Von Klaus Büstrin: Ein energetischer Strom
Sartres „Die Fliegen“ hat morgen in der Regie von Johanna Hasse am Hans Otto Theater Premiere
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Auf dem Gymnasium in Frankfurt (Main) beschäftigte sich Johanna Hasse bereits mit Jean-Paul Sartre. In der Theater-AG spielte man das wohl berühmteste Stück des französischen Dichters „Geschlossene Gesellschaft“. Und die Oberschülerin stand selbst auf der Bühne. Jetzt ließ sie sich in den vergangenen Wochen am Hans Otto Theater (HOT) wieder von Sartre inspirieren,von dessen Stück „Die Fliegen“. Als Regisseurin. Morgen hat es in der Reithalle A Premiere .
Es ist nicht die erste Regiearbeit Johanna Hasses. In ihrer Vita kann man lesen, dass sie einer ganzen Reihe von Stücken ihre Regie-Handschrift gab. Am HOT beispielsweise „Oskar und die Dame in Rosa“ nach Eric-Emanuel Schmidt und bei den Hofkonzerten „Die Attitüden der Lady Hamilton“. Das Theater kennt die junge Regisseurin „von der Pieke“ auf. Sie war zunächst als Regieassistentin tätig, in Ulm für ein Jahr, danach drei Jahre am Hans Otto Theater. Bis zum Sommer 2007. Nun kehrt sie für „Die Fliegen“ an diese Bühne zurück.
Das Stück erschien 1943, ebenso wie Sartres erstes philosophisches Hauptwerk „Das Sein und das Nichts“. Es war die Zeit, als die Deutschen Frankreich besetzten. In den „Fliegen“ fordert er seine Landsleute zum Widerstand gegen die Okkupanten auf. Später meinte er im Vorwort: „Nach unserer Niederlage im Jahre 1940 verfielen zu viele Franzosen der Mutlosigkeit oder gaben in ihrem Innern der Selbstverleugnung Raum. Ich aber schrieb ,Die Fliegen“ und versuchte, zu zeigen, dass Selbstverleugnung nicht die Haltung war, die die Franzosen nach dem militärischen Zusammenbruch unseres Landes wählen durften. Unsere Vergangenheit existierte nicht mehr. Sie war uns in der Hand zerronnen, ohne dass wir Zeit hatten, sie festzuhalten, sie weiterhin zu beachten, um sie zu begreifen. Neu aber war – auch wenn ein feindliches Heer Frankreich besetzt hatte – die Zukunft!" Die Uraufführung fand im besetzten Paris statt.
„Sartre sucht an keiner Stelle zu verbergen, dass er die Hauptfigur Orest zum Träger seiner philosophischen Handlung gemacht hat, ja dass die Handlung eine literarische Umsetzung seiner existenzialistischen Grundthesen darstellt“, erzählt Johanna Hasse. „Trotzdem sind ,Die Fliegen“ keinesfalls ein bloßes, einer abstrakten Theorie entstammendes Konstrukt. Sartre verbindet Philosophie und Literatur. Daraus resultiert die innere Lebendigkeit des Stücks, sein energetischer Strom, der den Zuschauer auch heute noch erreicht.“ Auch der im Konversationsstil geschriebene Text deutet darauf hin, dass der französische Dichter seine mitunter komplexe Philosophie einer breiten Öffentlichkeit vermitteln wollte.
Jean-Paul Sartre verwendet den Rahmen der griechischen Atridensage für ein packendes Drama über Freiheit und Unfreiheit. Seit dem Mord an König Agamemnon leiden die Einwohner von Argos unter einer furchtbaren Insektenplage. Sie ist Sinnbild ihrer Gewissensqualen, dass sie sich dem Mörder und neuen König Ägisth unterworfen haben. Agamemnons und Klytämnestras Sohn Orest bringt mit Hilfe seiner Schwester Elektra dem Volk die Freiheit. Er tötet Ägisth und seine neue Frau Klytämnestra.
Sartre zeigt, dass Unfreiheit nur durch die Entscheidung zur Tat aufgehoben werden kann. Die Tat und das Bekenntnis zu ihr versteht er als Akt der Freiheit. Orests Einsicht: „Ich bin frei, Elektra! Die Freiheit hat mich getroffen wie der Blitz. Ich habe meine Tat getan, Elektra, und diese Tat war gut. Und je schwerer sie zu tragen ist, um so mehr werde ich mich freuen, denn meine Freiheit, das ist diese Tat“ ergreift den ganzen Menschen und formt ihn um. Erkenntnis und Selbstwerdung verschmelzen sich. Ein spannendes Stück, dass auch heute noch ganz aktuell ist, sagt Johanna Hasse. Blicken wir auf die Krisengebiete unserer Zeit.
In der Inszenierung am Hans Otto Theater spielen unter anderen Alexander Weichbrodt den Orest und Jenny Weichert die Elektra. „Ich wünsche mir, dass sich unsere intensive Beschäftigung mit Sartre sich auch auf die Zuschauer überträgt“, sagt Johanna Hasse und verabschiedet sich zur Hauptprobe.
Premiere heute, 19.30 Uhr, Reithalle A
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