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Kultur: Die Tragödie vor dem Exorzismus

Regisseur Hans-Christian Schmid stellte im Thalia seinen Film „Requiem“ vor

„Ich möchte Ihnen gratulieren zu diesem grandiosen Psychogramm“, sagt einer der Zuschauer begeistert bei dem anregenden Publikumsgespräch zu „Requiem“. Trotz des Silbernen Bären für die Hauptdarstellerin Sandra Hüller ist der große Thalia-Saal am Montagabend nicht ganz gefüllt. Doch die, die den neuen Film von Hans-Christian Schmid in dieser Voraufführung sehen, lassen sich mitreißen von den packenden, und doch auch für diese Gegend so befremdlichen Bildern.

Der Film erzählt die Geschichte des jungen Mädchens Michaela Klinger, das Anfang der 70er Jahre ihr streng katholisches, bayerisches Elternhaus verlässt, um in Tübingen zu studieren. Ihre Wahnvorstellungen kehren trotz der Freiheit, die sie dort beglückend genießt, zurück. Schließlich gibt sie den Kampf auf, spült alle Psychopharmaka in den Ausguss – und begibt sich erschöpft in Gottes Hand. Die so starke Michaela, die ganz wie die von ihr verehrte Heilige Katharina keinen Tag ihres Lebens verschenken möchte, resigniert. Und erfüllt wohl so am besten die Erwartungen der anderen – vor allem die ihrer Mutter. Michaela vertraut sich einem jungen Priester an und stimmt einem Exorzismus zu. Der Film endet an der Stelle, wo die Teufelsaustreibung beginnt, die schließlich, nach einem Jahr, zum Tod des entkräfteten Mädchens führt.

Der ebenfalls in einem kleinen bayerischen Dorf aufgewachsene Hans-Christian Schmid wurde durch einen Zeitungsartikel auf dieses Thema aufmerksam, erzählt er dem Potsdamer Publikum. Eine Dokumentation im „Spiegel“ habe über Wallfahrten nach Klingenberg berichtet, den Ort, wo Anneliese Michel – das reale Mädchen – 1976 beerdigt wurde und von Pilgern aus ganz Europa als Märtyrerin verehrt wird. Der Regisseur fühlte sich in seine eigene Lebensgeschichte hineingezogen, in der die Großeltern das Demütigsein zelebrierten. „Mein Großvater sagte immer: Lach“ nicht so viel, sonst musst du bald wieder weinen. Von solchen verquasten Auffassungen muss man sich erst einmal lösen“, ergänzt er in einem PNN-Gespräch seine Ausführungen vor dem Kinopublikum. Noch immer sieht er den Sensenmann auf einer Uhr vor sich stehen, der ihm als Kind in seinem Dorf Altöttingen gehörig Angst einjagte. „Diese Figur symbolisierte, dass in jeder Sekunde ein Mensch stirbt. Da wirst du auf einmal ganz klein.“ Sehr gut erinnere er sich auch, wie seine Mutter immer wieder gegen die Auffassungen ihrer Eltern kämpfte. „Oft stand die Frage, gehen wir Sonntag in die Kirche oder fahren wir an den See. Meist fuhren wir an den See, aber immer mit einem schlechten Gewissen.“

Schon vor über zehn Jahren setzte sich der bescheiden und noch sehr jugendlich wirkende Schmid in dem Film „Himmel und Hölle“ mit dem Thema fanatische Frömmigkeit auseinander. „Schließlich bin ich aus der Kirche ausgetreten. Meiner Großmutter habe ich das nie erzählt. Ich wusste, sie hätte es nicht begriffen.“

