
© Manfred Thomas
Kultur: Die Stadt des 21. Jahrhunderts
Danach suchte die Initiative „metropolar“ mit ihrer Veranstaltungsreihe am Wochenende
Stand:
Demokratie, so schrieb der Kulturkritiker Oswald Spengler vor gut neunzig Jahren in seinem „Untergang des Abendlandes“, sei nichts anderes als die „Herrschaft des Geldes“. Demokratie, lernen nunmehr bereits etliche Schülergenerationen hingegen, sei gleichsam die blanke Volksherrschaft. Genau zwischen diesen Polen bewegte sich am Wochenende eine bemerkenswerte Veranstaltungsreihe mit der Ausstellung „Licht, Luft und Liebe“ (PNN v. 14.7.) und Konzerten, Gesprächen und Workshops der Initiative „metropolar“. Sie besteht aus knapp zehn jüngeren Leuten, die als Künstler, Architekten oder einfach nur als selbst ernannte „Urbanisten“ unzufrieden mit Potsdams Stadtentwicklung sind.
Zu einseitig, zu rückwärtsgewandt, zu barockisierend, sagen sie, was ja auch eine Denkhaltung meint. Nicht ausgewogen im Proporz von Alt und Neu. Seit etwa zwei Jahren mischen sie sich als gute Demokraten in die bürgerliche Zivilgesellschaft ein, machen ihr Anliegen öffentlich, suchen, gleichsam als Gegenpol zur Schlossbefürworterinitiative „Mitteschön“, nach Verbündeten; eine richtige Lobby haben sie nicht, doch ist ihnen die Unterstützung der Potsdamer Urania und der Beistand vom Kulturland Brandenburg sicher. Was sie da auf den Weg bringen möchten, lässt sich von zwei Seiten her beschreiben: Weiterbau des Vorhandenen anstelle von Abriss und historischer Rekonstruktion, zweitens die Entdeckung, dass die Nachkriegsarchitekten nicht nur Dödel waren, sondern durchaus Modernes und Erhaltenswertes mit Eigenwert geschaffen haben. Auch in Potsdam. Da reiben sich die „Stehengebliebenen“ natürlich die Augen: Meinen diese Urbanisten etwa die Breite Straße, das abgerissene Haus des Reisens am Platz der Einheit, das leerstehende Café „Minsk“ auf dem Brauhausberg oder die Bibliothek samt angrenzendem Gebäude?
Genau das meinten sie und boten am Samstag sogar eine Stadtführung von ihrem Standort Kunsthaus „sans titre“ in der Französischen Straße bis zur Seerose an. „Ost-Moderne“ nennen sie das, hier in Potsdam, aber auch in Berlin, Leipzig und Dresden. Kein Geringerer als Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, fand im freitäglichen „Stadtgespräch I“ das Bild vom nächtlich erleuchteten Hotelhochhaus an der Havel wunderschön, und setzte mit dem Original der Potsdamer Bibliothek, der Bebauung Am Kanal und der Schwimmhalle nebst dem „Minsk“ fort. „Bauten mit Eigenqualität“, urteilte der Corbusier-Jünger voller Überzeugung, durchaus erhaltenswert. Wo andere die fehlende Mitte beklagen, sehen seine Augen sogar eine „verkehrsgerechte Optimierung der Stadt“, einschließlich der „elegant geschwungenen Straßenführung zur Innenstadt“. Am Parallelbeispiel Hannover machte er klar, dass nicht etwa die Nachkriegsarchitektur versagt habe, sondern der Städtebau. Eine neue Sicht auf das gesamte Thema sei endlich möglich geworden, weil die jüngere Generation „wertfrei“ auf diese Zeit schaue, und – wie die Initiative „metropolar“ – lieber selbst herausfinden wolle, was an ihrem Gesamterbe gut und schlecht sei. Das Vorhandene „weiterzudenken und auch weiterzubauen“ sei jedenfalls besser als rigoroser Abriss oder der Neubau verschwundener Architektur. So habe er sich durchaus eine Kombination von Stadtschloss und erhaltenswerter Fachhochschule vorstellen können. Außen am „sans titre“ sah man künstlerisch-architektonische Vorschläge, wie sich Barockes mit Neuem vor Ort verbinden ließe. Allein es fehlt ja der städtische Wille. Man will konservieren. Und trotzdem: Einfach mal eine Epoche weitergedacht – schon öffnen sich der Wahrnehmung völlig andere Türen!
Der zweite Vortrag des Architekten und Verlegers Philipp Meuser war nicht minder brisant: Er führte sein Publikum „auf den Spuren der Ostmoderne von Kaliningrad via Zentralasien nach Pjöngjang“, wo er Le Corbusier und Hildesheimer bis in die Innenarchitektur hinein fast in Reinkultur vorfand. „Wo gibt es das sonst in der Welt“, fragte Meuser. Überall auf dem Weg entdeckte er fabelhafte Beispiele der Nachkriegsmoderne, nur hat das bisher wohl sonst keiner bemerkt.
Tags drauf, beim Stadtgespräch II, gaben „Urbane Aktivisten“ aus Leipzig, Hamburg und Potsdam – hier Vertreter vom alternativen Jugendkulturzentrum „freiLand“ in der Friedrich-Engels-Straße – ihre Erfahrungen im Umgang mit Ämtern, Parteien und ganz normalen Städtebewohnern weiter. Das Fazit ist erstaunlich: Dass man etwas mit Nachdruck vertritt, versteht sich von selbst. Wichtiger ist aber, sich per Internet mit Gleichgesinnten zu vernetzen und auch sonst seine Sache ganz schnell öffentlich zu machen. So luden Hamburger Besetzer schon Stunden nach ihrem Einzug in den Leerstand die ganze Nachbarschaft zur Besichtigung ein. Das schafft Öffentlichkeit, Öffentlichkeit aber schafft Demokratie, an der sich auch Politiker, die ja oft genug das Geld zu vertreten haben, nicht vorbeimogeln können. So sehen es die Jungen wenigstens.
Die „metropolar“-Ausstellung „Licht, Luft und Liebe“ ist noch bis zum 7. August im Kunsthaus „sans titre“ in der Französischen Straße 18 täglich außer montags von 15-20 Uhr geöffnet
Gerold Paul
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