
© HL Böhme
Kultur: Ein Abend zum Schwelgen
Cole Porters Musical „High Society“ feierte am Hans Otto Theater seine umjubelte Premiere
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Nico Rabenald ist der richtige Mann für die heitere Muse, die bekanntlich schwer zu bewerkstelligen ist. Bereits zwei erfolgreiche Visitenkarten seines Könnens hat er in der vergangenen Spielzeit mit „La Cenerentola“ und „My Fair Lady“ in Potsdam vorgelegt. Vor allem durch Tempo und Witz zeichneten sie sich aus. Nun hat das Hans Otto Theater ihn wieder in sein Haus geholt, um ihn Cole Porters und Arthur Kopits Musical „High Society“ zu übertragen.
Wer wär schon gerne Millionär? Diese rein rhetorische Frage stellt sich in der Geschichte ein Journalistenpärchen (Jennifer Caron und Jon-Kaare Koppe), das in die Millionärsfamilie Lord eingeschleust wurde. Es soll über die bevorstehende Hochzeit der Tochter Tracy Samantha Lord (Franziska Melzer) mit dem Aufsteiger George Kittridge (Philipp Mauritz) berichten. Ihr erster Mann Dexter Haven (Eddie Irle) glaubt immer noch an seine erste große Liebe Tracy und unternimmt alles, um die Widerspenstige zu zähmen. Am Hochzeits-Vorabend aber bekommt Tracy das große Flattern. Sie zweifelt an ihre Liebe zu dem Langweiler George. Action will sie und nicht von einem Waschlappen vergöttert werden. Und so landet sie voll süßen Champagners mit dem Journalisten Mike im Swimmingpool. Die Karten für die Hochzeit werden kräftig gemischt: alte und neue Paare finden zueinander, bis schließlich zusammenkommt, was zusammengehört.
Bekannt wurde die Oberschichten-Komödie 1956 durch den Film „Die oberen Zehntausend“ mit den hinreißenden Stars Grace Kelly, Bing Crosby und Frank Sinatra. Auch Katherine Hepburn brillierte bereits 1940 als Tracy in „Die Nacht vor der Hochzeit“. Fans haben in dutzenden Video-Sitzungen vor allem den Hollywood-Film aus den fünfziger Jahren verinnerlicht. Gegen eventuelle hochgeschraubte Erwartungen – vor allem musikalische – musste Nico Rabenald ansteuern. Und dies an einem Haus, das sich in erster Linie nicht Musical-Aufführungen widmet.
Der Regisseur hat die seltene Gabe, aus Künstlern mehr herauszuholen, als sie sich vielleicht selbst zutrauen. In „High Society“ hat er mit seinem Darsteller-Team und dem Orchester ein mitreißendes Tempo angeschlagen und dem Ganzen einen verschmitzten Esprit gegeben. Nun muss man einer bejahrten Geschichte wie dieser nicht auf Teufel komm raus mit krassen Mitteln unsere problemgeladene Gegenwart überhelfen, aber ein klein wenig mehr Ironie und sogar Sarkasmus hätte der Aufführung gutgetan. Der schnöde Mammon braucht hin und wieder einen Hieb vor das Schienbein. Anstatt manches zu brechen, lief einfach alles zu glatt ab. Aber Rabenalds Devise hieß wohl: Wir wollen niemanden verärgern. Schließlich tummeln sich in der Umgebung des Theaterstandortes so manche Schönen und Reichen dieser Stadt.
Die Inszenierung konnte mit viel Charme aufwarten, sodass man den Reichsten der Reichen mit Sympathie begegnet. Wenigstens in der Traumfabrik Hollywood und nun auf der Bühne des Hans Otto Theaters. Und das Premierenpublikum war hörbar dankbar für dieses Musical-Angebot. Es jubelte am Schluss der Premiere dem Regisseur und den Mitwirkenden mit langem Applaus zu. Ja, man konnte an diesem Abend schwelgen. So über das wunderbare Bühnenbild von Eva-Maria Westerveld, das in großer Schnelligkeit die verschiedenen Orte des Hauses Lord andeutet, alles vom Feinsten. Immer wieder konstatierte wohl so mancher Zuschauer die erfreuliche freie Sicht auf das idyllische Ufer im Bildhintergrund. Kein Fremdling stört. Die Kostüme von Karin Alberti sind chic, mal cricket-british, dann wieder mondän, dandyhaft und mit Erinnerungen an den Dinner-for-one-Butler.
Auch wenn die Lovestory nicht unbedingt viel Tiefgang besitzt, so hält die Komödie so manche Musical-Perle von Cole Porter bereit, bei deren Sentiment man nur so dahinschmelzen könnte. Es wäre schön, wenn die Band „H.O.T. Swing Kids“, die unter der Leitung von Ludger Nowak im Orchestergraben musiziert, die Bühne und den Saal in bessere Schwingungen und prickelnde Stimmungen bringen würde. Dabei müsste das elendige Dröhnen der Blechbläser eingedämmt werden. Oder gab es technische Probleme? Manchmal waren die Sänger auf der Bühne nicht mehr zu hören, jedenfalls in der Reihe 6.
Von den Protagonisten ist niemand im Musicalfach zu Hause. Von daher kann man vor ihrem Mut nur den Hut ziehen. Es gab jedoch gravierende Unterschiede, sogar so sehr, dass es zwischen den Damen und Herren im Duett zu Ungereimtheiten in Sachen Intonation kam. Mit wachsender Gelöstheit meisterte Franziska Melzer ihre Rolle im Gesang und im Spiel. Als ihr „ewiger“ Geliebter kann Eddie Irle mit sympathischer Präsenz punkten. Philipp Mauritz als Fast-Ehemann und rigider Moralist singt wunderbar, auch Andrea Thelemann als Tracys Mutter, der man durchgängig bescheinigen kann, dass sie ihren festen Platz in der Ordnung der „oberen Zehntausend“ bestens auszufüllen vermag. Enttäuschend, weil lustlos gespielt und gesungen, Peter Pagel als Vater Lord, der jungen Ballettmädchen nachsteigt. Juliane Götz verkörpert die selbstbewusste jüngere Schwester Tracys vorzüglich, dagegen geht Bernd Geilings Darstellung als lüsterner Onkel Willie bis an die Grenzen geschmackloser Übertreibung. Den ambitionierten Journalisten Mike Connor verleiht Jon-Kaare Koppe warmherzige Züge, nicht anders seine Job-Partnerin Liz, von Jennifer Caron gespielt. Köstlich ihr Eintreffen in die Villa der Lords, wo sie von den Reichen und Schönen wegen ihrer „Nicht-Ebenbürtigkeit“ nur so begafft werden. Das Oktett der Dienstboten – meist als Kommentator der Handlung tätig – orientiert sich erfolgreich am Musical-Mainstream (Choreografie: Marita Erxleben). Es kann schwungvoll und gut gelaunt singen, tanzen und spielen. Doch insgesamt fehlt noch der anziehende musikalische Musical-Glanz, der sich noch einstellen dürfte.
Wieder am Sonntag, 13. November
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