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Kultur: Die Verletzung schmerzt weiter

Das Filmmuseum beginnt Montag die Reihe „Verlorene Erinnerung“ – Chilenische Geschichte in 30 Jahren Film

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Das Filmmuseum beginnt Montag die Reihe „Verlorene Erinnerung“ – Chilenische Geschichte in 30 Jahren Film „Auch wenn die Wunde sich geschlossen hat, ist die Narbe noch zu sehen. Wenn die Verletzung tief war, so schmerzt sie weiter. Schmerz lässt sich nicht am Kalender messen." 30 Jahre sind seit der blutigen Niederschlagung der Allende-Demokratie in Chile vergangen. Wie bei dem Filmemacher Antonio Skármeta hat sich der Militärputsch mit seinen grausamen Folgen bei vielen Chilenen als Trauma eingegraben. Das Ende der lateinamerikanischen Hoffnung auf Freiheit und Gerechtigkeit entfachte auch weltweit eine große Welle der Solidarität. Jeder trägt bis heute Bilder von der brennenden Moneda in sich. Und so war es auch die persönliche Betroffenheit, die die Filmmuseums-Mitarbeiter dazu veranlasste, anlässlich des 11. September 1973 eine Reihe zu konzipieren, die anhand von Filmen, Gesprächen und einer Ausstellung „Verlorene Erinnerungen" wecken soll. „Oft wird ja im Rückblick auf die DDR von einer verordneten Solidarität gesprochen. Doch beim Militärputsch in Chile war es anders. Ich weiß noch sehr gut, wie ich als Kind geweint habe, als ich das überfüllte Stadion, in das die Menschen hinein gebracht wurden, sah. Und ich habe auch gern im Chor für die Befreiung des Volkes gesungen", so Dorett Molitor. „Damals war klar, wer gut ist und wer böse.“ Für die Pressesprecherin des Filmmuseums ist es wichtig, dass auch die heutige Jugend um die Ereignisse weiß. „Viele kennen nicht einmal mehr den Namen Salvadore Allende, der nach Che Guevara zur Symbolfigur des Aufbruchs wurde und dessen Weg in eine sozial gerechtere Gesellschaft von der kubanischen Revolution vorgezeichnet war.“ Natürlich hatte das Filmmuseum auch Bedenken, ob so eine exklusive Filmreihe von den Zuschauern angenommen werden würde. „Motor war ein Gespräch im Dezember 2002 mit Antonio Skármeter, der damals auch Botschafter in Deutschland war. Er durchbrach unsere Angst und bestärkte uns sehr in dem Vorhaben. Er half uns auch, Filme zu bekommen.“ Die Hoffnung, in der chilenischen Wirtschaft Sponsoren zu finden, musste hingegen schnell begraben werden. „Die Firmen erinnern sich nur ungern an die Vergangenheit, weil sie wohl selbst zu involviert waren." Stattdessen gewann das Filmmuseum die Landeszentrale für politische Bildung und das Auswärtige Amt als Unterstützer. Anhand der chilenischen Geschichte ließen sich sehr gut Abhängigkeiten aufzeigen. „Auch die europäische Entwicklung beruhte nicht zuletzt auf die Ausbeutung des lateinamerikanischen Kontinents. Die Spanier, Engländer und Amerikaner beuteten Chile bis aufs Blut aus. So holten die Engländer das ganze abgebaute Salpeter aus dem Land, wogegen Allende schließlich massiv vorging." Was ihm natürlich Feinde einbrachte. Das chilenische Volk spürte das und demonstrierte gegen Allende, ihrem „Chicho", den sie zugleich feierten. Die Menschen ahnten, dass seine Reformen nicht weit genug gingen und er konsequenter die Nationalisierung im Land voran treiben müsste. In rund 30 Filmen werden all“ der Jubel und all“ die Verzweiflung, die Hoffnung und Trauer noch einmal aufflammen. Eingeteilt sind die Filme in vier thematische Blöcke: Vor dem Putsch; Putsch/ Faschismus/ Exil; Pinochets Kinder sowie der Blick von außen. Begonnen wird am 1. September mit einem Dok-Kurzfilmprogramm, das vom Leiter der Kinemathek Hamburg, Heiner Roß, moderiert wird. „Roß hat nach dem Putsch die chilenischen Filme vor der Vernichtung gerettet. Sie dokumentieren sehr authentisch die Allende-Zeit, die auch die Gründung von Filmclubs beförderte.