zum Hauptinhalt

Kultur: Ein ganz normaler Star

Die Potsdamer Schauspielerin Nadja Uhl zu ihrem neuen Film „Nicht alle waren Mörder“

Stand:

Die Potsdamerin Nadja Uhl, aparter Star aus Andreas Dresens bezaubernder Tragikomödie „Sommer vorm Balkon“, nimmt ihren Beruf wirklich ernst. Obwohl hochschwanger, stellt sie sich einen ganzen Tag den Fragen der Journalisten. Dabei gibt die preisgekrönte Schauspielerin Auskunft über ihre härteste Rolle, ihre Schwangerschaft und ihre Arbeit mit straffälligen Jugendlichen.

„Nicht alle waren Mörder“, der am 1. 11. im ersten Fernsehprogramm des ARD läuft, ist die Verfilmung der erschütternden Jugenderinnerungen Ihres Kollegen Michael Degen. Sie spielen dessen Mutter Anna. Nur mit Hilfe mutiger Berliner Bürger konnten die jüdischen Degens dem Holocaust entkommen. Wie schwer war es, sich in die rapiden Gemütsschwankungen der Mutter hineinzuversetzen?

Als ich das Drehbuch las, dachte ich zuerst: Das bin ich überhaupt nicht! Anna Degen ist ein völlig anderer Frauentyp. Die erschien mir anfangs äußerlich und innerlich viel zu hart und zu kantig. Ich wusste wirklich nicht, wo ich das herholen sollte. Da ich aber sowohl den Regisseur Jo Baier als auch den Produzenten Nico Hofmann ungemein schätze, bin ich wenigstens zum Casting gegangen. Dann zog sich die Schlinge immer enger zu, was meiner Eitelkeit natürlich sehr schmeichelte. Während ich mir immer mehr Argumente zurecht legte, um klar zu machen, dass ich diese Figur nicht bin, sagten alle: du bist es!

Wie haben Sie sich schließlich überzeugen lassen?

Jo Baier wischte alle Äußerlichkeiten sofort vom Tisch und sagte, gerade weil ich zu weich sei und keinen Zugang zu ihrer Härte als Mutter habe, sähe er in mir die richtige Anna Degen. Das half mir, einen anderen Zugang zu dieser Frau zu bekommen. Ich konnte die Figur nicht einfach so übernehmen, wie sie im Drehbuch stand. Ich musste sie erst als Frau verteidigen und eine Liebe zu ihr entwickeln. In Wirklichkeit ist sie eine emotionale Person. Aber sie verhält sich aufgrund der besonderen Umstände als Jüdin im Dritten Reich ganz anders und ist unfähig, ihrem Sohn Wärme und Geborgenheit zu bieten. Sie würde sonst zusammen brechen. Das war ihr Überlebenstrick, aber den musste ich erstmal durchschauen!

Wie haben Sie sich der Figur genähert?

Anna Degen schwankt zwischen sein, wollen und müssen. Das ist mir exakt einen Tag vor Drehbeginn klar geworden. Ich habe mir vorgestellt, wie grausam die Situation sein muss, wenn eine Mutter keine Antworten mehr hat. Wie soll man seinem Kind erklären, warum andere es umbringen wollen. Deshalb lässt sie den Jungen auch nicht ins Krankenhaus, um den sterbenden Vater noch einmal zu besuchen. Der sieht nach dem KZ-Aufenthalt so grausam und schrecklich aus, das kann sie Michael einfach nicht antun. Er soll seinen Vater lieber in Erinnerung behalten wie er ihn kannte.

Welche Erkenntnis haben Sie als werdende Mutter aus dem Film gezogen?

Das Weltbild muss sich mein Kind selbst schaffen. Als werdende Mutter möchte ich ihm aber zumindest erklären können, warum ich denke, dass es schön ist, hier zu sein. Alles, was Anna Degen unter den Nazis erlebt hat, spricht aber genau dagegen: Ihr Mann stirbt und sie weiß nicht, was noch alles passiert. Täglich könnte sie jemand für Geld verraten, was den Tod bedeuten würde. Trostloser geht es gar nicht.

Mussten Sie sich besonders vorbereiten, um sich besser in die bedrohliche Atmosphäre der Nazi-Zeit hineinversetzen zu können oder war dieser Aspekt der deutschen Geschichte schon immer ein Thema für Sie?

Ich hatte schon vor dem Film verschiedene Berührungspunkte mit dieser Zeit. Bereits in der Schule war die Aufklärung über den Nationalsozialismus ein großes Thema und als Kinder haben wir Konzentrationslager in Buchenwald und Sachsenhausen besucht und mit ehemaligen Insassen geredet. Natürlich gab es auch Fragen an die Großeltern. Bei „Nicht alle waren Mörder“ wurde ich dann damit konfrontiert, welche Position man heute zu dieser Zeit einnehmen soll. Dabei stellten sich Fragen wie: Ist der Filmtitel eine Verharmlosung? Wollen die Leute überhaupt noch Geschichten aus dem Zweiten Weltkrieg sehen?

Wie wirkt sich die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus auf Ihr Privatleben aus?

