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Ursprung aller Normierung? Natürlich Preußen. Die Uniformen mussten in großer Menge und für alle passend hergestellt werden. Bis heute wird der Körper kategorisiert.

© Manfred Thomas

Kultur: Die Vermessung des Körpers

Das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte widmet sich der Geschichte des Textilhandwerks

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„Weißstern, das ist Backfisch, Gelbstern, das ist normal, Grünstern, das ist etwas üppig, doch Rotstern ist – fatal.“ Die Zeichnung über diesem Vers, der 1915 im „Künstleralbum Gelbstern“ erschien, zeigt vier Damen in weißen Kleidern. Über ihren Köpfen sind – je nach Statur und Körperfülle – farbige Sterne platziert. Mit ihren „bunten Sternen“ erfanden die Gebrüder Manheimer, die zu den führenden Vertretern der Berliner Konfektionsindustrie des 19. Jahrhunderts zählten, eines der ersten Größensysteme für Kleider. Die Geschichte dieser Normierung, des Maßnehmens und Kategorisierens und ihrer Folgen für das Textilhandwerk ist das Thema der gestern eröffneten Sonderausstellung, die das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte gemeinsam mit der Technischen Universität Berlin und dem Kulturland Brandenburg konzipiert hat. Eingebettet ist die Schau in das Themenjahr Kulturland Brandenburg 2016 „handwerk – zwischen gestern & übermorgen“. Historische Exponate, Foto- und Videoinstallationen und künstlerische Arbeiten illustrieren hier gesellschaftliche Ideale, Individualität, Uniformität und Globalisierung der Textilproduktion von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis heute.

„Während das traditionelle Schneiderhandwerk Kleidungsstücke noch individuell anfertigt, beginnt mit der Serienproduktion die Suche nach dem universell gültigen Körpermaß“, so die Kuratorin und Kulturwissenschaftlerin Daniela Döring. Auf der Suche nach diesem Maß wurden Körper fragmentiert, in geometrische Formen übersetzt und vermessen. Los ging es mit der Normierung von Kleidergrößen im 18. Jahrhundert. Und zwar mit den Uniformen des preußischen Heeres. Das Tragen der „blauen Röcke“ war fortan Pflicht. Die massenhafte Produktion erforderte schließlich ein standardisiertes Verfahren. 1725 entwickelte der Berliner Schneider Steudner daher die ersten vier Normalgrößen – und gab damit den Startschuss für die serielle Kleiderproduktion.

Die Suche nach Standardisierung ist der rote Faden, der sich durch die gesamte Ausstellung zieht und dabei auch nach Schönheitsidealen und Selbstoptimierung fragt. In einer gläsernen Umkleidekabine lädt ein Sortiment unterschiedlicher Maßbänder dazu ein, den eigenen Körper zu vermessen – die Anleitung dazu liefert eine Maßtabelle aus den 1960er-Jahren, die auf den ersten statistischen Reihenmessungen basiert. „Der Besucher wird hier selbst zum Objekt“, so Döring.

In der „Black Box“ geht es auch ums Maßnehmen, allerdings ganz ohne Maßbänder. Hannah Fitch, ebenfalls Kuratorin der Ausstellung, hat hier mit Legosteinen einen Bodyscanner nachgebaut. Der misst digital mit Lasertechnik, die Daten werden am Computer ausgewertet – allerdings nur scheinbar. Auf die gegenüberliegende Wand wird ein Körper projiziert, der von Rasterlinien überlagert wird: Gelegenheit, über die permanente Selbstvermessung und die dabei entstehenden unsichtbaren Datenströme nachzudenken.

Die Schattenseiten der industriellen Kleiderproduktion werden auf den Bildern der Fotografin Susanne A. Riedel sichtbar. Was auf den ersten Blick wie das Werbeplakat einer Modekette wirkt, offenbart bei genauerem Hinsehen den bitteren Kontrast zwischen dem schönen Schein der glitzernden Modewelt und der harten Realität der globalisierten Mode-Industrie. Den posierenden Models sind die gedruckten Zitate von Arbeiterinnen der Textilfabriken gegenübergestellt, die ihre miserablen Arbeitsbedingungen beschreiben.

Fast schon hypnotisch wirken dagegen die Videoinstallationen der Künstlerin Annette Rose: Roboter weben hier ratternd und mechanisch Fäden zu Stoff. Auf einer Strickmaschine entsteht in Zeitlupe und Nahaufnahme Masche für Masche ein Gewebe. Maschinen haben die Kleiderproduktion übernommen, sie führen, spannen und wirken die Fäden. „In den Textilfabriken dominieren heute automatisierte Prozesse, der Mensch scheint verschwunden“, so Döring. Das kleine Nähmustertuch aus dem 18. Jahrhundert, das in einer Glasvitrine ausliegt, bildet dazu einen irritierenden Kontrast. Es zeigt verschiedene Stopftechniken. Für die zarten, kunstvollen Muster, die zum Ausbessern von Kleidung verwendet wurden, müssen die Näherinnen Stunden mit Nadel und Faden zugebracht haben – mit Hingabe und viel Liebe zum Detail. Heike Kampe

„uni-form? Körper, Mode und Arbeit nach Maß“ ist noch bis zum 24. Juli 2016 im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte im Kutschstall, Am Neuen Markt 9, zu sehen.

Heike Kampe

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