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Kultur: Ein europäischer Tagtraum

Der Regisseur Hannes Stöhr mit Crew und neuem Film im Babelsberger Thalia-Kino

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Der Regisseur Hannes Stöhr mit Crew und neuem Film im Babelsberger Thalia-Kino Von Moritz Reininghaus Ein Tag in Europa. Genauer: Der Tag des Championsleague-Finales, früher Europa-Pokal genannt, zwischen Galatasaray Istanbul und Deportiva La Coruña in Moskau. Spanische und türkische Fans ziehend lärmend ins Stadion. In ganz Europa versammeln sich zur gleichen Zeit Menschen vor dem Fernseher. Doch nicht nur das: In Russlands Hauptstadt wird die englische Geschäftsfrau Kate Opfer eines Raubüberfalls, kurz darauf schließt sie Freundschaft mit Elena, der russischen Rentnerin. In Istanbul versucht Rocco aus Berlin, durch einen Versicherungsbetrug seine Reisekasse aufzufüllen und trifft auf den schwäbisch schwätzenden Taxifahrer Celal. Im spanischen Santiago de Compostela wird einem ungarischen Pilger die Kamera gestohlen und in Berlin versuchen zwei französische Straßenkünstler auf krummer Tour an Geld zu kommen. Doch die tatsächlichen und vorgetäuschten Diebstähle sind lediglich Rahmenhandlung, die unvermeidliche Begegnung mit der Polizei dramaturgischer Faden. Selbst das Fußballspiel ist letztlich nur die zeitliche Klammer für Hannes Stöhrs Episodenfilm „One Day in Europe“. Denn im Grunde erzählt der Film schlicht von der Sprache der Begegnungen in Europa. Hannes Stöhr war am Mittwoch im Thalia-Kino zu Besuch. Im Gepäck hatte er nicht nur seinen neuen Film, sondern gleich eine ganze Reihe von Mitwirkenden. Zum Beispiel die Schauspielerin Megan Gay, im Film die gestresste und beraubte Geschäftsfrau Kate. „Man versteht die Seele eines Menschen oft besser als seine Sprache“, beschrieb Gay die Arbeit während des gesamteuropäischen Filmprojekts. Stöhr, der angetreten war, um der Welt zu beweisen, dass es einen deutschen Humor abseits der Schenkelklopferei gibt, stellt sich zugleich in wohltuende Opposition zum zeitgenössischen deutschen Problemfilm: „Ich bin kein Priester, ich würde mich eher als Clown begreifen“, sagt er und sieht sich in der Tradition der Commedia dell''arte. Dass er damit eine patente Ausdrucksform findet, gesellschaftliche Probleme darzustellen, hat er bereits in seinem Debütfilm „Berlin is in Germany“ (2001) eindringlich bewiesen. Nun hat er sich nach Europa begeben. In ein Europa, das weit über das politische Gebilde der Europäischen Union hinausragt. „Europa ohne Istanbul oder Moskau geht nicht", äußerte Stöhr und erklärt so die Orte der Handlung, aber auch die symbolische Überhöhung der gewählten Fußballvereine: Anatolischer Islam im Spiel gegen iberischen Katholizismus Trotz der über ganz Europa verstreuten Drehorte hatte das Team ob des knappen Budgets nur 32 Drehtage. Vielleicht ist bei diesem Parforceritt etwas der Schwung, an dem es dem Film bisweilen mangelt, auf der Strecke geblieben. Deshalb ist der Streifen tatsächlich das geworden, als was ihn sein Macher sieht: Ein Film der kleinen Momente. Diese sind jedoch vergnüglich skurril, absurd und voller Wortwitz, der meist aus dem allgemeinen wilden Sprachengemisch entsteht, mit dessen Hilfe sich die Menschen jedoch oft besser verständigen können als in einer einzelnen Sprache. Dass Stöhr darüber hinaus einer der wenigen jungen deutschen Filmemacher ist, die bei der visuellen Umsetzung keine Kompromisse eingehen, macht seinen Film endgültig sehenswert: „Entweder wir drehen in Cinemascope oder gar nicht“ hatte der gebürtige Schwabe seinen Produzenten mitgeteilt. Eine gute Entscheidung. Denn dank der glänzenden Arbeit von Kameramann Florian Hoffmeister werden die vier Städte so zu tragenden Darstellern. Anders als Jim Jarmusch, der einst in „Night on Earth“ einsame Menschen auf nächtlichen Taxifahrten in harten Schwarzweißbildern porträtierte, erscheint in „One Day in Europe“ die interkulturelle Zwischenmenschlichkeit samt Missverständnissen und Einvernehmen, im warmen Tageslicht. Der Film ist somit nicht nur Bestandsaufnahme, sondern auch Utopie eines Europas, das seine Vielfalt bewahrt und dennoch eine gemeinsame Sprache findet. Notfalls mit Händen und Füßen.

Moritz Reininghaus

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