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Kultur: Die wilden Jahre sind vorbei

Residieren statt rebellieren. Qualität statt Spontanität. Die Schiffbauergasse ist in die Jahre gekommen und mit ihr auch die freien Träger

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Er wurde denkmalgerecht wiederhergestellt und ist das Vorzeige-Erlebnisquartier der Stadt. Doch immer wieder wird behauptet, der Kulturstandort Schiffbauergasse sei totsaniert. In unserer Sommerreihe „Schiffbauergasse“ schauen wir auf den jetzigen Zustand und fragen, was könnte und was müsste sich verändern, um mehr Leben in das Areal am Tiefen See zu bringen. Heute betrachten wir die in die Jahre gekommenen freien Träger.

Junge Designer werben in Containern mit Mode „made in Brandenburg“. Man kann zuschauen, wie sie in ihren kleinen Ateliers Schmuck und Kleider herstellen. Touristen und Einheimische umlagern die grün berankten Metallhäuschen. Daneben spielen Kinder im Buddelkasten, ein Eisverkäufer buhlt um Aufmerksamkeit. Es gibt Bänke zum Verweilen. Über den Uferweg schlendern Familien von der Stadt in die Schiffbauergasse. Junge Leute spielen Beach-Volleyball, am Parkhaus lädt eine Kletterwand zum Besteigen ein, Skateboarder zeigen ihre Kunststücke. Im Winter gibt es statt parkende Autos im Schirrhof eine Eislaufbahn und wärmenden Glühwein.

So könnte er aussehen: der lebendige Kulturstandort Schiffbauergasse. Schon am Tage flanieren Menschen durch die Quartiere, abends sind in den Häusern die unterschiedlichsten Veranstaltungen zu erleben. Wer aus dem Theater kommt, lässt den Abend in einem der kleinen gemütlichen Cafés ausklingen oder geht unter Lichterketten noch zum Jazzkonzert in die „fabrik“. Wandeln und verweilen.

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Es gibt viele Visionen zur Entwicklung des 12 Hektar großen Geländes der Schiffbauergasse, in deren denkmalgerechte Sanierung 100 Millionen Euro geflossen sind. Doch zwischen den sanierten Häusern, auf den großen Freiflächen mit dem Charme eines Kasernenhofes, fehlt das erhoffte Leben. „Die Schiffbauergasse war immer überfrachtet mit Erwartungen. Nach dem Motto: Wir investieren ganz viel und dann boomt das“, sagt die künstlerische Leiterin der „fabrik“, Sabine Chwalisz.

Inzwischen gibt es an dem Standort viel Professionalität und etablierte Strukturen anstelle der einstigen Spontanität und Illegalität. Die durchfinanzierten freien Träger machen die Stadt verantwortlich, dass zu wenig passiert und erwarten langfristige Handlungskonzepte. Die Kulturamtsleiterin Birgit-Katharine Seemann ist indes der Meinung, dass man Kunst nicht mit Vorschriften belegen kann. „Wir geben den Rahmen, doch die Autonomie beschneiden wir nicht.“

Was ist aus dem rebellischen Geist geworden, mit dem Waschhaus und „fabrik“ und Mitte der 90er Jahre auch das T-Werk anrückten, um trotz maroder Dächer, zugigen Räumen und permanenter Unterfinanzierung spannungsgeladene Kunst zu präsentieren? Ist die Schiffbauergasse, dieses durchsanierte Denkmal, überhaupt noch der Ort für einen solchen rebellischen Geist aus den Anfangstagen?

In den Aufbruchsjahren nach der Wende wehte ein anderer Geist. Ein besetztes Areal mit vielen Ideen, bunt und quertreibend jenseits allem Angepassten. Niemand kümmerte sich um Statik oder Vorschriften. Es gab lauschige Ecken, knallbunte Graffitis an bröckelnden Backsteinmauern und im heute besonders sterilen Schirrhof Ausstellungen vom Kunstverein Strodehne um die inzwischen abgerissene alte Tankstelle der Russen, die dort ihren Fuhrpark hatten. Heute achtet der Kommunale Immobilien Service darauf, dass alles im Rahmen bleibt und keine eigensinnigen künstlerischen Spuren das Standarddenkmalgrau überziehen. Um Feuerkörbe aufzustellen, braucht man Extragenehmigungen. Alles wirkt behäbig und eingefroren.