“ Über die Landreform erzählt beispielsweise der Streifen „Die Enteignung". „Die Landarbeiter lebten vor Allende unter den ärmlichsten Verhältnissen. Doch als sie ihr Land zurück bekommen sollten, wollten sie ihren Großgrundbesitzer behalten. Sie hatten es nicht gelernt, selbstständig zu arbeiten", so Dorett Molitor. Der in Spanien geborene und in Frankreich aufgewachsene Veterinärmediziner John Hall sollte ihnen beibringen, wie man sät und erntet. Nebenbei bannte er aber auch Chilenen bei Demonstrationen auf Zelluloid. Seine eindrucksvollen Fotos, die das Volk in einem Zustand friedlicher Trance und in überschäumendem Optimismus zeigen, sind ebenfalls im Filmmuseum zu sehen. Der 1. September wird zudem im Zeichen „Abgebrochener Lebensläufe“ stehen, wie die Potsdamer Tierra Unida-Gruppe ein eigenes Programm innerhalb der Filmreihe überschrieb. Ihr Projekt zeichnet die Erinnerung an die Verschwundenen der Militärdiktatur nach, indem Einzelschicksale herausgehoben und ihnen Gesicht und Stimme gegeben werden. Zwei große Klassiker fangen die Zeit des Putsches und des Exils ein. Zu sehen ist die „Schlacht um Chile" von Patricio Guzmán, der bis zum Putsch drehte und das Material nach Kuba retten konnte. Er wird am 20. September persönlich nach Potsdam kommen. Eine Hommage an den großen Poeten Pablo Neruda gibt es gleich in zwei Versionen: von Antonio Skármeta „Mit brennender Geduld" (1983), die nach seiner eigenen Erzählung entstand und den Grimme-Preis erhielt sowie das italienische Remake „Der Postmann" (1994). Miguel Littin, einer der bedeutendsten chilenischen Regisseure, der sein Land 1973 verlassen musste, erzählt in „Protokoll über Chile", was er in einer lebensbedrohlichen Aktion als illegal Eingereister im Alltag unter der Militärjunta vorfand. Mit der Identität eines uruguayischen Filmemachers, der einen Werbefilm über ein Parfüm drehen will, reiste er durchs ganze Land und konnte mit viel Mut, aber auch viel Glück die allgegenwärtige Geheimpolizei täuschen. „Die Kopie ist zwar nicht gut, aber gerade dadurch auch interessant. Man hat beim Zuschauen das Gefühl, als wenn die Kopie auch verletzt wurde von der Zeit", so Dorett Molitor. In dem Filmblock „Pinochets Kinder" gibt es u.a. auch den gleichnamigen Film von Paula Rodriguez zu sehen. Der mit den Babelsberger Medienpreis 2003 ausgezeichnete Streifen setzt sich mit der lange verdrängten Geschichte Chiles und den Folgeerscheinungen der autoritären und mörderischen Vaterschaft Pinochets über das chilenische Volk auseinander. Kinder wichtiger Kampfgefährten Allendes, wie die Tochter des Leibarztes vom Präsidenten, kommen darin zu Worte. Im „Blick von außen" geht es schließlich um die DDR und BRD, die gleichermaßen schockiert waren von dem gewaltsamen Ende der Demokratie und die für viele chilenische Flüchtlinge zur Exilheimat wurden. „Damit kreuzten sich über die Grenze hinweg ihre Lebenswege." Hannelore Unterbergs Streifen „Isabell auf der Treppe" zeigt diesen Blick von außen ebenso wie „Der weiße Putsch" von Heynowski/Scheumann. Ihnen gelang es in spektakulärer Weise, das Gefangenenlager in Chacabuco zu filmen. Als 1990 die Militärjunta Chiles beseitigt wurde, ging dies fast im Trubel der deutschen Wiedervereinigung unter. Heute können die Filmemacher Chiles wieder frei arbeiten, doch die Erinnerung sitzt tief und lässt sich nicht wie ein Kalenderblatt abreißen. Heidi Jäger Die offizielle Eröffnung der „Verlorenen Erinnerung“ ist am 12. September, bewusst einen Tag später, als der Putsch stattfand.

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