Da ich jüdische Freunde habe, kommt das Thema unweigerlich immer wieder auf. Außerdem engagiere ich mich in einem Straffälligen-Hilfeverein in Potsdam, wo man manchmal – mittlerweile sehr selten zum Glück – mit rechtem Gedankengut konfrontiert wird.

Wie reagieren Sie darauf?

Ich mache deutlich, dass ich diese Äußerungen in meinem Umfeld und generell nicht akzeptiere. In solch einem Moment muss man Zivilcourage zeigen und auch mal danach fragen, wie jemand zu solch einem Weltbild kommt. Das sind am Anfang oft ganz profane Hintergründe. Auf der vergeblichen Suche nach Arbeit und einer gesunden eigenen Identität sind viele Opfer rechten Gedankengutes geworden.

Wie kann man dieser Fehlentwicklung entgegensteuern?

Unser Verein sieht die Chance darin, den Jugendlichen zu zeigen, dass sie auch einer Gruppe zugehören können, die nützliches für die Gesellschaft tut. Alte Baustoffe aufzuarbeiten und in mühevoller Arbeit aus einer Ruine wieder einen glanzvollen historischen Ort zu machen, bedeutet natürlich viel Arbeit bei ständig knapper Kasse. Aber genau diese Arbeit bringt Anerkennung. Wieder gebraucht zu werden und eigen Belastungsgrenzen zu erweitern fördert bei vielen das Selbstbewusstsein.

Auf der einen Seite der glamouröse Beruf Schauspielerin, auf der anderen Familie, Freunde, soziales Engagement. Brauchen Sie unbedingt diese zwei Welten?

Der Kontrast ist für mich sehr wichtig. Ich glaube, das ist nur nach außen hin ein Widerspruch. Mit Pumps und Abendkleid über den roten Teppich zu schreiten, ist Teil meines Berufs. Ich kenne namhafte Schauspieler, die im Rampenlicht stehen und gerade deshalb umso mehr aufs Privatleben besonnen sind. Ich finde, man sollte in jeder Situation authentisch sein. Ich mache mich gerne hübsch, obwohl die blöde Kleiderfrage manchmal nervt. Am nächsten Tag freue ich mich, wenn ich mit meinem Kapuzenshirt losgehen kann. Da bin ich nicht der Star. Die Jugendlichen akzeptieren das. Die freuen sich auch, wenn man Erfolg hat. Aber sie wissen auch, die Autos, mit denen ich da vorfahre, sind nicht meine.

Wie vereint man ein Restaurant und Varieté, nämlich das Walhalla, in dem sich interessante Leute treffen, mit einem Straffälligen-Hilfeprojekt?

Das Leben ist fließend und manchmal vereinen sich Welten, die scheinbar nie zusammenpassen wollten. Gerade das Unerwartete und Überraschende finde ich sehr spannend und das "Walhalla" steht dafür. Zunächst gab es nur die mühevolle und oft existenzgefährdete Arbeit eines Straffälligen-Hilfevereins. Das daraus Mal wieder das legendäre Restaurant und Varieté "Walhalla" aufersteht, hätte niemand gedacht. Es gab viel guten Zuspruch von außen und natürlich mussten alle in neue Aufgaben hineinwachsen. Ohne zu beschönigen sind alle Mitarbeiter überdurchschnittlich fleißig und verzichten auf eine Menge Freizeit. Außerdem wird das gemeinnützige Projekt streng wirtschaftlich geführt. Ich glaube, dass all das von den Menschen anerkannt wird. Die Leute genießen ihren Wein oder ihr Essen mit dem Bewusstsein, nebenbei etwas nützliches zu tun. Oft besuchen uns auch Leute aus Politik, Wirtschaft und Kultur, worüber ich mich besonders freue.

Klopfen Sie auch Ihre Filmrollen auf Überraschungen ab?

Ja. Ungeahnte Wendungen und Reibungen stehen immer für einen bestimmten Charakter in einer Figur. Ausgeglichene Charaktere sind in schauspielerischer Hinsicht nicht besonders interessant. Das Hilflose und Hysterische an der Figur Anna Degen spiegelt gleichzeitig die Einsamkeit des Sohnes wider.

Jetzt im Oktober werden Sie zum ersten Mal Mutter. Wie bereiten Sie sich auf diese Rolle vor?

Ich lasse es auf mich zukommen. Das kann ich mir bei meinen Filmrollen natürlich nicht erlauben. Da entwickle ich immer ganz konkrete Projektionen, damit ich weiß was ich tue. Bei einem Kind ist das ganz anders. Diese Veränderung ist für mich etwas völlig Neues und Tolles.

Werden Sie Ihren Lebensgefährten Kay Bockhold demnächst heiraten?

Darüber haben wir schon gesprochen. Ich würde das nicht ausschließen, aber es gibt dafür im Moment keine konkreten Pläne.

Treten Sie jetzt beruflich kürzer?

Ich gucke schon, was kommt. Für nächstes Jahr habe ich bereits ein ganz tolles Angebot. Das will ich unbedingt machen. Aber ich weiß nicht, was das für mich bedeutet. Ich werde sicherlich nicht mein Kind an der Garderobe abgeben.

Das Gespräch führte Olaf Neumann

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })