Kultur: Die schwarzen Augen von Sumer
Der in Michendorf arbeitende irakische Maler Daoud Salman Anad – ein zeitloser Künstler mit modernen Ideen
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Der in Michendorf arbeitende irakische Maler Daoud Salman Anad – ein zeitloser Künstler mit modernen Ideen Von Gerold Paul Sofort stechen dem Eintretenden diese schwarz-archaischen Augen entgegen. Sie gehören zu einem großformatigem Doppel-Gemälde, welches eindringlich an Picassos „Guernica“ erinnert. Arbeitet Daoud Salman Anad wie oder „nach“ dem weltberühmten Spanier? Der irakische Maler und Grafiker verneint zunächst. Umgekehrt! Pablo Picasso habe sich diese Augen von den Sumerern genommen. Sechshundert Jahre waren die Araber ja in Iberien, Picasso bediente sich einfach ihrer Tradition. Um das zu beweisen, holte er flugs die Bildbände des Meisters herbei, zum Vergleich einen Folianten mit altorientalischer Kunst, gültig ab 12000 vor Christus. Da, sehen Sie? Er könnte es sogar zweimal beweisen, denn genau über dieses Thema hat er kunstwissenschaftlich promoviert. Sollte zwischen Mesopotamiern und den (west-arabischen) Mauren je eine künstlerische Tradition bestanden haben, dann gibt es, trotz des islamischen Bilderverbotes, dazu keine weiteren Fragen mehr. Mal Bagdad, mal Ostberlin Daoud Salman Anad wurde 1948 in Bagdad geboren, diplomierte als Maler und Kunsterzieher, bevor er vom 1970 bis 1973 zum Generaldirektor der Kulturabteilung im Volksbildungsministerium ernannt wurde. Als der Irak die DDR als erstes arabisches Land anerkannte, kam er herüber. Mal Bagdad, mal Ostberlin. Er studierte bei Arno Mohr Grafik, absolvierte bei Werner Klemke ein Meisterstudium. Viel hat er ausgestellt rund um Berlin und Potsdam, seit den 90-ern auch wieder in der Tigris-Metropole, obwohl man ihm als „politischen Maler“ eher misstraute. In dieser Zeit gründete er dort die Künstlergruppe „Blaue Kuppel“. Seit 1997 deutscher Staatsbürger, lebt und arbeitet er jetzt in Michendorf. Es war heiß an jenem Sonntag. Ein Ventilator fächelte in der Funktionsbaracke von St. Norbert Kühlung, wo der Kunsterzieher im Auftrag des Deutschen Ordens seit drei Jahren mit behinderten Kindern arbeitet, nahe der alten Schindelmühle am Berg. Hier, in seinem Atelier, findet man auch seine Bilder. Viele erinnern stilistisch und im Kolorit tatsächlich an Picasso. Daoud Anad malt in den Farben Türkis und Ocker, und erzählt ganz nebenbei, die bildenden Künstler Iraks hätten in der arabischen Welt schon immer einen besonders guten Ruf gehabt. Das Ocker in vielen Schattierungen steht für die Tönung der Erde. Die Wüste. Das Türkis aber ist nach islamischer Anschauung die Farbe des Himmels. Türkis? Jetzt versteht man den Zusammenhang mit Picasso neu: Seine „Blaue Phase“ war gar nicht „blau“, sie hatte dieses von den Arabern übernommene Licht, wie seine Figuren die typischen Augen Sumers! Von Geburt her sowieso zum Malen berufen (wie er sagt), ist Anad ein moderner Künstler mit zeitlosen Ideen. Seine figürlichen Bilder, im Motiv oft sehr „orientalisch“, sind meist von strengem Ausdruck. Form bedeutet ihm viel, wenn er „Die Geschichte einer Geliebten“ (2000) oder „Flucht einer Frau“ (1999) darstellt. Raumtiefe weniger. Dynamik steckt in diesen Arbeiten, Spannung, und Kraft der grafischen Liniatur. Oft geht es um Frauen, wie in den „Visionen“ jener Annett, welche höflich ging, als man kam. Der Maler hat ihr Konterfei mit einem Strahlenkranze versehen. Auch in der sehr schönen „Geburt Christi“ (2001) findet man diesen starken Ausdruck dynamisch schwingender Formen – und die Augen Sumers. Und jetzt diese Amerikaner Ein ganz anderes Bild zeigt den Stand der Dinge von 1997: Vor der Nikolaikirche ist das umstrittene Stadtschloss aufgebaut, durch dessen Portal ein silbriges Licht aus Potsdams Hauptkirche strömt. Rechterhand schaut Friedrich II. aus einem Fenster, vorne ist Laub. Wo die Collagetechnik in raffinierte Malerei übergeht, erkennt man nicht gleich. Völlig klar: Als erstklassiges Zeitdokument gehört dieser „Potsdamer Herbst“ in städtischen Besitz – für die Nachgeborenen. Natürlich blieb das Politische nicht außen vor. Wenn die Amerikaner Saddam fangen, werden viele andere Saddams kommen, schlimmere als er. Die irakischen Familienclans halten zusammen wie Erdpech, sie wissen genau, was sie wollen. Nach dem Sturz des Königs 1958 sei es sowieso immer schlechter geworden, Putsch folgte auf Putsch. 1979 dann Hussein, welcher die Künstler für sein personengebundenes Propaganda-Gepinsel missbrauchte. Ja, es war unter seiner Herrschaft für alle „sehr schlimm". Und jetzt noch diese Amerikaner... Das Embargo ist noch immer nicht aufgehoben, die Flughäfen bleiben geschlossen. Derzeit braucht es zuerst Wasser, Strom, Brot und Medikamente. Weil es keine Polizei gibt, beraubt und erschießt man seinen Nachbarn ums Überleben. Wer hätte keine Kalaschnikow daheim! Als die US-Truppen im April einmarschierten, gab es nicht nur Plünderungen von Altertümern, auch die moderne Kunst Iraks wurde übel beraubt. Manches von Anads Bildern war wohl dabei. Sein sumerisches oder orientalisches „Guernica“ schaut herüber, das Pferd darauf symbolisiert das Volk, bäumend wild und verwundet. Diese uralten Augen Mesopotamiens registrieren die Gegenwart glühenden Blickes. Kohleschwarz. Drohend. Wild.
Gerold Paul
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