Kultur: Die Zerpflückerin
Katrin von Maltzahns „Alphabet“ im Pavillon auf der Freundschaftsinsel: Zwischen Realität und Fiktion
Stand:
Die Zeichen verschlingen sich zu Ungetümen, bäumen sich auf, fliegen luftig leicht davon. Sich durch das „Alphabet“ der Konzeptkünstlerin Katrin von Maltzahn zu buchstabieren, ist auf dem ersten Blick ein unspektakuläres Sehvergnügen. Das Doppelbödige ihres sehr eigenen Ordnungssinns, der dem Diktat der technischen Vernunft die Stirn bieten will, entschlüsselt sich erst, wenn man gezielt an die Hand genommen wird. Und dafür hat Gerrit Gohlke, Kurator dieser Ausstellung des Brandenburgischen Kunstvereins im Pavillon auf der Freundschaftsinsel, gesorgt. Sein Einführungspapier und das Begleitbuch „Katrin von Maltzahn. Records Journal Survey“ dienen dem Besucher als Schlüssel zur Decodierung. Man tut gut daran, sie auch zu lesen, um dem eigenwilligen Spiel näher auf die Spur zu kommen und die auseinanderstiebenden Zeichen im eigenen Kopf zusammen zu bekommen.
Es sind sehr unterschiedliche Schauplätze, zu der dieser Rückblick auf sieben Jahre Arbeit der Künstlerin einlädt. Am sinnkräftigsten erweist sich ihre technische „Zerpflückung“. Katrin von Maltzahn nahm einen alten Computer auseinander und ließ sich von dessen Einzelteilen zu einer eigenen „Formatierung“ inspirieren, die die gewohnte Ordnung auf den Kopf stellt. Was auf ihren kleinen Schwarz-Weiß-Bildern wie Pusteblumen oder explodierende Feuerwerke anmutet, sind tatsächlich Datenstrukturen, die die an der Kunsthochschule Leipzig lehrende Professorin grafisch umgesetzt hat. Ihre verästelten „Daten-Botanik“-Blätter strahlen durch die hohen Fenster in den Foerster-Garten hinaus, kokettieren mit der natürlichen Pflanzenwelt.
Wie archäologische Funde muten indes ihre auf ein Podest erhobenen Tonarbeiten an, die zu Füßen eines malerischen Requiems auf das immer mehr aus der Kommunikationswelt verschwindene „ß“ liegen. Modell für die plastischen Arbeiten standen Speicherchip, Lüfter oder einfach eine Schraube aus dem ausgeschlachteten Computer. Mit ihren groben Nachformungen aus Ton, dem sie ganz viel Sand beigemischt hat, streut sie sozusagen auch Sand ins Getriebe einer zu starren Ordnung und Vernunft. Sie wollte keine Designobjekte modellieren, sondern Körper aus extra grobem Material, so die Künstlerin, der es um die Leichtigkeit im Denken geht, wie sie betont. Was sie überrascht, hält sie mit beiden Händen fest und betrachtet es mit Forscherblick bis in die verborgenen Tiefen. So eine Überraschung lief der Querdenkerin beispielsweise vor gut einem Jahr in Paris über den Weg, als sie einfach nur afrikanisch essen gehen wollte. Statt auf ein Restaurant stieß sie auf eine Vielzahl von Läden mit afrikanischen Stoffen, von denen sie sofort ein paar Ballen kaufte. Doch wie ihre Recherchen ergaben, stammten diese Stoffe gar nicht aus Afrika, sondern aus Holland. Seit 1855 produziert die einstige Kolonialmacht Stoffe. Anfangs verschiffte sie sie nach Asien, doch ohne rechte Nachfrage. Schließlich umso erfolgreicher nach Afrika. Also ließen die Stoffhersteller Zeichensysteme und Muster Afrikas einfließen und heute denken die meisten Käufer, dass sie eben echte afrikanische Stoffe erwerben. Wenn die Künstlerin dieses farbenfrohe Textil fast unauffällig übermalt, nennt sie das Bildzerstörung auf virtuellen Landschaften. Und wie nebenbei erzählt sie ein Stück Kolonialgeschichte mit. Unaufdringlich nähert sie sich dem trügerischen Spiel von Schein und Sein. Den entwurzelten zerstobenen Zeichen gibt sie bildkräftig Halt.
Die 1964 in Rostock geborene Künstlerin, die in Salzburg, Berlin und New York Malerei, Grafik und Philosophie studierte und bereits auf zahlreichen internationalen Ausstellungen vertreten war, macht es den Betrachtern nicht immer leicht. Gerade in ihrer 22-teiligen Arbeit „Borges“ fügen sich die Puzzlestücke nur schwer zu einem fassbaren sinnlichen Erleben zusammen. Dabei ist die Geschichte, die hinter der Beschwörung der prismenhaften Formen an den Pavillonwänden steckt, durchaus spannend. Bei einem Aufenthalt im australischen Melbourne besuchte sie den wundersamen Bibliotheksbau aus dem Jahr 1913. Der achteckige Lesesaal zog sie magisch an, vor allem die Zitate rundherum. Eines stammte von dem argentinischen Autor Jorge Luis Borges, den sie hoch verehrte. Er bezeichnete in dem Zitat die Bibliothek als ein irdisches Paradies. Ein Zeitungsartikel, den Katrin von Maltzahn aufstöberte, berichtete, dass Borges tatsächlich während eines Vortragsaufenthaltes in dieser Bibliothek gearbeitet hätte. Als er wieder nach Hause fuhr, platzte eine Ader in seinem Auge und er erblindete. Sein letzter optischer Eindruck sei also die Bibliothek gewesen. Die Malerin war ergriffen von dieser Geschichte und schrieb das Zitat von Borges mit geschlossenen Augen nach. Sie malte auch das Oktagon des Saales immer wieder prismenhaft nach. Mitten in der Arbeit erfuhr sie von einem Bibliothekar, dass der Artikel nur eine literarische Ente, Borges nie in Melbourne gewesen war. Ihre Arbeit nahm nun einen anderen Verlauf. Sie spürte der Grenze zwischen Fiktion und Realität nach. Zu dieser Erkundung gehören nun auch ihre farblich brodelnden, aquarellierten Landkarten, die Fingerreisen sein könnten. Unterwegs zwischen den Parallelwelten.
Zu sehen bis 17. Mai, Di bis So, 12 bis 18 Uhr, Pavillon auf der Freundschaftsinsel
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: