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Von Heidi Jäger: Die schrillen Paradiesvögel

„Herbstleuchten“ zeigt ab nächster Woche in der „fabrik“, was sich in den Residenzen entzündete

Stand:

Ein verirrter Paradiesvogel bringt den Herbst zum Leuchten. Jedenfalls in der „fabrik“. Dort schmückt sich der Schweizer Performancekünstler Christoph Hefti nächste Woche mit einem ausladenden Karnevalskostüm aus Rio de Janeiro, spielt Klavier, schnell, falsch und laut, bis das Kostüm erwacht. Hefti wird zur Stimme des Federkleids, verwandelt dessen Geschichte in Bewegung und Klang. Die ungewöhnliche, extravagante Erscheinung Heftis, die das diesjährige Programmheft von „Herbstleuchten“, der Werkschau Potsdamer Residenzen in der fabrik, ziert, schwebt symbolträchtig voraus. Sie steht für die neuen Wege und ungewöhnlichen Felder, die bei „Herbstleuchten“ im stürmischen Oktober erforscht werden und stärker als bei den Potsdamer Tanztagen im Mai die schrillen Paradiesvögel fliegen lassen.

Bei Jefta van Dinther aus Schweden, der zu den 25 Künstlern gehört, die vom 21. bis 25. Oktober ihre Ergebnisse aus dem mehrwöchigen ungestörten Arbeitsaufenthalt in Potsdam vorstellen, könnte sich indes die Frage auftun, was sein Stück noch mit Tanz zu tun hat. In einer präzise angelegten Kettenreaktion durchkreuzen fünf Tänzer mitten im Publikum den Raum. Sie bauen sich auf, verharren, geben dem anderen Impulse, lassen sich fallen: langsam, minimalistisch. Der Zuschauer muss genau hinschauen, um die kleinen Veränderungen der Körperhaltungen nicht zu verpassen. Da geht es bei Paul Wirkus und Stefan Schneider schon etwas kräftiger zur Sache. Sie zogen mit einem Schlagzeug hinaus in den Wald und ließen auch Äste und Stämme zu Instrumenten werden. Ihre „Baummusik“ wird nun in der „fabrik“ zum Tanz.

Doch es gibt bei den „jungen Wilden“ auch eine Rückbesinnung auf einst richtungsweisende Traditionen. So öffnet sich zum Auftakt von „Herbstleuchten“ ein roter Samtvorhang und gibt den Blick frei auf einen Kronleuchter, unter dem sich der ecuadorianische Tänzer Fabian Barba in Mary Wigman verwandelt. Jedenfalls beinahe. Mit großen ausgestellten Bewegungen, die an die Stummfilmzeit erinnern, „malt“ er die „Schwingenden Landschaften“ nach, die Mary Wigman 1929 kreierte. Die Choreografin tanzte auf eine Weise, wie man sie vorher nicht kannte und prägte mit ihren Auftritten in New York Anfang der 30-er Jahre den Begriff „New German Dance“. Fabian Barba entdeckte Parallelen mit der Tanzkultur seines eigenen Landes und verschrieb sich dieser Expressivität. Mal divenhaft, mal zart wie ein Schmetterling füllt er mit sinnlicher Hingabe die Bühne, wie ein Videoausschnitt zeigt. Von Wigmans neunteiligem Zyklus „Schwingende Landschaften“ überdauerte nur die Hälfte auf Video, sagte die künstlerische Leiterin des Residenzprogramms, Ulrike Melzwig. Die andere Hälfte rekonstruierte Barba nach Fotos und Texten. Beim Einstudieren coachte ihn die einstige Wigman-Schülerin Susanne Linke. Ihre bis heute stolze Körperspannung hat nichts mit der Lockerheit zu tun, die Fabian während seiner Ausbildung vermittelt bekam. Doch gerade diese Konfrontation reizte den 27-Jährigen. „Trotz seiner weichen Züge sieht man, dass Fabian Barba ein Mann ist. Er tanzt großartig, aber er ist nicht Mary Wigman. Doch so ähnlich könnte sich ihr Tanz angefühlt haben“, sagt Ulrike Melzwig. Sie findet es spannend, wie sich der Tanz seiner Wurzeln versichert.

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