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Kultur: Ein kraftvoller „Abgesang“

Die Blechbüchse wurde entkernt und bietet noch sechs Produktionen „eine flexible Gestaltung“

Stand:

Die Blechbüchse wurde entkernt und bietet noch sechs Produktionen „eine flexible Gestaltung“ Die Stunden der Blechbüchse sind gezählt – und doch mausert sie sich in ihrem „Abgesang“ noch zu neuer Größe. Von allem Innenleben befreit, schwingt sie sich derzeit zu einem wahren Blechkoloss auf. Eine Schlacht wird hier demnächst geschlagen: die berühmte „Hermannsschlacht“ von Kleist, die am 23. Oktober Premiere hat. Der Ort könnte trefflicher kaum sein: Schließlich breitete sich einst an benachbarter Stelle der Exerzierplatz aus, auf dem Kleist marschierte und im Stechschritt auf zu schlagende Schlachten eingeschworen werden sollte. Gerade diesen kalten militanten Unterton kann in einer Halle natürlich besser getroffen werden als in einer Guckkastenbühne, wie sie bislang in der Blechbüchse zu Hause war. Die neue Chefdramaturgin des Hans Otto Theaters, Anne-Sylvie König, zeigt sich angetan von der neuen Spielwiese, die sich nach der Entkernung auftut und den sechs dort noch geplanten Produktionen eine flexible Gestaltung ermöglicht. In der „Hermannsschlacht“ werden die Zuschauer inmitten der Halle auf einer drehbaren Tribüne platziert und an zwei gegenüberliegenden Schauplätzen „geführt“. „Es geht in dem Stück um den Kampf der Kulturen: um das Archaische gegen die neue Hochkultur der Römer, die natürlich viel perfektionierter war, damit aber nicht unbedingt besser. Die Bühne bietet ein freies Feld, in der sich die Kräfte und die Gedanken bewegen.“ Es werden aber nicht alle dieser sechs Blechbüchsen-Inszenierungen auf Hallencharakter eingeschworen. „Wir wollen den Regisseuren einen möglichst großen Freiraum bieten, der auch die vertraute Guckkastenbühne zulässt, wie beim Weihnachtsmärchen ,Die Schöne und das Biest“. Diese Bühneneinrichtungen haben aber auch zur Folge, das künftig ein Stück im Block, also en suite, gespielt wird. Das Publikum muss sich also etwas sputen, um eine Inszenierung nicht zu verpassen.“ Und das neue Team des Hans OttoTheaters kommt gleich mit einer geballten Ladung auf seine Besucher zu. Sechs Premieren folgen in nur zwei Wochen aufeinander – und das an den unterschiedlichsten Orten: die Uraufführung von „Lina“ im Schlosstheater, „Herz schlägt Tod“ mit Katja Riemann sowie das Kinderstück „Paulas Paul“ in der Reithalle A, „Bedeutende Leute“ - eine Begegnung zwischen Einstein und Marylin Monroe im T-Werk sowie „Krieg und Frieden“ in der Französischen Kirche. Im Januar wird dann mit „Frau Jenny Treibel“ ( gespielt von Katharina Thalbach) auch noch die Villa Kampffmeyer erobert. Ihre Lust, neue und ungewohnte Räume fürs Theater zu erschließen, war vielleicht einer der Gründe, der Anne-Sylvie König für den neuen Intendanten Uwe Eric Laufenberg so interessant machte. An ihrem vorangegangenen Wirkungsort, am Staatstheater Kassel, okkupierte die agile junge Frau gleich ein ganzes Hotel, und ließ die verschiedenen Zimmer mit neuen kleinen Stücken bespielen. „Das hat dem Potsdamer Intendanten offensichtlich gefallen, zumal er auch auf Suche nach neuen Räumen war“. „Kennen gelernt“ habe sie Laufenberg aber bereits als Studentin in Frankfurt/Main. „Ich erlebte ihn als Schauspieler und Regisseur und fand seine Arbeit spannend.