Kultur: Düster und doch poetisch
Morgen haben „Kleine Engel“ Premiere / Ein Kinderstück über Arbeitslosigkeit
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Morgen haben „Kleine Engel“ Premiere / Ein Kinderstück über Arbeitslosigkeit Von Heidi Jäger Das Thema Arbeitslosigkeit ergreift wie eine Krake zunehmend von der Gesellschaft Besitz. In immer mehr Familien sitzt dieser zerstörerische Geist mit am Tisch, nagt an Lebenslust und Selbstwertgefühl. Auch die Kinder spüren die Last, die die Eltern oft selbst kaum zu tragen vermögen. So ist es wohl längst überfällig, dieses Erniedrigung, Angst und Zwietracht säende Phänomen auch auf die Bühne zu bringen. Im Land Brandenburg geschieht das nun gleich in Folge. Gerade erst sorgte Rolf Hochhuths Stück „Mc Kinsey kommt“ in der einstigen Hochburg der Stahlarbeiter für Schlagzeilen und ausverkaufte Vorstellungen. Ab morgen ist das Thema nun auch im Kinder- und Jugendtheater des Hans Otto Theaters präsent. Anders als die papierne AgitProp-Aufklärung von Hochhuth kommt das Stück „Kleine Engel“ des italienischen Autors Marco Baliani allerdings sehr poetisch und fantasievoll daher. Dennoch scheint es ein riskantes Unterfangen, gerade Kinder mit so einem düsteren Thema zu konfrontieren. Doch die Inszenierung besteht beim gestrigen ersten Durchlauf vor Publikum durchaus ihre Feuerprobe, und Regisseurin Bettina Rehm atmet erleichtert auf. Die 9- bis 11-jährigen Schüler bleiben die 70 Minuten am Geschehen dran, auch wenn einige im Nachhinein erklären, es habe ihnen an Action gefehlt. Bettina Rehm, die das erste Mal in Potsdam gastiert, kann bereits auf etwa 30 Inszenierungen im Schauspiel, Musiktheater und Kinder- und Jugendtheater zurückblicken. „Ich kannte die ,Kleinen Engel“ vorher nicht, wusste aber, dass sie überall dort, wo sie gespielt wurden, großen Erfolg hatten.“ Das preisgekrönte Stück taucht ein in die Welt der zwei Arbeitslosen Assunta und Rocco. Beide begegnen sich am Ende einer einsamen Straße. Seit Tagen haben sie nichts gegessen und kein Dach über“n Kopf. Doch hier unter der letzten Laterne soll es endlich Arbeit für sie geben. Das jedenfalls versprach ihnen der Mann in Schwarz, und sie schenkten ihm dafür das letzte, was sie noch besaßen. Anfangs stehen sich die beiden Suchenden als Konkurrenten gegenüber. Jeder hat Angst, wieder umsonst gewartet zu haben. Doch allmählich kommen sie sich näher, entdecken ihre Träume und Wünsche. Die Arbeit lässt sich dennoch nicht herbei zaubern, auch nicht mit engelhaften Flügelschlägen. „Gibt es auf der Erde keine Arbeit, dann finden wir sie eben im Himmel“, lassen sich Assunta und Rocco dennoch die Hoffnung nicht nehmen. „Bei allem Drastischen des Themas wird das Stück von einer großen Poesie durchzogen. Es bedient sich sehr schöner Bilder und biedert sich an keiner Stelle dem heutigen Sprachjargon an.“ Bettina Rehm sieht hinter „Kleine Engel“ keineswegs die Absicht, junge Leute auf die Arbeitslosigkeit vorzubereiten. „Aber sie ist mittlerweile ein gesellschaftliche Erscheinung, der man nicht mehr ausweichen kann. Jeder kennt Arbeitslosigkeit aus der eigenen Familie oder aus dem Bekanntenkreis. Und es gibt auch kein Ost-West-Gefälle mehr.“ Sie selbst komme aus Saarbrücken und erlebte hautnah, wie die Kohlengruben geschlossen wurden. Gemeinsam mit Bühnenbildner Dirk Seesemann habe sie für ihre Inszenierung einen sehr schroffen Ort gefunden: das Niemandsland. Von der Morgen- bis zur Abenddämmerung spielt sich dort das Leben von Assunta und Rocco ab, „die zu einer sehr schönen Beziehung, in der auch Sinnlichkeit aufkeimt, zueinander finden. Für mich kommt Rocco direkt von seiner Mama. Es ist bestimmt das erste Mal, dass er sein Dorf verlässt. Assunta hingegen wuchs im Waisenhaus auf, und ist viel stärker. Beide können voneinander lernen: Er von ihrer Energie, sie von seiner Nachdenklichkeit. Bei den Proben haben wir durch die Situationskomik auch immer wieder viel gelacht, so dass wir schon Angst hatten, ob auch die Not der Menschen stark genug zu spüren ist.“ Für die Regisseurin war das Zusammenspiel der beiden Schauspieler Anja Dreischmeier und Axel Strothmann, die ebenfalls Gäste sind, ein absoluter Glücksfall. „Sie haben sich sofort gemocht.“ Die freischaffende Regisseurin arbeitet einmal im Jahr für das Kindertheater. „Dort muss man sehr geradlinig erzählen, ohne Ironie und Zynismus. Das ist eine gute Übung auch für das ,große“ Schauspiel. Und je älter ich werde, um so distanzierter stehe ich dem Zynismus gegenüber. Ich inszeniere inzwischen nur noch Stücke, die mir etwas sagen und in der man Haltung zeigen muss“, sei es ein Stück über Neonazis oder Kindesmisshandlung. Auch Tschechows „Kirschgarten“ oder Schnitzlers „Der einsame Weg“ gehören dazu. Aber immer wieder auch Zeitgenössisches, wie „Das Fest“ von Thomas Winterberg, das im März in Trier Premiere hat. Zuvor aber erheben sich in Potsdam die „Kleinen Engel“ und nehmen Assunta und Rocco zu sich - vielleicht. Bettina Rehm beschäftigte beim Inszenieren aber nicht nur die Frage der Arbeitslosigkeit, sondern auch das Maß des Arbeitspensums, das täglich jeder auf sich nimmt und welchen Sinn der Einzelne in seiner Arbeit sieht. „Ich selbst fand im Regieführen die Erfüllung meines größten Wunsches. Assunta hingegen will Putzfrau, Rocco Drechsler werden. Jeder muss seinen Traum leben.“ Auch für die meisten Zuschauerkinder ist ganz klar, was sie später werden wollen: Tierarzt, Kriminalist, Meeresbiologe, Fußballer ...
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