist.“ Das klingt zynisch, radikal – und lässt sich wohl mit der starken Polizeiwillkür in Athen erklären.

Hanna Poddig, eine deutsche Anti-Atom-Aktivistin, ist beim Filmgespräch im Thalia dabei. Gewalt, sagt sie, darf nur im Kontext gedacht werden. „Wenn einem Politiker symbolisch eine Torte ins Gesicht geworfen wird, würde ich sagen, das ist eine klassische Form von Gewalt: ein körperlicher Übergriff, vielleicht tut es ihm sogar weh. Ich würde mich als gewaltfrei bezeichnen. Trotzdem gibt es Momente, da wünsche ich mir mehr Torten auf Politiker.“

Die Unzufriedenheit mit der Politik ist es, die alle Protagonisten in „Projekt A“ antreibt. Dabei handelt es sich nicht immer um überzeugte Aktivisten wie Poddig, sondern auch um ganz normale Menschen, die sich gegen die Auswüchse des Kapitalismus wehren wollen. Ob das dann Anarchismus genannt wird, ist den Filmemachern letztlich gleichgültig. „Der Begriff ist nicht so wichtig. Die Sehnsucht der Menschen ist da, dass der Profit nicht an oberster Stelle steht.“ Das Problem ist, dass Aktionismus häufig vom System geschluckt werde, meint Poddig. So etwa die Ökobewegung der 80er Jahre, von der heute nur teure Bioprodukte übrig geblieben seien – also Öko-Kapitalismus. Außerdem würden viele Menschen nach dem Studium plötzlich unpolitisch – weil sich Aktivismus nicht so gut mit Beruf und Familie vereinbaren lasse. Ist der Kapitalismus also unausweichlich? Müssen wir ihn zerschlagen, um neu anzufangen? Geht das überhaupt?

Ob eine Gesellschaft ohne Staat global umsetzbar ist, ist vielleicht gar nicht die entscheidende Frage. Klar ist aber, die große Idee muss in der Realität abspecken. In erster Linie will „Projekt A“ der im System feststeckenden Masse ein Gegenkonzept bieten, das da heißt: Erstmal im Kleinen agieren, damit etwas Größeres entstehen kann. Der Appell dahinter: „Interessiert euch!“ Das scheint heute schwer zu fallen. Die Publikumsdiskussion im Thalia war dafür ein blendendes Beispiel: Obgleich der Saal bis zum letzten Sitz ausverkauft war, hüllten sich die Zuschauer in Schweigen, eine echte Diskussion kam nicht zustande. Oder ist das die Ruhe vor dem Sturm? Theresa Dagge

Theresa Dagge

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