“ Als dann in Kassel ein neuer Intendant Einzug halten sollte, schaute sie sich nach einer neuen Arbeit um: so auch in Potsdam, wo ebenfalls die Intendanz wechselte. Sie konnte überzeugen und hat sich für das Hans Otto Theater entschieden, obwohl ihr Vertrag von der neuen Intendanz in Kassel verlängert worden war. „Und ich wäre auch gern dort geblieben. Zwei Jahre sind eine kurze Zeit, um sich zu verankern. Und ich finde es sehr wichtig, Theater in der ganzen Stadt zu kommunizieren, mit Galerien, Buchhandlungen oder Hochschulen zusammen zu arbeiten.“ Zehn Jahre ist Anne-Sylvie König inzwischen Dramaturgin. „Da schaut man schon mal zurück: Eigentlich hatte jede Station etwas für sich.“ Zwar recht kurz, aber sehr prägend sei die Zeit als Assistentin an der Volksbühne und am Berliner Ensemble gewesen. „Da musste ich mich ganz schön strecken. Aber als Assistentin war es genau das Richtige.“ Dann ging es ins erste Engagement ans Theater Greifswald/Stralsund. „Ich war damals total mutig und frech und dachte, es funktioniert alles. Das ist der Schwung der ersten Jahre. Aber es war auch sehr hart, zumal ich die Region und auch das Leben in einer Kleinstadt, zumal im Randgebiet Deutschlands, nicht kannte. Das Theater hatte Probleme mit der Zuschauerzahl und von der Presse wurde es wenig wahrgenommen. Es war auch schwierig, Uraufführungen zu bekommen.“ Am Wochenende fuhr sie meistens nach Berlin, hielt Kontakt zu einstigen Kollegen – bis heute. Berlin ist ihre Mitte, dort hält sie sich bis jetzt ein Zimmer frei. Aber auch am Rostocker Theater schaute sie sich damals um und stieß auf das Forum junge Dramaturgie. „Einmal monatlich diskutierten wir am Deutschen Theater in Berlin über neue Autoren und luden auch Lektoren ein. Es entwickelte sich ein richtiges Netzwerk. Über Texte zu sprechen – das schult natürlich und man lernt, sich mit Neuem durchzusetzen. Das Forum ist inzwischen erwachsen und teilweise in die Dramaturgische Gesellschaft aufgegangen.“ Dort ist Anne-Sylvie König im Vorstand. Das Wissens um die Nachwuchsdramatik nahm sie nach vier Spielzeiten mit ans Landestheater Schleswig-Holstein. „Ich freute mich natürlich über ein größeres Haus.“ Schließlich aber wurde sie nach Kassel empfohlen. „Kassel war ein richtiges ,Adrenalin-Theater“, mit viel Spannung und Speed. Ich arbeitete oft mit Schauspielern, schrieb selbst einen Western und eine Jenny-Erpenbeck-Dramatisierung – und beides kam auf die Bühne. In Kassel lernte ich vor allem Eigenständigkeit.“ In ihren Augen habe sich die Funktion des Dramaturgen in den letzten Jahren ohnehin sehr verändert: „Man ist multiple einsetzbar, macht Werbeaktionen mit, organisiert Lesenächte, kümmert sich um Sponsoren, layoutet mit der Grafik Spielzeithefte. Man ist eine sehr öffentliche Person, die Verbindungen schafft.“ Das bevorstehende Theaterfest am 10. September wird bereits Anne-Sylvie Königs Stempel mittragen. „Noch vor den Theaterferien haben wir einen Wettbewerb ausgesprochen, an dem sich junge Dramatiker aus dem Berlin-Brandenburger Raum beteiligen konnten. Sie sollten für die verschiedenen Räume in der Schiffbauergasse, von der Schinkelhalle bis zum freien Gelände, kurze Monologe verfassen.“ Das Schreiben will die Dramaturgin auch selber weiter pflegen: ein Unterhaltungsstück schwebt ihr vor. Theater ist ihre Passion, aber auch Geschichte, die sie neben Theaterwissenschaft studierte. „In Potsdam treffe ich sie nun alle wieder: die Friedrichs und Wilhelms aus den Lehrbüchern. Hier kann man Geschichte greifen“ – wie bei der „Hermannsschlacht“ in der Blechbüchse. Heidi Jäger

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