Aber die freien Träger sind auch selbst gesetzter geworden. Die wilden Jahre sind vorbei. Die umtriebigen Kunstwerker von einst haben inzwischen Familie, neue Verantwortung und beuten sich nicht mehr freiwillig bis an ihre Grenzen aus. Jetzt wird Qualität groß geschrieben und auf internationale Formate geschaut. Wie in der „fabrik“, in der man sich dem zeitgenössischen Tanz verschrieben hat. Das Team sieht sich nicht mehr allein als freier Träger, sondern als ein frei geführter unabhängiger Theaterbetrieb im internationalen Kontext, der sich, wie der künstlerische Leiter Sven Till betont, in der Qualität mit dem Stadttheaterniveau misst. „Aber mit unseren Mitteln können wir das nur bedingt tun.“

Aber ob nun freier Träger oder frei geführter unabhängiger Theaterbetrieb im internationalen Kontext – in jedem Fall sind sie alle auf Zuschüsse der öffentlichen Hand angewiesen. Als sich nach der Wende die freie Szene zu entwickeln begann, waren diese Zuwendungen wesentlich geringer und stützten nur das Engagement der freien Träger. Ins Waschhaus, T-Werk und in die „fabrik“ fließen inzwischen 830 000 Euro institutionelle Förderung. Vor sechs Jahren waren es noch 540 000 Euro. Allerdings sind inzwischen auch die Betriebskosten der Häuser wesentlich höher.

Früher hätten sie oft auch 60 bis 80 Stunden in der Woche gearbeitet. „Das geht heute nicht mehr. Es braucht Sorgfalt, um etwas zu entwickeln“, sagte Sabine Chwalicz. Anfangs stand sie oft selbst auf der Bühne in den Eigenproduktionen der fabrik-Companie. „Ja, und ich mache im Herbst auch wieder ein neues Stück. Aber das sollte nicht der Fokus sein“, betont sie und spricht von einem Paradigmenwechsel. „Wir sind inzwischen ein produzierendes Theater mit Gästen und nicht an jeder Produktion selbst beteiligt. Wir kuratieren und schauen, wie wir Künstler besser verankern können.“

„Made in Potsdam“ ist so ein Format, das 2011 zum ersten Mal aufgelegt wurde. Ein kleines Festival mit Produktionen, die von Gästen in der Schiffbauergasse inszeniert wurden. Das viertägige Festival zeigte vor allem die Ausbeute der „fabrik“-Residenzen. Das auf fünf Jahre angelegte Artists-in-Residence-Programm, finanziert durch die Kulturstiftung des Bundes sowie durch Stadt und Land, endete 2010, köchelt aber auf Sparflamme weiter. Aus den rund 25 Companien, die bis 2010 in der Schiffbauergasse „In Residence“ arbeiteten, sind inzwischen etwa zehn geworden. Stipendien, die ein freies Experimentieren ermöglichten, gibt es kaum noch. „Wir geben jetzt überwiegend räumliche, technische und dramaturgische Unterstützung“, so Sven Till. Um die Residenzen wenigstens ein Stück weit zu erhalten, erhöhte die Stadt ihre Zuschüsse für die „fabrik“ um 30 000 Euro.

Schillerndstes Markenzeichen und größter Besuchermagnet des Hauses, das in seiner Auslastung zwischen 50 bis 80 Prozent schwankt und im vergangenen Jahr 16 000 Gäste hatte, sind die „Internationalen Tanztage“. Zur Festivalzeit rund um Pfingsten zeigt die Schiffbauergasse die Qualitäten, die in ihr stecken. Jede Aufführung findet ihre adäquate Bühne, denn auch das T-Werk, das Museum „fluxus+“, die Reithalle des Hans Otto Theaters und die fast das ganze Jahr leer stehende Schinkelhalle werden ins Festival integriert.

