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Nicht nur eine Selbstbefragung. Jutta Wachowiak bei der Probe für „Dame vor Spiegel“ auf dem Theaterschiff.

© Theaterschiff/Stefan Gloede

Kultur: Ein empfindsames Gebilde

Jutta Wachowiak spielt in der Reihe „Theaterstars an Bord“ des Theaterschiffs den Monolog „Dame vor Spiegel“

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Da steht auf einmal diese Frage im Raum. Vielleicht leichtfertig dahin gesagt, aber sicher nicht ganz unbegründet. Jutta Wachowiak hat jedenfalls lange daran zu knabbern. Sie, die in Karl-Marx-Stadt so große Erfolge feierte und es jetzt in den Olymp der DDR-Bühnenkunst, ans Deutsche Theater Berlin geschafft hat, muss sich mitten auf der Probe diesen Satz gefallen lassen: „Wie viel Stunden Sprechübungen machst Du am Tag, wenn ich fragen darf?“ Klar. Eine berechtigte Frage. Doch für sie auch eine unmögliche. Eine, die sie wie ein Faustschlag traf.

40 Jahre liegt diese „unerhebliche Äußerung“ des Regisseurs zurück, dessen Name Jutta Wachowiak streng für sich behält. Sie findet auch Eingang in den Monolog „Dame vor Spiegel“, den die Schauspielerin in der Reihe „Theaterstars an Bord“ in einer eigens für das Theaterschiff produzierten Inszenierung am Samstag zur Premiere bringt. Warum sie diese Frage so aus der Bahn warf und welche seelischen Verwerfungen ihres Lebens dieser Theaterabend noch reflektiert, das alles wird man erst zur Premiere erfahren. Jutta Wachowiak, die sonst so offenherzige Frau, hält sich bedeckt. „Dieser Monolog ist ein sehr empfindsames Gebilde, das ich ihn nicht durch leicht verständliche Sätze gröber erscheinen lassen will.“

Wer die feinnervige Charakterdarstellerin aber jemals auf der Bühne erleben durfte, wie am Deutschen Theater, wo sie 13 Jahre die Maria Stuart war und in einem Soloabend die Iphigenie mit allen Figuren allein auf die Bühne hob, wird sich auch ohne klar ausgerichteten Kompass zum Theaterschiff begeben.

So viel ist klar: Für Jutta Wachowiak ist Verletzbarkeit keine Schwäche. „Sie zeugt von einer Sehnsucht nach Freundlichkeit, menschlicher Nähe und gegenseitiger Achtung. Mir geht es um den Unterschied von Empfindlichkeiten und Empfindsamkeiten, um die Ursachen von Grobheiten, die so enorm zugenommen haben.“ Das beschäftige sehr viele Menschen, wie sie sagt. Wie gehen wir miteinander um? Woher kommen Kälte, Gleichgültigkeit und Aggressivität? Darüber wird Jutta Wachowiak erzählen, eben über Dinge, die der dünnhäutigen Frau auf der Seele brennen – eingebettet in ihrem Leben, das 1940, mitten im Krieg, in Berlin begann. Und auch der Geruch aus den Luftschutzkellern ihrer Kindheit wird dabei wieder aufsteigen. „Es ist aber kein Schnulzenabend, in dem ich nur über mich erzähle“, betont die noch immer für die Bühne und das Leben brennende Schauspielerin mit der großen Familie, die ihr auch durch die späte Liebe zu dem Pfarrer Martin Bartels zugewachsen ist.

Jutta Wachowiak, die zwischen ihren Inseln Hermannswerder und Usedom pendelt, spielt also wieder Theater an dem Ort ihrer Anfängerjahre. Nicht am Hans Otto Theater, „denn die haben mich nie gefragt“. Und sie wohnt nun fast 20 Jahre wieder in Potsdam, wo sie einst ihre Studentenzeit an der Hochschule für Film und Fernsehen verbrachte. Dafür kam Regisseurin Martina König vom Theaterschiff auf sie zu. Und Jutta Wachowiak holte ohne Zögern ihren „Monolog“ aus der Schublade, etwas Kleines, passend zur Intimität des Schiffes, wie sie glaubt.

