
© A. Klaer
Kultur: DJ des Barock
Es wird gemütlich: 2016/17 verbindet das Neue Kammerorchester Sinfonisches mit moderner Hörpraxis
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Hat er oder hat er nicht – Bier getrunken? Dieser Herr Bach, großer Komponist und Organist, einer der bedeutendsten Kirchenmusiker, Oberhaupt einer ganzen Musikerdynastie? Es könnte so gewesen sein, sagt Ud Joffe, künstlerischer Leiter des Neuen Kammerorchesters Potsdam (NKOP). „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Bach als Mitteldeutscher kein Verhältnis zu Bier hatte.“
Tatsächlich soll Johann Sebastian Bach einst die kleine Oper „Die Klugheit der Obrigkeit in Anordnung des Bierbrauens“ komponiert haben. So hat Joffe ohne große Bedenken ein Sinfoniekonzert der neuen Saison „Bach & Bier“ genannt. Auch weil Johann Sebastian und später seine Söhne regelmäßig Konzerte im Zimmermannschen Kaffeehaus in Leipzig leiteten, auch im gut besuchten Biergarten. Bach, der DJ des Barock? „Das war die Unterhaltungsmusik der Zeit und ein voller Erfolg“, sagt Joffe. Der Inhaber Gottfried Zimmermann machte mit den eintrittsfreien Musikevents richtig Umsatz und habe es sich sogar leisten können, für die Musiker hauseigene Musikinstrumente anzuschaffen – erfolgreiche Kulturpolitik.
Mit den kommenden Konzerten des Neuen Kammerorchesters will Joffe nun ein wenig das Schubladendenken hinsichtlich der Einordnung der Klassik in Frage stellen. „Wir polarisieren ja zu gern, hier ernste Musik, da Unterhaltungsmusik. Dabei kommt es nur darauf an, Glücksgefühle zu wecken. Es soll dem Zuhörer einfach gut gehen.“ Und so heißt das Motto der neuen Konzertsaison „Zum Wohl!“, jedes der vier Konzerte wird dabei mit einem alkoholischen Genussgetränk nicht nur symbolisch verbandelt. Bei jedem Konzert wird es – im Kartenpreis inklusive – ein Getränk geben. Um ganz praktisch die bierernste Klassik in neues Licht zu stellen. „Wir haben eine Aufgabe, nämlich neues, junges Publikum zu gewinnen. Dafür verlassen wir gern sicheres Terrain und probieren neue dramaturgische Ideen aus“, sagt Joffe.
Beim ersten Konzert am Freitag, dem 16. September, gibt es zur Musik von Bach, Ottorino Respighi, Nino Rota und dem Brasilianer Heitor Villa-Lobos einen Mojito. In der Schinkelhalle soll mit gemütlichen Sitzgruppen eine Bar-Atmosphäre entstehen. Solistin ist die klassische, mit vielen namhaften Musikpreisen ausgezeichnete Saxophonistin Asya Fateyeva. Sie spielt Heitor-Lobos’ „Fantasia für Saxophon“ sowie die Arie aus dessen „Bachianas Brasileiras“ – eine Hommage an den Kollegen des deutschen Barock.
Gern spielt Joffe mit der Erwartungshaltung des Publikums. So holt er Instrumente dazu, die scheinbar nicht in ein Sinfoniekonzert passen – wie das Saxophon, das es nie in die offizielle Besetzung des klassischen Orchesters schaffte. Und wie das Bandoneon, das doch so gut zum Tango passt, der sich wiederum, in den Kompositionen Ástor Piazollas, von der Barmusik zum Tango Nuevo entwickelte und somit bühnentauglich wurde. „Dafür wurde er von den Anhängern des alten Tangos sogar beschimpft“, sagt Joffe. Schubladendenken ist also nichts Neues. Das Frühlingskonzert hat Joffe nun ganz dem Tango gewidmet, es gibt Musik von Piazolla, Darius Milhaud, Carlos Gardel und Eduardo Arolas. Solist am Bandoneon ist Lothar Hensel. Auf der Getränkekarte findet sich argentinischer Wein.
Für den Juni ist „Bach & Bier“ angekündigt. Das Brandenburgische Konzert Nr. 3 und das Doppelkonzert für Oboe und Violine wird als „Die besten instrumentalen Hits des J. S. Bach“ beworben. Dazu passt: gelesene Liebeslyrik des Barock und frisch Gezapftes.
Erstmals spielt das Kammerorchester direkt in der Silvesternacht ein Konzert. „Prosit Neujahr“ heißt das Programm mit Musik von Johann Strauss II, darunter die Fledermaus-Ouvertüre und der Kaiser-Walzer, außerdem Walzer von Tschaikowsky, Schostakowitsch und Sibelius. Gesangssolisten sind die Sopranistin Nina Bernsteiner und der Tenor André Khamasmie. Das Konzert in der Erlöserkirche beginnt erst um 22 Uhr, mit einem Glas Sekt wollen Musiker und Publikum anschließend um Mitternacht auf das neue Jahr anstoßen – am liebsten draußen auf dem Tschäpeplatz vor der Kirche. Hier treffen sich Silvester traditionell viele Anwohner aus Potsdam-West. „Es ist richtig schön hier“, sagt der Orchesterchef aus eigener Erfahrung.
Im Neuen Kammerorchester Potsdam spielen derzeit 20 bis 50 semiprofessionelle oder freiberufliche Musiker in unterschiedlichen großen und kleineren Besetzungen. In Potsdam wie auch in Berlin und Brandenburg ist das NKOP zudem gefragter Partner für Choraufführungen. So ist das Orchester in der kommenden Saison unter anderem in drei Konzerten der „Vocalise“ zu erleben, bei Bachs „Weihnachtsoratorium“ und dem „Paulus-Oratorium“ von Mendelssohn Bartholdy.
Die neue Saison beginnt für das Orchester mit einem neuen Vorsitzenden des Trägervereins. Alexander Schulz leitet beruflich die Öffentlichkeitsarbeit des Diakonissenhauses Teltow, in seiner Freizeit singt er im Chor an der Erlöserkirche. „Ich erlebe also die Rolle des Orchester aus der Perspektive eines Chorsängers“, sagt Schulz. Joffe freut sich auf die Zusammenarbeit: „Es passt einfach. Ich kann mich drauf verlassen, dass ich von ihm guten Rat bekomme.“
Erstes Sinfoniekonzert „Zum Wohl“ am Freitag, 16. September um 19.30 Uhr in der Schinkelhalle, Schiffbauergasse. Karten kosten 20, ermäßigt 15 Euro. www.nkop.de
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