Für den sich mit einem enormen psychologischen Gespür in die Rollen hineinfühlenden 40-jährigen Regisseur ist „Requiem“ kein Film über Exorzismus. „Ich wollte von einer extremen Familiensituation erzählen, über die nicht gelungene Ablösung der Tochter von ihrer Mutter“. Auch wenn die Mutter in „Requiem“ sehr hart gezeichnet sei – so wie sie laut Dokumentation gewesen sein muss – glaubt Schmid, dass sie ihre Tochter geliebt habe. „Sie konnte nicht aus ihrer Haut, der Panzer war zu dick. Sicher hatte sie auch Angst vor der Familienschande im Dorf, ein „verrücktes“ Kind zu haben. „Aber es gibt ja oft große Probleme zwischen Müttern und Töchtern. Ich würde gern besser verstehen, warum das so ist.“

Michaela versucht in dem Film aufzubegehren: Wenn ihre Mutter sie mit den Worten anfährt: „Reiß dich zusammen!“, erwidert sie schmerzvoll: „Wie lange denn noch?“ Sie versucht, alles richtig zu machen, und wird dabei in ihrem Ich aufgerieben. Es ist eine große Fallhöhe, die das so lebenshungrige Mädchen hinter sich lässt. „Die Tragödie liegt bereits vor dem Exorzismus. Alle Kräfte, die noch hätten wirken können, sind ausgespielt, als die Freundin Hanna sie noch einmal ins Leben zurückholen will.“

Nach den umfangreichen Recherchen, die Schmid vor Drehbeginn unternahm, sei Anneliese an einer Epilepsie, verbunden mit einer Angstpsychose, erkrankt gewesen. „Man hätte ihr vielleicht helfen können, wenn alle miteinander geredet hätten: die Familie, die Neurologen, Psychiater und Priester. So aber sah man das Mädchen nicht als ganzen Menschen.“

Auf seiner am Donnerstag beginnenden Filmtour fährt der Regisseur auch in seine bayerische Heimat und auch nach Tübingen. „Mal sehen, was kommt. Ich bin sehr gespannt.“ Angst vor Auseinandersetzungen habe er keine. „Ich kann alles gut erklären, und habe zu allem eine Haltung, die ich vertrete.“ Nach wie vor stehe die katholische Kirche zum Exorzismus, bildet an einer Hochschule des Vatikans Teufelsaustreiber aus. „Seit 1999 wird der Exorzismus aber in einer etwas abgeschwächten Form praktiziert“, so Schmid.

Die Eltern und der Pfarrer von Anneliese wurden wegen unterlassener Hilfeleistung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Das Potsdamer Kinopublikum äußerte sich auch begeistert über die stimmige Ausstattung von „Requiem“. Der anwesende Szenenbildner Christian M. Goldbeck versuchte, nicht nur den 70er Jahre-Look, sondern auch den Mief im Raum Tübingen einzufangen. „Wir wollten auch visuell unterstreichen, dass es keinen Ausweg gibt“, sagte er. Auf den Glanz und die Verspieltheit barocker Kirchen verzichtete er. „Wir wählten gotische Kirchen, weil sie besser in unser Farbkonzept passten. Die Schlichtheit des Films sollte nicht aufgebrochen werden, so Goldbeck. „Da liegen wir auf einer Welle mit dem von uns verehrten Ingmar Bergmann. Der sagte, ,Gott glänzt durch Abwesenheit, nicht durch prunkvolle Dinge““, ergänzt der Regisseur.

Obwohl der Film durch die starke Präsenz von Sandra Hüller fast theatralische Momente hat, möchte Hans-Christian Schmid sich nicht wie Ingmar Bergmann auch in diesem Metier ausprobieren. „Es gibt Angebote vom Theater, aber ich bin da vorsichtig. Ich mache lieber das, was ich am besten kann. Und das ist, so glaube ich, Kino“, sagt der mehrfach mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnete Regisseur, der u.a. mit „Crazy“ und „Lichter“ das Kinopublikum bewegte. Auch den nächsten Stoff wälzt er schon gemeinsam mit Requiem-Autor Bernd Lange in seinem Kopf: ein Politthriller soll es werden.

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