Kultur: „Die versuchen, uns jung zu halten“
Enda Walshs „Chatroom“ am Hans Otto Theater probiert einiges, aber nicht genug
Stand:
Jugendlichen ihre Welt erklären zu wollen, ist ein schwieriges Unterfangen. Am meisten gilt das vielleicht für die Bühne. Denn Jugendtheater will unterhalten, unmittelbar berühren, ohne zu belehren. Eigentlich zielt es dort hin, wo Eltern und Lehrer keinen Zugriff haben, in die eigene Phantasie. Gleichzeitig muss ein Ensemble, das ein Stück über Jugendliche auf die Bühne hievt, notgedrungen genau das tun, was es vermeiden will: den Zuschauern zeigen, wer sie sind.
Enda Walshs „Chatroom“, das am Donnerstag in der Reithalle A Premiere hatte, nähert sich der permanenten Plage von drohender Bevormundung im Jugendtheater auf clevere Weise: Es macht sie zum Thema. „Die verdammten Besserwisser“ heißt hier der Chatroom, in dem sich vier Jugendliche treffen, um gegen Autoritäten wie JK Rowling zu wettern, die Jugendliche kindlich halten wollen, oder gegen den Verrat von Britney Spears und Harry Potter. Oder gegen einander. Ob „Die Besserwisser“ die Erwachsenen sind, oder sie selbst, bleibt offen. William (Peter Wagner) mausert sich schnell zum Wortführer der Gruppe, spielt die Rolle des abgebrühten Zynikers. Über die Erwachsenen sagt er: „Die versuchen, uns jung zu halten! Die wollen nicht, dass wir selber denken. Die sehen uns als Bedrohung“. Er formuliert, was die vier verbindet: sie sind Teenager, „in “nem Alter, wo man sich für was einsetzen muss“ . Nur dieses „Was“ fehlt ihnen. Das ist ihr Dilemma. Auf der Suche nach einem Anliegen treffen William und seine Freunde im Chatroom auf Thomas (Jan Dose). Der hat sich im wirklichen Leben verlaufen und sucht nun im virtuellen nach dem richtigen Weg zurück in die Normalität. Was er im Chatroom aber findet, ist die ruchlose Experimentierfreude der „Besserwisser“. Thomas mit seinen Komplexen ist die langersehnte Frage, auf die der selbstgewisse William die Antwort längst parat hat. Gemeinsam mit Eva (Julia Gorr) redet er Thomas ein, dass er als Opfer seiner Verhältnisse hoffnungslos verloren ist, dass der einzige Weg zurück zur Selbstkontrolle der selbstgewählte Tod ist. Die ultimative Revolution.
Das Stück endet nicht so düster wie sein Verlauf es andeutet. Und dennoch ist „Chatroom“ ein ernstes, fast finsteres Stück. Probleme Jugendlicher wie Depression und körperliche Gewalt stehen neben der intellektuellen Debatte um den Verlust von Idealen, die Leere einer vom Konsum geprägten Welt und um die trügerische „Gemeinschaft“ von Chatrooms, die eigentlich oft ziemlich einsam ist. Für die Vereinzelung im Netz findet die Regie (Carlos Manuel) vor allem durch das Licht immer wieder wunderbare Bilder: Die nach Sympathien wechselnden Gruppierungen wurden aufs sparsamste ausgeleuchtet, als kleine verletzliche Lichtzellen im dominierenden Dunkel. Von allem anderen aber war am Hans Otto Theater wenig zu spüren. Vor dem Ernst, vielleicht könnte man sogar sagen: dem Anliegen des Stückes, schien die Regie sich seltsam zu scheuen.
Der Inszenierung mangelt es nicht an allen möglichen Tributen der Jugendlichkeit: knallbunte Kostüme, Ausflüge ins Irrationale, Spielerische oder Lächerliche, humorige Einlagen. Im Original sitzen alle sechs Schauspieler die ganze Zeit auf der Bühne – auch diese formale Strenge wurde gebrochen. Internetgemäß treten die Schauspieler mit „Bestätigung“ auf und verlassen das Podium mit „Exit“. Oft macht das Spaß, nicht nur dem jugendlichen Publikum. Aber berührt wird es dadurch nicht. Die Geschichte bleibt ein Bilderbuch: Prügelknabe Thomas erscheint in einem Umhang zwischen römischem Legionär und Superman, versteckt hinter einer riesigen Sonnenbrille, im Arm eine große Zimmerpalme. Das Witzfiguren-Image, mit dem er eingeführt wird, ist so stark, dass er auch am Ende, als sich eine Wandlung andeutet, das Publikum noch zum Lachen bringt. Das geht nicht nur gegen die Figur, sondern auch gegen das Stück. Etwas mehr Mut zu ungebrochen ernsten Momenten hätte ihm gut getan. Und wer weiß, dem jugendlichen „Selber-Denken-Wollen“ vielleicht auch.
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