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Kultur: Durch die Ohren direkt in die Magengrube

Der schwedische Schlagzeuger Magnus Öström auf eigenwilliger Klangreise im Nikolaisaal

Stand:

Er gilt als großer Jazz-Schlagzeuger – aber das Konzert mit Magnus Öström und Band im Nikolaisaal Samstagabend war nicht als Jazz-Event angekündigt. Und das war gut so. Denn eine schnöde Kategorisierung hat dieser Künstler nicht verdient. Die Musik seines akteullen Albums „Thread of Live“ sowie einige neue Stücke, die er – teils als Uraufführung – präsentierte, lassen sich kaum einordnen. Zwar ist Öström untrüglich vom Jazz-Fach, hat aber keine Berührungsängste. Vor allem aber besitzt er ein Gespür dafür, die verschiedensten Einflüsse von Independent bis Rock, Elektro und kreativen, experimentellen Sounds, die teilweise an die psychedelischen Experimente von Bands wie Pink Floyd erinnerten, miteinander zu verbinden und jedes Mal etwas Neues entstehen zu lassen.

Der Schlagzeuger aus Schweden war mit einer überraschend jungen Band angetreten. Zehn bis 15 Jahre jünger sind die Kollegen und tun ihm offensichtlich gut. Die vier schlaksigen Kerle spielten eine halbe Stunde, bevor sie ihr Publikum begrüßten, bevor Öström eigentlich zum ersten Mal den Kopf von seinem Set hob und in den Saal schaute. Dass so viele gekommen sind, könne er gar nicht glauben, sagte er auf Englisch, „amazing!“.

Die Potsdamer waren am Ende hin und weg von der Musik, die meist den direkten Weg von den Ohren in die Magengrube nahm. Ganz zart begann Öström mit einem Intro, streichelte über ein paar chinesische Gongs, Gustaf Karlöfs friemelte am Keyboard, und eine Weile wusste man nicht, ist das noch Soundcheck oder schon Konzert. Dann findet sich eine Struktur, ein Groove, bis es einen wegschwemmte, man irgendwo ankam – und sich dabei irgendwann auch die eigene körperliche Anspannung löste. Hatte man vergessen zu atmen? War da was?

Das sollte sich durch den Abend ziehen, die vier Musiker auf der Bühne schwebten teils selbstvergessen durch unendliche Tracks, dann suchten sie Blickkontakt, schoben das Stück zusammen, bis es in eine Richtung davon stampfte – und dann plötzlich eine völlig ungeahnte Wendung nahm, weil der Keyboarder ein schräges Kling-Klong hineinwarf oder Öström einen konträren Rhythmus.

Er ist die Hauptperson – aber so richtig wohl scheint er sich in der Rolle nicht zu fühlen. Nur die klare Ansage, dass alle Stücke von ihm geschrieben wurden, lässt darauf schließen. Ansonsten machte er sich klein, spielte krumm und gebeugt und schaute selten auf von seinem Schlagzeug, das er ohnehin extrem niedrig aufgebaut hatte. Meist nahm er sich zurück, wischte mit den Besen, streichelte die Felle und Becken und ließ einfach die Kollegen ran. Mit Thobias Gabrielsson neben ihm an Bass und Bass-Sythesizer-Sampler bildete er eine Einheit, Gitarrist Andreas Hourdakis rechts außen ist der jüngste und spielte mit seiner Gibson SG überraschenderweise eine E-Gitarre, die man bei einem Jazz-Konzert nicht erwartet hätte – auch das passte zur unkonventionellen Art der vier Musiker. Dazu kam eine wunderbare Lichtshow, die eine teils hypnotische Stimmung erzeugte. Aufstehen wollte beim plötzlichen Konzertende keiner – zum Applaudieren dann aber schon. Steffi Pyanoe

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