Kultur: Die Wunden des Dichters
Potsdamer Filmgespräch über Thomas Brasch
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Der Film „Brasch – Das Wünschen und das Fürchten“ (2011) über den Dichter, Autor und Regisseur Thomas Brasch ist vieles: ein Nachruf, ein sensibles Dokument einer Freundschaft, auch eine Hommage, auch ein Porträt. Wie sehr er zu berühren vermag, konnte Regisseur Christoph Rüter am Dienstagabend unter anderem an der Sprachlosigkeit ablesen, die nach der Vorführung in der Reihe „Aktuelles Potsdamer Filmgespräch“ im Filmmuseum im Publikum herrschte.
Immer wieder hatte sich Thomas Brasch mit der Kamera selbst gefilmt, Räume, die Dinge um sich herum, festgehalten. Diese privaten Aufnahmen machte Christoph Rüter zum Ausgangspunkt einer essayistischen Betrachtung. Sie werden zu einer Art roter Faden, der den „Ist-Zustand“ des Dichters, der sich in den letzten Jahren „selbst an den Rand treibt“ (Thomas Brasch) bis zu seinem Zusammenbruch 1999 dokumentiert. In diese autobiografischen Aufnahmen sind Fernsehauftritte von Thomas Brasch, Rezitationen von Gedichten und Texten, Szenen aus seinen Filmen und von Aufführungen seiner Theaterstücke und persönliche Interviews des Regisseurs eingewoben. Dabei stand für Christoph Rüter von Anbeginn an fest, dass nur der Künstler selbst zu Wort kommen, niemand anderes über ihn aussagen sollte.
Für den Regisseur, den eine lange, nahe Freundschaft mit Thomas Brasch verband, ist „Brasch“ seine persönlichste Arbeit: „Ein schmerzhafter Film. Es war nicht leicht, den zu machen,“ sagte er – zumal er dabei auch ständig mit der schwierigen Entscheidung konfrontiert war, was von dem zum Teil intimen Material öffentlich werden sollte.
Wie in einem Spiegel – vor dem sich Thomas Brasch oft gefilmt hat – kristallisieren sich in der Lebensgeschichte des Künstlers die großen, nicht verarbeiteten Konflikte des vergangenen Jahrhunderts: Geboren 1945 in England als Sohn jüdischer Emigranten, aufgewachsen in der DDR, in der der Vater verschiedene hohe Staatsämter begleitete. 1968 wurde Thomas Brasch, vom Vater selbst ausgeliefert, wegen Verteilung von Flugblättern gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten in die CSSR zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. 1976 wurde er nach Westberlin abgeschoben, nachdem er ein Manuskript, dessen Veröffentlichung in der DDR verweigert wurde, illegal in die BRD geschickt hatte. Die Prosa „Vor den Vätern sterben die Söhne“ war das erste seiner Werke, das dort erschien. Aber so sehr sich der Autor vorher im Osten gegen die staatstragende Autorität aufgelehnt hatte, so wenig wollte er sich im Westen vereinnahmen lassen.
„Schreiben heißt für mich, öffentlich Angst zu überwinden oder es wenigstens zu versuchen, “ hat Thomas Brasch seinem Freund Christoph in einem Interview auf die Frage „Warum schreibst Du?“ geantwortet. Die Angst war eine zutiefst existenzielle. Künstler oder Krimineller – diese Existenzweisen sah er für sich als die möglichen an, den Schmerz als das, was lebendig hält: Der Film macht nicht nur deutlich, dass Verletzung die Quelle ist, aus der die Kunst dieses überaus begabten Menschen sich nährt. Er lässt die Wunden des Dichters erkennen, benennt, was sie geschlagen hat, zeigt die Widersprüche, die sie hervorgerufen haben. Christoph Rüter hofft, dass sein Film auch dazu anregt, sich mit dem Werk Thomas Brasch’s zu beschäftigen. Im Kino wird „Brasch – Das Wünschen und das Fürchten“ am 3. November anlaufen – dem 10. Todestag von Thomas Brasch. Gabriele Zellmann
Gabriele Zellmann
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