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Vielfach ausgezeichnet. Die polnische Schriftstellerin Joanna Bator.

© K. Lukasiewicz

Interview: „Diese Erde ist mein Schatz“

Die polnische Autorin Joanna Bator über ihren neuen Roman „Dunkel, fast Nacht“, aus dem sie am Montag in Potsdam liest.

Stand:

Frau Bator, in Ihrem soeben auf Deutsch erschienen Roman „Dunkel, fast Nacht“ ist ihre Heimatstadt Waldenburg in Aufruhr: Drei Kinder sind verschwunden. Man fühlt sich erinnert an die Suche nach Elias und Mohamed. Aber in Ihrem Buch ist die Suche mehr als halbherzig, die Menschen scheinen mit etwas ganz anderem beschäftigt. Was ist das, was die Leute umtreibt?

Waldenburg ist die Stadt meiner Kindheit, aber es ist auch die Stadt, von der ich aus der Distanz heraus auf ganz Polen schaue. Ich habe den Roman in Japan geschrieben. Von dort aus hatte ich beobachtet, vor allem in Internetforen, wie der Hass in Polen wächst.

Gegen wen richtet sich der Hass?

Traditionell sind es die Roma und Juden, aber das ändert sich derzeit. Er trifft Ausländer, Moslems, sexuelle Minderheiten. Der Hass dem Fremden gegenüber ist immer verbunden auch mit dem Hass gegenüber den Frauen. Die Menschen, die in meinem Roman angeblich auf der Suche nach den verschwundenen Kindern sind, suchten eigentlich nicht nach den Opfern, sondern den Tätern. Man sucht nicht nach rationalen Erklärungen, sondern bewegt sich in Sphären des Irrationalen. Es ist typisch für Polen, nach einem Schuldigen zu suchen. Vor ein paar Tagen hatte unser Präsident einen Autounfall. Sofort kursierten in den Internetforen Verschwörungstheorien, Schuld an dem Unfall seien die Juden, die Russen oder die Deutschen.

In einem zweiten Strang beschreiben Sie Waldenburg als einen magischen Ort. Unter Schloss Fürstenstein soll sich ein Zug voller Gold befinden. Darüber wird derzeit auch viel hierzulande berichtet. Sehen Sie diese Goldgräbermentalität auch als typisch für das heutige Polen an?

Die Suche nach den verborgenen Schätzen der Deutschen hat es hier schon immer gegeben. Das ist kein neues Phänomen. Es wurde schon immer gesucht nach dem, was die Deutschen in der Erde vergraben haben, als sie das Land verließen.

Wie haben Sie das als Kind erlebt?

Ich erinnere mich, dass wir schon als Kinder viel in der Erde fanden, Porzellangeschirr etwa, mit der Aufschrift „Bavaria“. Neulich sah ich auf einem Flohmarkt in Berlin eine Porzellantasse. Für mich war klar, dass sie jemand aus der Erde geholt hat. Es gab unter Schloss Fürstenstein geheime Gänge, die irgendwo endeten, die ganze Stadt ist untertunnelt. Diese Erde ist mein Schatz. Daraus schöpfe ich die Geschichten meiner Romane. Außerdem war Walbrzych eine Bergarbeiterstadt. Jeden Morgen verschwanden die Menschen in der Erde, um dort zu arbeiten. Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass unter der Oberfläche etwas anderes existiert.

Die Protagonistin Ihres Romans, Alicja Tabor, kehrt als Journalistin in ihre Heimatstadt zurück, um eine Reportage über die drei verschwundenen Kinder zu schreiben. Sie selbst wohnt in einem Haus, in dem einst Deutsche wohnten und in das die Familie nach Ende des Krieges gezogen ist. Auch das trägt autobiografische Züge?

