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Kultur: Die Schatten der Vergangenheit

Paul Leibovitz hat sich in Trauer vergraben. Auf Lama Island, einer kleinen Insel vor Hongkong, in einem Haus, versteckt hinter wucherndem Grün.

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Paul Leibovitz hat sich in Trauer vergraben. Auf Lama Island, einer kleinen Insel vor Hongkong, in einem Haus, versteckt hinter wucherndem Grün. Hier kämpft Paul Leibovitz gegen die Zeit und dem damit verbundenen Vergessen, die seine Trauer um seinen an Krebs gestorbenen Sohn Justin mildern könnten. Hilflos musste der Vater mit ansehen, wie sein achtjähriger Sohn von der Krankheit zerfressen wurde. Nach dessen Tod hat er seine Frau verlassen, von der er sich schon lange vorher entfernt hatte. Eingekapselt in seine Trauer, in sein Selbstmitleid lebt Paul Leibovitz wie ein Einsiedler. Wer ihm zu nahe kommt, den weist er schroff zurück.

In seinem neuen Roman „Das Flüstern der Schatten“, den er heute um 20 Uhr im Literaturladen Wist vorstellen wird, lässt sich Jan-Philipp Sendker viel Zeit mit Leibovitz. Ein stilles Psychogramm, das Sendker zeichnet, das beim Leser Verständnis, aber wenig Sympathie erzeugt. Die Lethargie dieses Paul Leibovitz lässt einen fast schon ungehalten werden, als dieser plötzlich und ungewollt mit dem Verschwinden eines jungen Amerikaners konfrontiert wird. Die Mutter des Amerikaners hat Leibovitz um Hilfe gebeten. Und obwohl er sich anfangs weigert, verstrickt er sich immer mehr in die Ermittlungen eines Verbrechens, das längst, so die offizielle Meinung, geklärt schien. Er wird zurückgerissen ins Leben, denn hier ist er nicht zur Hilflosigkeit wie bei der Krankheit seines Sohnes verdammt. Er kann den Mord nicht rückgängig machen. Aber er kann dazu beitragen, dass der wirkliche Mörder überführt wird.

Jan Philipp Sendker, der von 1995 bis 1999 in Hongkong für den „Stern“ als Auslandskorrespondent arbeitete, hat mit „Das Flüstern der Schatten“ einen Roman geschrieben, der Seelenzustände zwar schonungslos aber nicht rücksichtslos offen legt. Mit viel Feingefühl zeichnet Sendker seine Figuren und lotet behutsam die dunklen Geheimnisse eines jeden aus. Er konfrontiert sie immer und immer wieder mit ihren Geheimnissen. Denn die Schatten der Vergangenheit flüstern so lange, bis man sich ihnen endlich stellt. Dirk Becker

Jan Philipp Sendker liest heute, um 20 Uhr, aus seinem Roman „Das Flüstern der Schatten“ im Wist Literaturladen, Dortustraße 17.

Dirk Becker

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