Kultur: Ein ganzer Planet ist zu entdecken
Carsten Wist und Moritz Führmann gestalteten in der „arche“ einen Botho-Strauß-Abend
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Die Weisheit des Spruches „Unverhofft kommt oft“ geht auch an der „arche“ nicht vorbei. Am Dienstag präsentierten Buchhändler Carsten Wist und der Schauspieler Moritz Führmann bei einem seiner letzten Potsdamer Auftritte einen literarischen Abend mit Texten von Botho Strauß. Schön, dass man sich nach Themen wie Angst oder Freimaurerei auch solche Extras im Programm leistet.
Der gedachte Hintergrund für diese Veranstaltung ist originell: Sowohl Carsten Wist als auch arche-Chef Rainer Roczen hatten sich jahrelang vergeblich bemüht, den medien- und überhaupt öffentlichkeitsscheuen Autor Botho Strauß mit Wohnsitzen in Berlin und der Uckermark nach Potsdam zu locken. Dabei zählt der gebürtige Naumburger zu den Literaten, die nicht erst seit gestern gegen Missformungen in Gesellschaft und Individuum anrennen. Strauß studierte Theatergeschichte, Germanistik und anderes in München und Köln. Seit 1972 veröffentlicht er Prosa, Stücke, Essayistisches, einiges davon erschien in der DDR. Nun, wenn schon der Autor Strauß nicht in die Landeshauptstadt kommt, dachten sich die Veranstalter, dann wenigstens seine Texte, durch sie allein will er ja sprechen. Gesagt, getan. Carsten Wist, der in den Strauß’ Texten einen ganzen Planeten entdecken kann, richtete diesen Abend für die „arche“ ein. Für Gastgeber wie Gäste „unverhofft“ war dabei, dass er einige Mitstreiter hinzubat: Die Potsdamerin Grit Blaszkiewitz erfand genauso exklusiv kurze Stücke für ihre Geige, Laura Burlon übernahm in der szenischen Lesung zu „Ein leichtes Spiel“ den Part der Katinka.
Anfangs ein wenig Biographie und die „Unüberwindliche Nähe“ in angenommener Gedichtform durch Moritz Führmann, darin es um Trennung, vor allem aber um zwischenmenschliche Verstehensmuster geht. Offenbar ein zentrales Thema bei Strauß, es taucht in „Rumor“ auf, auch im „Leichten Spiel“, das derzeit in München gegeben wird. Er wollte ja selbst Schauspieler werden, nur hat das die Bekanntschaft mit Adorno verhindert.
Sehr gut und sehr wichtig dann die Erinnerung an den großen Text „Anschwellender Bocksgesang“ von 1993, einer rundum fundierten Staats- Gesellschafts- und Menschenkritik. Darin beklagt er die Hypokrise der Moral und sieht, „bei lauter werdendem Bocksgesang“, eine menschheitliche Tragödie „von sakraler Dimension“ voraus. Inzwischen ist man ja ein gutes Stück vorangekommen: An „Mut zur Abkehr vom Mainstream“ fehlt es auch heute, die gewollten „Sinnestäuschungen“ durch „Telekratie“ und neue Technologien haben sich weiter verfeinert, reziprok dazu schwellen die warnende Stimmen immer mehr ab. „Systemkonformität“ ist gefordert, „Deutung, die nichts mehr meint“, schrieb Botho Strauß damals. „Das System kennt nur noch Mitwirkende“. Man darf sicher sein, auf diesen starken Impuls kommt die „arche“ zurück.
Die szenische Lesung aus dem dritten Teil seines vorerst letzten Stückes „Leichtes Spiel“, bei dem auch Wist mitwirkte, schmeckte nach dem bocksmäßigem Kraftpaket und trotz gleicher Autorenschaft lau wie alte Himbeerlimonade. Unverhoffte Erkenntnis: Bei diesem Autor sind die Regieanweisungen stets wichtiger als jeder Dialog!
Es gab keine Diskussion nach diesem virulenten Auftritt in Potsdam, wozu auch, die Texte hatten für und von Botho Strauß gesprochen. Gerold Paul
Gerold PaulD
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