Das klappt auch andersherum, wenn das T-Werk, das im abgeschotteten Quartier im Schirrhof seine Räume hat, im Herbst zum „Unidram“-Festival einlädt und mit Tanz, Schauspiel, Figurentheater und Performance das Kulturquartier überzieht: ab 30. Oktober nunmehr zum 19. Mal. Auch das mittlerweile vor allem auf theaterpädagogische Angebote und Gastspiele fixierte kleine Haus pausierte in diesem Jahr mit einer Eigenproduktion. Doch das soll die Ausnahme bleiben. „Ganz klar, dass wir auch weiter produzieren, denn das wird nachgefragt“, so T-Werk-Sprecher Jens-Uwe Sprengel. „Wir machen heute wesentlich mehr als noch vor zehn Jahren, die Auslastung ist gut, wir haben 20 000 Gäste.“ Im Vergleich: Das Hans Otto Theater besuchten vergangene Spielzeit rund 100 000 Potsdamer und Touristen. „Von der Personalstruktur sind wir nicht so aufgestellt, dass wir auch die Freiflächen bespielen können. Doch wir tragen so viel wie möglich nach außen. Nicht nur bei Unidram, sondern auch bei der Langen Nacht der freien Theater und bei der Stadt für eine Nacht.“ Das T-Werk arbeitet zusammen mit den freien Theatern „Ton und Kirschen“, dem Poetenpack sowie Shakespeare & Partner und bringt rund zehn Premieren im Kinder- und Jugendtheaterbereich heraus. „Auch unsere Workshops schaffen Identifikation“, so Sprengel. Doch ob das ausreicht für die Ausstrahlung des Standortes, bleibt die Frage.

Im Waschhaus weht ebenfalls ein anderer Wind, nicht nur durch das Missmanagement des scheidenden Geschäftsführers. Es bewegt sich weg von der Soziokultur. Denn natürlich zieht es flippige junge Leute eher in das ebenfalls von der Stadt geförderte alternative Jugendprojekt „Freiland“ an der Friedrich-Engels-Straße, wo es noch Freiräume gibt. Wo man nicht auf einen Koloss von Freilichtbühne starren muss, auf der kaum etwas passiert, weil die Bespielung zu teuer ist. Und wo es nur Riesenpartys gibt und außer „Rubys Tuesday“ die kleinen alternativen Formate fehlen.

Hätte diese Diskrepanz der fehlende Standortmanager richten können? Wäre er in der Lage gewesen, die unterschiedlichen Akteure enger zusammenzuführen, mehr zu organisieren als die drei, vier großen Feste im Jahr? Hätte er womöglich junge Designer der Fachhochschule eingeladen, um gegen die sterilen Flächen aufzubegehren? Diese Fragen haben sich vorerst erübrigt. Die vor einem Jahr begonnene europaweite Ausschreibung für das Standortmanagement wurde im April eingestellt. Das Standortmanagement für die Schiffbauergasse soll nun die kommunale Bauholding Pro Potsdam übernehmen. Doch ob ausgerechnet ein städtisches Unternehmen, dessen Aufgaben vor allem in der Verwaltung, Pflege und Wartung von Gebäuden und Grünanlagen bestehen, die richtige Wahl für die Belebung des Kulturstandortes ist, wird sich zeigen.

„Wir wollen mehr Leben auch am Tag“, sagt Birgit-Katharine Seemann. Die Stadt bemühe sich um Geld für Ateliers und die Ansiedlung junger Künstler in Containern, um Spiel- und Grillplätze, Gastronomie, um das, was lapidar klingt, aber wichtig ist, dass Leute gerne kommen. „Wir warten auf die neue EU-Förderperiode ab 2014, um solche weiterführenden Ideen zu realisieren“, so die Kulturamtsleiterin. Sie könnte also noch kommen: die Uferpromenade, die die Schiffbauergasse mit der Stadt verbindet, der Kunstpfad mit ausgewählten Skulpturen im Freien oder eben die Ansiedlung von Brandenburger Designern.

Aber es wird bürgerlicher werden in der Schiffbauergasse. Die Veranstalter sind in die Jahre gekommen und auch das Publikum ist zum Teil ein anderes. So wie es war, wird es nie wieder. Es wird familiärer. Die einen werden das bedauern, andere sich vielleicht erfreuen. Doch bei aller Qualität, mit der die „Freien“ inzwischen in ihren festen Strukturen neben dem städtischen Theater aufwarten können, für das Überraschende, für das Unangepasste ist niemand zu alt. Keiner der einstigen Eroberer sollte sich selbstzufrieden hinter seinen Mauern verschanzen. Neue Ideen sind gefragt: außen wie innen. Und vor allem gemeinsam.

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