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Kultur: „Die sollten gebrochen werden“

Grit Poppe hat einen Roman über den Jugendwerkhof in der DDR geschrieben, morgen stellt sie das Buch in Potsdam vor

Stand:

Frau Poppe, warum haben Sie das Thema Jugendwerkhof mit Ihrem Roman „Weggesperrt“ ausgerechnet als Jugendbuch erzählt?

Davon waren damals ja Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren betroffen. Und „Weggesperrt“ erzählt die Geschichte einer Jugendlichen, die in eine solche Extremsituation gerät. Ich denke, dass das ein Thema ist, dass auch heute Jugendliche interessieren könnte.

Warum ausgerechnet die Extremsituation Jugendwerkhof? Wie sind Sie auf dieses Thema gestoßen?

Einerseits durch meine eigenen Kinder. Da ist mir aufgefallen, dass in der Schule das Thema DDR gar nicht vermittelt wird. Auf der anderen Seite hört man dann immer wieder, was Jugendliche angeblich über die DDR zu wissen glauben. Was ja sehr wenig ist. Mir ging es darum, wie man mittels einer spannenden Story den Zugang ermöglicht zu dem, was eigentlich Abwesenheit von Demokratie bedeutet. Und natürlich hat das auch mit eigenen Erfahrungen zu tun.

Sie waren selbst im Jugendwerkhof?

Nein, mein Vater war in der DDR politisch in der Initiative „Frieden und Menschenrechte“ engagiert und dadurch habe ich als Jugendliche bewusst die Beschattung durch die Staatssicherheit, dass uniformierte Leute vor der Tür standen oder Hausdurchsuchungen erlebt.

Und das Thema Jugendwerkhof?

Ich wusste auch schon in der DDR von Jugendwerkhöfen, allerdings erst recht spät. Und das immer nur am Rande. Von dem geschlossenen Jugendwerkhof in Torgau selbst aber wusste ich nichts.

„Weggesperrt“ ist der erste Roman, der sich mit dem Thema Jugendwerkhof auseinandersetzt. Gibt es andere Literatur?

Es gibt drei oder vier Sachbücher zu diesem Thema. Mehr nicht.

Haben Sie vielleicht eine Erklärung dafür?

In der DDR war insbesondere der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau ja ein Tabuthema. Die Jugendlichen mussten bei ihrer Entlassung eine Schweigeverpflichtung unterschreiben. Ihnen wurde gedroht, wenn sie über ihre Zeit im Jugendwerkhof sprechen würden, dass sie ganz schnell wieder zurück wären. Und von vielen Betroffenen habe ich erfahren, dass sie diese Zeit selbst lange verdrängt haben und die Erinnerungen meist erst wieder in einer Krisensituation hochkamen. Darum wird das auch erst jetzt zu einem Thema, weil die Betroffenen anfangen darüber zu reden. Und die ehemaligen so genannten Erzieher, die man eigentlich als Wärter bezeichnen müsste, werden sich hüten, etwas über ihre Arbeit zu erzählen.

Wann haben Sie damit angefangen, dieses Thema literarisch zu verarbeiten?

Ungefähr vor anderthalb Jahren begann ich mich mit dieser Idee auseinanderzusetzen. Dann aber auch ziemlich massiv. Der Anfang der Geschichte von „Weggesperrt“, wo das Mädchen Anja in Schwierigkeiten gerät, weil ihre Mutter, die einen Ausreiseantrag gestellt hat, verhaftet wird, war schon da. Dann habe ich mir überlegt, was mit Anja im weiteren Verlauf passieren könnte. Ich habe recherchiert und bin sofort auf Torgau gestoßen und war entsetzt von diesem Ort.

Heute ist dieser ehemalige geschlossene Jugendwerkhof in Torgau eine Erinnerungs- und Begegnungsstätte.

Ja, ich bin dorthin gefahren und habe dann auch sehr schnell ehemalige Insassen kennen gelernt.

Die dann auch bereitwillig über ihre Erlebnisse geredet haben?

Nicht jeder. Aber andere haben mir sehr viel erzählt. Mit manchen habe ich mich dann zeitweilig fast jeden zweiten Tag getroffen. Das war dann eine sehr intensive Zusammenarbeit.

Wie haben diese ehemaligen Insassen auf Ihr Interesse reagiert?

Die hatten schon Erfahrungen mit der Öffentlichkeit. Ich war also nicht die erste, die nach ihren Erfahrungen gefragt hat. Aber so intensiv wie ich das dann getan habe, war das auch für sie neu. Ich hatte den Eindruck, dass ihnen diese Gespräche auch geholfen haben.

Wie haben die Gespräche auf Sie gewirkt?

Das hat mir von Anfang an stark zugesetzt. Als ich erfahren habe, was in Torgau abgelaufen ist, habe ich manche schlaflose Nacht verbracht und mich gefragt, ob ich mich dem auch weiterhin aussetzen will. Denn ich habe sehr intensiv nachgefragt. Wie sahen die Zellen aus? Was gab es zu Essen? Welche Kleidung mussten sie tragen? Wie wurde bestraft? Die Geschichten, die ich erfuhr, waren dann wirklich schlimm und für die Betroffenen bis heute eine schwere Last. Manche sind noch in Therapie, leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen.

Sind Sie bei diesen Fragen auch an Grenzen gestoßen?

Es gab bei diesen Gesprächen manchmal auch Tränen und oft hieß es auch, dass sie über ihre schlimmsten Erfahrungen nicht reden könnten. Noch nicht einmal in einer Therapie. Dann habe ich sie natürlich in Ruhe gelassen und nicht weiter nachgefragt. Man kann sich schon vorstellen, wie schrecklich das gewesen sein muss. Denn in Torgau hatten die Jugendlichen keinerlei Rechte mehr und das erklärte Ziel der Heimleitung bestand darin, diese jungen Menschen zu brechen. Darüber hatte der ehemalige Jugendwerkhofleiter sogar eine Diplomarbeit geschrieben.

Ein System, den Willen zu brechen?

Ja, die ersten drei Tage verbrachten alle in Einzelhaft, als eine Art Schocktherapie. Die wussten gar nicht, was ihnen geschah. Dann wurde allen, auch den Mädchen, die Haare abgeschnitten. Ständig unter Beobachtung, morgens und abends Sport bis zum Umfallen, Kollektivbestrafung. Also wenn einer versagte, wurde die ganze Gruppe bestraft. Es war das klare Ziel, die Jugendlichen auf diese Art zu brechen und dann durch Drill und Zwang zur Einsicht zu bringen. Das hat natürlich nicht funktioniert.

Sie haben mit Anja eine Figur gewählt, die aus politischen Gründen unschuldig in ein Durchgangsheim, dann in einen offenen und nach einem Fluchtversuch in den geschlossenen Jugendwerkhof nach Torgau kommt. Gab es solche Fälle überhaupt?

Ja, aber ein politischer Hintergrund war eher die Ausnahme. Die meisten waren einfach nur rebellisch, was wir heute als „schwererziehbar“ bezeichnen würden. Aber es waren keine schwerwiegenden Gründe, die einen nach Torgau brachten.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Grit Poppe stellt am morgigen Donnerstag, 19 Uhr, ihren Roman „Weggesperrt“ in der Gedenkstätte „Lindenstraße 54/55“ vor. Anschließend findet ein Zeitzeugengespräch mit Kerstin Kuzia und Stefan Lauter statt. Der Eintritt kostet 3 Euro

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