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Kultur: Eigene Innenansichten

Chaim Noll las bei der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Potsdam

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Der Roman „Die Abenteuer des Werner Holt“ von Diether Noll und der gleichnamige DEFA- Film gehörten zum Bildungskanon des DDR-Schulsystems. Die Geschichte des kommunistischen Schriftstellers und Antifaschisten war innerhalb der DDR-Grenzen hinlänglich bekannt. Nicht bekannt war seine jüdische Herkunft. Ein Verschweigen, das systemimmanent war, wie der 1954 in Ostberlin geborene Sohn des Schriftstellers, Chaim Noll, in seinem Vortrag feststellte.

Die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit und die evangelische Studentengemeinde hatten den in Israel lebenden Schriftsteller Chaim Noll zu einer Lesung eingeladen. 2006 war der Essayband „Meine Sprache wohnt woanders“, den er gemeinsam mit Lea Fleischmann herausgab (Verlag S. Fischer), erschienen. Nicht ohne Schwierigkeiten, wie Noll erzählte. Der proisraelische Tenor des Buches stieß bei dem Verlag auf Widerstand. Auch eine Systemimmanenz, wie Noll feststellte. Seit der zweiten Intifada und der von ihm als sehr israelfeindlich erfahrenen Berichterstattung in den deutschen Medien, ist Chaim Noll viel auf Lesereisen in seiner alten Heimat unterwegs, um dem einseitigen Bild, seine eigenen Innenansichten entgegenzusetzen.

Lea Fleischmann und Chaim Noll gehören in Israel der kleinsten Einwanderungsgruppe (von 145 Gruppen) an. Beide kommen aus Deutschland. Beide schreiben in der Sprache ihres Geburtslandes. Beide sind Kinder deutscher Juden, die die Shoa überlebten. Beide kamen auf der Suche nach ihrer Identität vom Kommunismus zum Judentum und zur jüdischen Religion.

Chaim Noll studierte in Berlin Kunstgeschichte. 1983 verließ er mit seiner Familie die DDR. Seit 1995 lebt er in Israel, wo er in Beer-Sheva an der Universität tätig ist. Lea Fleischmann wurde in Ulm geboren. Als Studentin der 60er Jahre wurde sie eine glühende Feministin. Vor zwanzig Jahren ging sie mit ihren Kindern nach Israel. In den Essays, so erklärte Noll, werden beide Herkünfte und Ankünfte beschrieben, die trotz aller Unterschiedlichkeit viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Und auf wundersame Weise miteinander kommunizieren. Nur den Text, „Klarer Himmel über Jerusalem“, der unmittelbar nach seiner Ankunft in Jerusalem entstand, las Noll am Vortragsabend. Darin versucht er, die nicht irdische Ausstrahlung der tausendjährigen Stadt zu beschreiben, in der die Steine die gleiche Farbe wie die Landschaft haben, in der die Luft „bevölkert ist“ und „die Stille beredt“. In dieser Stadt erscheint dem Neuankommenden alles möglich. Hier würde er sich nicht einmal wundern, wenn seine verstorbene Großmutter über den Markt spazierte.

Eine „entfernte Gemeinsamkeit“ einte hier das durch seine Herkünfte so unterschiedliche jüdische Volk, dessen gemeinsame Wurzel das biblische Land und die hebräische Sprache wären. Im Essay scheinen nicht einmal die „patroullierenden Soldaten in einer meergrünen Uniform, behängt mit viel Technik“ die Schönheit der hoch erbauten Stadt zu stören.

Die ersten Fragen der zahlreichen Zuhörer zielten dann auch auf Nolls Haltung zum Militär. Im Gegensatz zur DDR, wo er den Militärdienst verweigerte, wäre in Israel die Armee überlebensnotwendig. Hier wäre auch der Militärdienst für ihn akzeptabel, auch wenn er große Ängste um seine Kinder während ihrer Einsätze hätte. Aber Ängste gehörten zum täglichen Leben und Überleben in Israel, nicht erst seit der zweiten Intifada. Die Frage danach, wie Jesus im Talmud bewertet wird, beantwortete Chaim Noll sehr hintergründig mit einem Witz: Wenn der Messias käme, würden die Rabbiner ihn fragen, ob er schon einmal da war? Ein gelungenes Schlusswort für eine christlich- jüdische Veranstaltung. Barbara Wiesener

Barbara Wiesener

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