Er wurde 1983 von Günther Rücker als Hörspiel nach Lebenserinnerungen von Jutta Wachowiak geschrieben. Ein Nebenprodukt während der Dreharbeiten zu dem Defa-Film „Die Verlobte“, für den Jutta Wachowiak 1982 den Darstellerpreis erhielt. „Während wir auf Sonne warteten oder auf Regen oder auf unseren langen Autofahrten die Zeit totschlagen mussten, erzählte ich Günther Rücker von meinen Gefühlen und Beobachtungen. Er war ein guter Zuhörer.“ Nach der Wende stellte sich heraus, dass er für die Staatssicherheit gearbeitet hat. Doch da war die Freundschaft zwischen den beiden bereits zerbrochen. „Ich war irgendwann von seinen Antworten enttäuscht. Wenn ich auf die zunehmende Schieflage in der DDR zu sprechen kam, reagierte er nur zynisch.“ Dieses politische Auseinanderdriften von einem Kollegen, der ihr so ans Herz gewachsen war, wog schwer wie Liebeskummer.

Vor zwei Jahren wurde dann ihr gemeinsames Hörspiel erneut gesendet. „Ich bekam tolle Briefe. Offensichtlich rührt der Monolog die Leute noch immer an.“ Angeregt, so intensiv über sich nachzudenken, wurde Jutta Wachowiak durch „Die Verlobte“ selbst, durch Eva Lippold, einer inhaftierten Widerstandskämpferin in der Zeit des Faschismus, nach deren Biografie der Defa-Film von Günther Rückert und Günter Reisch gedreht wurde. „Diese Frau schaffte es, sich in einer so schweren Zeit, ihre Empfindsamkeit zu bewahren und sich keine dicke Haut zuzulegen. Sie ließ sich nicht verhärten und überlebte trotzdem. Eine große Lebenskunst.“

Jutta Wachowiak wollte, dass auch ihr dies gelingen möge, in ihrem ganz normalen Alltag. Auch der war eine Herausforderung, gerade in dem Haifischbecken Deutsches Theater, in dem jeder Schauspieler mitschwimmen wollte. Als nach der Wende Bernd Wilms die Intendanz übernahm und Jutta Wachowiak nur noch selten besetzt wurde, igelte sie sich ein. Sie wollte natürlich wissen, warum die jungen Leute am Theater eine so andere Ästhetik haben, was sie wichtig finden und an wen sie sich eigentlich wenden. „Aber ich kam immer ratloser und schlechter gelaunt nach Hause, habe einfach die Signale dieser Comic-Ästhetik mit der Verkürzung der Vorgänge nicht mehr verstanden.“

2005 wechselte sie an das Grillo-Theater in Essen. In den Inszenierungen von Anselm Weber und David Bösch fand sie wieder große Beachtung. Inzwischen ist sie am Theater in Bochum, probt gerade für Shakespeares „Richard III.“ die Herzogin von York und schätzt die Ernsthaftigkeit der dort arbeitenden jungen Leute – auch wenn sie nicht immer alles versteht, was auf die Bühne kommt. „Ich bin natürlich mit meinen 72 Jahren die Außenseiterin.“ Aber wenn dann der Regisseur auf der Probe meint: „Wenn Jutta was sagt, ist da schon was dran“, ist das natürlich Bestätigung und Balsam für die Seele. „Von Probe zu Probe habe ich mir einen Zuwachs an Autorität erarbeitet.“ Sie weiß auch um den Wert von Kritik: „Wenn man aufhört, sich etwas sagen zu lassen, werden auch die erfahrensten Schauspieler schlechter. Zumal wenn Regisseure denken, dass man gar nicht so erfahren ist.“

Sie hat wieder Vertrauen gefunden, zu sich und zu den jüngeren Kollegen. So wie jetzt auch zu Martina König. Gemeinsam haben sie einiges an dem ursprünglichen Monolog verändert, „vieles hin und her gewurschtelt“ und ihn aufgefüllt mit Beobachtungen von Heute. „Das ist noch mal ganz reizvoll. Aber ich will riskieren, jetzt nicht mehr zu verraten.“

Premiere am Samstag, dem 19. Mai um 20 Uhr, Theaterschiff, In der Alten Fahrt, Karten für 20, ermäßigt 15 Euro unter Tel.: (0331) 972302

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