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Kultur: Ein Mädel nach Maß

Das Broadway-Musical „My fair Lady“ hat Samstag am HOT Premiere

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Vier Jahre nach der deutschen Erstaufführung von „My fair Lady“ im Berliner Theater des Westens 1961 eroberte das Musical auch die DDR-Bühnen. Man griff tief in die Tantiemen-Geldbörse. Die Theaterfreunde des Arbeiter- und Bauern-Staates konnten am Erfolg dieses Broadway-Musicals von Alan Jay Lerner und Frederick Loewe nun ebenfalls teilhaben. Längst hält man für dieses Stück den Slogan parat, „erfolgreichstes Musical aller Zeiten“ zu sein, ohne zu wissen, was die Zeiten noch so bringen.

Auch das Potsdamer Hans Otto Theater erwarb die Aufführungsrechte. 1968 ging es hier erstmals über die Bühne in der Zimmerstraße mit der unvergesslichen Elvira Motz als Eliza Doolittle. 1989 spielte dann Bärbel Lober die Rolle. Wurden die Partien in diesen Inszenierungen weitestgehend mit Opernsängern besetzt, so werden die Rollen mit den umfangreichen anspruchsvollen musikalischen Aufgaben in der aktuellen Aufführung, die am kommenden Samstag im Theater am Tiefen See Premiere hat, von singenden Schauspielern verkörpert. Franziska Melzer spielt unter der Regie von Nico Rabenald, der im Herbst eine muntere „Aschenputtel“-Fassung von Rossini im Schlosstheater inszenierte, die Eliza. Die Schauspielerin hat bereits im Liederabend „Chanson d‘amour“ ihre wunderbaren sängerischen Qualitäten unter Beweis stellen können.

Große Fragen werden im Musical behandelt: von gesellschaftlicher und kultureller Identität. Charmant und schwungvoll wurden sie von den Autoren in Musik und Szene gesetzt. Die meisten Songs gelten heute noch als absolute Klassiker.

Der 1901 in Berlin geborene Komponist Frederick Loewe, eigentlich heißt er Friedrich Löwe, ging 1924 in die USA. Dort arbeitete er unter anderen als Pianist. Er lernte den Liedtexter Alan Jay Lerner kennen, mit dem er Musicals schrieb, insgesamt zehn. Die Krönung ihrer Zusammenarbeit blieb aber „My fair Lady“. Von der Vorlage des Stückes waren auch die Chefs des Mark Hellinger Theatre in New York überzeugt und machten es seit der Uraufführung am 15. März 1956, also vor 55 Jahren, zu einem Publikumsrenner. 2717 Vorstellungen gab es in New York. Davon können die Theaterleute heute nur träumen. Aber auch der Film war an der großen Resonanz von „My fair Lady“ nicht unbeteiligt. Denn berühmt wurde die Besetzung der Kino-Adaption von 1964. Audrey Hepburn und Rex Harrison spielten die Hauptrollen. Die Kosten betrugen fast 20 Millionen Dollar.

Die Handlung des Musicals ist allerdings keine Erfindung des Autors Lerner oder des Komponisten Loewe. 1912 hatte sie der irische Erfolgs-Dramatiker George Bernard Shaw mit ironischer Schärfe als Komödie aufgeschrieben. Nicht in London wurde das Theaterstück uraufgeführt, sondern in deutscher Sprache am Burgtheater Wien. Die musikalische Adaption hat das erstklassige Shaw-Schauspiel von der Bühne jedoch weitgehend vertrieben. Auch in Deutschland. Am Hans Otto Theater sah man das Stück 1966 mit Jutta Wachowiak als Eliza in der Inszenierung des legendären Potsdamer Intendanten Gerhard Meyer letztmalig.

Shaw griff für seine Komödie auf eine antike Geschichte aus den Metamorphosen des Römers Ovid zurück: Pygmalion ist in seine von ihm selbst geschaffenen Statue der schönen Galatea so sehr verliebt, dass sie von Aphrodite zum Leben erweckt wird. Und was treibt bei Shaw sowie bei Lerner und Loewe der Sprachexperte und Junggeselle Professor Henry Higgins mit der hübschen, unehelichen Tochter des trunksüchtigen Müllkutschers Alfred P. Doolittle? Eigentlich nimmt Eliza Doolittle nur Sprachunterricht bei Higgins. Denn sie soll ihren grässlichen Akzent loswerden, damit sie den Sprung von der Straßenverkäuferin zu einer ehrenwerten Angestellten eines Blumenladens schaffen kann. Der ganz von sich und seinen Fähigkeiten überzeugte Sprachwissenschaftler nutzt die Chance zum Experiment am lebenden Objekt. Anmaßend will er aus Eliza eine Lady nach seinem Bilde formen und die mit Oberst Pickering abgeschlossene Wette ist nur der Vorwand für seine berserkerhaften Methoden.

„Ich hatte an dem Mädel monatelang zu arbeiten, bis ich es auf ihr heutiges Niveau brachte“, sagt der Forscher zu seiner Mutter. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie furchtbar interessant es ist, ein menschliches Wesen zu nehmen und es in ein ganz anderes menschliches Wesen zu verwandeln, indem man ihm eine neue Sprache schafft.“ (Shaw) Sie schafft den phonetischen Durchbruch. Zu vernehmen im berühmten Song „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“. Doch Higgins hat die Rechnung ohne Eliza gemacht, die ihn mit seinen eigenen Waffen schlägt. Doch wie es in einem Musical sein muss, kommt es zu einem guten Ende. Higgins erkennt, dass Eliza kein seelenloses Objekt ist. Und so hegt er mehr als nur wissenschaftliche Gefühle für das Mädchen aus der „Gosse“.Klaus Büstrin

Premiere im Neuen Theater am 15. Januar um 19.30 Uhr

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