Ich habe die ersten sechs Jahre bei meinen Großeltern gelebt, die in so einem Haus wie Alicja wohnten. Es gab darin viele Gegenstände, die die Deutschen hinterlassen hatten. Etwa einen großen Eichenschrank, in dem ich mich gerne versteckt habe. Meine Oma bewahrte darin einen Sack Zucker auf für schlechte Zeiten. Von dem Zucker habe ich immer genascht, wenn ich in dem Schrank war. Es gab auch ein Punschgefäß von den Deutschen, das auf mich sehr furchteinflößend wirkte, es sah aus wie eine Urne. Meine Familie wusste nichts damit anzufangen. Später bekam ich es geschenkt und bewahrte darin Dinge auf oder zündete Kerzen darin an. Ich habe es immer noch und ich frage mich, wer nun eigentlich der Besitzer ist – die Familie, der es gehörte oder ich, die es nun schon seit 40 Jahren mit mir herumtrage?

Bereits in Ihren Romanen „Sandberg“ und „Wolkenfern“ schreiben Sie über Ihre Heimat Waldenburg. Ihr neues Buch ist mit Abstand das düsterste und gespenstischste der Trilogie. Woran liegt das?

Ich habe das beim Schreiben gar nicht so empfunden. Aber ich habe den Roman in einer für mich sehr schweren Zeit geschrieben. Es war die Zeit des Erdbebens und des Tsunamis in Japan. Ich schrieb das Buch 2011 mit Blick auf den Fujiama und ich habe im wahrsten Sinne des Wortes erlebt, wie mein eigenes Haus wankte, wie die Erde aufbrach. Die Bilder über den Tsunami sind die schrecklichsten Bilder, die ich in mir trage. Mir ist bewusst geworden, dass wir in Europa in einem falschen Gefühl der Sicherheit leben, wir glauben an den Fortschritt, dass alles besser und heller wird, wir immer reicher werden. Die Kriege haben wir vergessen. Ich habe damals gespürt, dass da auch etwas anderes kommen kann.

Ihr Roman ist Gothic Novel und Kriminalroman zugleich. Hatten Sie bewusst Vorbilder?

Wenn ich schreibe, halte ich wie in einem Gefäß die ganze Materie bereits in meinen Händen. Ein Rezensent hat geschrieben, dass es Anlehnungen an einen bestimmten Autor gibt. Ich kenne den aber gar nicht. Wenn es Anlehnungen gab, dann waren sie mir nicht bewusst. Aber natürlich trage ich diese Kultur in mir, wenn ich schreibe.

Sie sind derzeit als DAAD-Stipendiatin in Berlin, nur noch wenige Tage, seit einem Jahr. Und Sie schreiben hier an Ihrem nächsten Roman. Wird er wieder in Waldenburg spielen?

Nein, in einem anderen Ort, Frankenstein. Auch ein Ort in Niederschlesien, Zabkowice Slaskie. Der Roman „Frankenstein“ von Mary Shelley spielt darin eine Rolle. In meinem Roman geht es um Totengräber, denen man nachsagt, Seuchen zu verbreiten. Ich mag den Typus Helden, die Ungeheuerliches erlebt haben.

Das Interview führte Grit Weirauch

Joanna Bator liest am Montag, dem 14. März um 19 Uhr im Literaturladen Wist aus ihrem Roman „Dunkel, fast Nacht“.

ZUR PERSON: Joanna Bator, 48, geboren im polnischen Waldenburg, lebt als Schriftstellerin in der Nähe von Warschau. Sie studierte Kulturwissenschaften und Philosophie und arbeitete als Dozentin für Philosophie an verschiedenen Hochschulen. Die Erfahrungen ihres dreijährigen Aufenthalts in Japan schrieb sie in „Japonski wachlarz“ nieder. Bator wurde vielfach ausgezeichnet. Für ihren Roman „Ciemno, prawie noc“ erhielt sie 2013 die Nike, den wichtigsten polnischen Literaturpreis. 2014 war sie Inhaberin der Dürrenmatt Gastprofessur für Weltliteratur an der Universität Bern.

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