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Kultur: Die schönste Lüge auf zwei Beinen

Georg Preuße gibt an zwei Abenden im Nikolaisaal seine „Mary und sonst gar nichts"

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Georg Preuße gibt an zwei Abenden im Nikolaisaal seine „Mary und sonst gar nichts" Von Heidi Jäger Um als Mary zu brillieren, führt Georg Preuße ein fast asketisches Leben. Keine Energie wird unnötig vergeudet, denn am Abend auf der Bühne möchte er zu hundert Prozent für sein Publikum da sein. „Ich halte mich fit, indem ich mich auf Notwendigkeiten beschränke: Atemübungen, Gesangstraining.“ Da wird nicht einfach mal so um die Ecken gezogen, gibt es weder Einkaufsbummel, noch Caféhaus-Besuche, höchstens mal den Hund Gassi führen. Mehr ist nicht drin. „Wenn ich Auftritte habe, gibt es kein Leben neben Mary.“ Am 10. und 11. April werden nun zum ersten Mal auch die Potsdamer in den Genuss dieses totalen Einsatzes kommen. „Ich habe 30 Jahre woanders geübt, um hier zu zeigen, was ich nicht gelernt habe“, meint Georg Preuße in liebenswerter Selbstironie über sein Gastspiel an der Havel. In der Show „MARY und sonst gar nichts“ gibt sich der Entertainer so privat wie noch nie. Begleitet wird er diesmal nicht von einem Orchester, sondern nur vom Piano: „So spürt und fühlt man jede Nuance, jedes Lächeln und jeden Schmerz in den Noten“, schrieb eine Baseler Zeitung über die Premiere im Häbse-Theater Anfang März. Mary blickt in ihrem neuen Programm zurück auf dreißig Jahre im Rampenlicht, bekannte Lieder interpretiert sie mit der Erfahrung von heute – fühlt die Erinnerung im Jetzt. Und da gibt es vieles, mit dem der inzwischen wohl bekannteste Travestiestar Europas sein Programm nähren kann. Aufgewachsen in der Enge eines 2000-Seelen-Dorfes, wo die Kirche streng regierte, fühlte sich Georg Preuße zunehmend fehl am Platze. „Ich war der einzige, der mit Stöckelschuhen unter den Gummistiefeln durch die Pfützen watschelte“, witzelt er. Die Dorfordnung, die anderen Sicherheit gab, sei für ihn wie eine Zwangsjacke gewesen. Schon als Kind habe er gern Theater gespielt: „Doch mein Vater sah das gar nicht gern: aus Angst, dass ich dort lande, wo ich heute gelandet bin.“ Auf Wunsch des Vaters lernte er brav den Beruf des Funk- und Fernsehtechnikers, schließlich sollte er mit seinem Bruder irgendwann das Familiengeschäft übernehmen. Und er setzte noch eins drauf: Nach der Lehre begann er, im nicht weit entfernten Bielefeld Informatik zu studieren,um sich die Liebe des Vaters erkaufen. „Als dieser allerdings erfuhr, dass ich in einem Kleid mein Studiengeld verdiene, schmiss er mich zu Hause raus.“ Georg Preuße ging neben dem Studium kellnern und er stand auch hinter der Bar: „Viele der Gäste kamen nur deshalb, um unter Menschen zu sein. Ich habe sie dann mit lockeren Sprüchen miteinander ins Gespräch gebracht.“ Der „Entertainer“ war geboren. „Immer wieder traten dort Travestiekünstler auf und ich dachte mir: Das kannst du auch. Mein erster Auftritt war eigentlich gar keiner: Als ich die Bühne betreten wollte, brachen mir beide Absätze weg.“ Das bedeutete natürlich nicht das Aus. Die nächsten Absatzschuhe hielten und Preuße stand bald vor der Entscheidung: weiter studieren, was ihn nicht interessierte oder aber sich auf eine Zukunft einlassen, die eigentlich keine war, dafür aber Spaß bereitete. „Damals wurde die Travestie ja beinahe noch wie in der Nazizeit als entartete Kunst betrachtet, betrieben von sexuell kranken Menschen. Viele wissen nicht einmal, dass es ein Unterschied gibt zwischen Transsexuelle und Travestie. Travestie bedeutet ja nichts anderes als Verwandeln, etwas in die Satire ziehen.“ Jedenfalls verließ sich Georg Preuße auf seinen Verstand, und wählte den ihm gemäßen, wenn gesellschaftlich auch noch verachteten Weg der „Fummeltante“. „Natürlich war es damals undenkbar, dass ich irgendwann im Fernsehen oder in der Oper lande. Ich war anfangs schon glücklich, eine Disco erwischt zu haben, wo kein Striptease getanzt wurde. Ich sah mich mein Dasein in irgendwelchen Hafenbars und Spelunken fristen.“ Doch es sollte anders kommen. Nach der jahrelangen „Mondfinsternis" erblickte 1975 Mary Morgan das Licht der Öffentlichkeit und eine zweimonatige Tournee durch Kneipen und auf Campingplätzen am Wörthersee wurde zu einem durchschlagenden Erfolg. Es gab Auftritte in der Lach- und Schießgesellschaft, auch international kam es zum Durchbruch. „Natürlich immer wieder mit Rückschlägen. Ein Journalist sagte zu mir: ,Ich schreibe nur über richtige Frauen'', worauf ich konterte: ,Ich will ja nicht mit Ihnen schlafen.“ Die Welt teilte sich auf: In Berlin wurde ich gefeiert, in Crailsheim erhielt ich Einreiseverbot. Immer noch galt es, in den Köpfen Unkraut zu jäten.“ Oft wurde er angefeindet, fand Zettel an seiner Autoscheibe, wie „Hier tritt der Teufel auf.“ „Aber wenn man ein gutes Gefühl hat, was ethisch und moralisch richtig ist, kann es nicht richtig verletzen.“ Es stärkte ihn natürlich auch, als er 1978 in Gordy einen Gleichgesinnten traf. 1981 hatten beide ihre erste Fernsehshow, die in 17 Ländern ausgestrahlt wurde. „Als mich mein Vater das erste Mal im Fernsehen sah, merkte er, dass er mir Unrecht getan und ich der Familie keine Schande bereitet hatte.“ Mary und Gordy traten einen Siegeszug an: produzierten sechs Langspielplatten, erhielten die Goldene Kamera, die Goldene Europa, das Platinum Concert-Ticket . Und dann war es plötzlich vorbei. Nach neun Jahren verließ Gordy seine Mary und trat nur noch als Mann auf. „Ich fühlte mich überrumpelt. Zum Glück kam in diesem Moment das Angebot von Friedrich Dürrenmatt, in der Komödie ,Achterloo IV'' mitzuspielen. Aber nun stehen ja nicht gleich alle Intendanten auf der Matte, bloß weil man mal eine kleine Schauspiel-Rolle hatte.“ Freunde rieten ihm, es als Mary allein zu versuchen. Es funktionierte. Beides. Die Show und parallel dazu das Schauspiel. „Ich habe viel vom Theater für meine Mary-Programme profitiert, die Stilmittel verfeinert und auch die Schönheit der deutschen Sprache besser kennen gelernt. Jetzt wusste ich, was ich singe und ließ mich nicht mehr nur vom Gefühl leiten.“ Er spielte in Bern die Hauptrolle in dem Stück „Narrenkäfig", in Frankfurt (Main) den Conférencier im Musical „Cabaret", in Heilbronn den Beckmann in Borcherts „Draußen vor der Tür" und wiederholt den „Jedermann" im Berliner Dom. „Für den Jedermann habe ich die meisten Preise eingeheimst. Dennoch warf ich nicht weg, was ich vorher gemacht hatte. Der Beckmann ist nicht besser als die Mary, nur ein anderes Genre, das andere Fähigkeiten verlangt. Die Show bedeutet für mich das Leben, nicht nur die Höhen und Tiefen, sondern auch all“ die Nuancen dazwischen. Die drei Stunden abends auf der Bühne sind für mich wie ein Marathonlauf mit einem Wechselbad der Gefühle.“ Georg Preuße gab seine Mary auch schon neun Monate en suite: nur mit montäglicher Spielpause. Er fühlt eine große Verantwortung für die Kollegen am Theater. „Schließlich erhalten wir keine Subventionen. Trete ich nicht auf, kriegen auch die Angestellten kein Geld. Das ist natürlich ein Riesendruck.“ Gönnt er sich mal eine Auszeit, fährt er in sein Haus in der Schweiz und legt sich dort im Garten unterm Pflaumenbaum. „Dann lasse ich alle Viere gerade sein. Und wenn mich die Langeweile langweilt, komme ich auf neue Ideen. Außerdem bin ich ein Familienmensch“, und so nimmt er sich so viel Zeit wie möglich für die Eltern, den Freund und die Hunde. Doch jetzt ist Georg Preuße mal wieder „Mary und sonst gar nichts“. Und als die möchte er Gedanken anstoßen – ohne den Zeigefinger zu erheben. „Mary stellt sich vor all “ die Leute, die schwach sind und angegriffen werden: vor Aidskranke ebenso wie vor Kindern. Und natürlich gibt es auch das Thema Sex: leicht und keineswegs verbissen.“ Am Ende des Abends findet Georg Preuße wieder den Weg zu sich selbst, er streift auf der Bühne die Kleider ab und schlüpft in die Hose. „Mary ist eine Lüge, vielleicht die schönste Lüge auf zwei Beinen. Und Georg Preuße ist wie ein Marionettenspieler, der am Ende seine Puppe fallen lässt. Ich will Glimmer verschenken und nicht selber Glimmer haben.Vielleicht bin ich deswegen in die Welt gesetzt worden.“ Am 10. und 11. April im Nikolaisaal.

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