Kultur: „Ein Nimmersatt“
Heute wird in der Stadt- und Landesbibliothek eine Gottfried-Benn-Ausstellung eröffnet
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Eine scheinbar nihilistische Haltung war dem Dichter und Arzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten Gottfried Benn eigen: „Wir sind und wollen nichts sein als Dreck. Man hat uns belogen und betrogen mit Gotteskindschaft, Sinn und Zweck und dich, d.h. den Tod, der Sünde Sold genannt.“ Manche Literaturwissenschaftler haben gegen ihn häufig gewettert, ihn einen „grimmigen Widersacher der christlichen Kultur“ genannt oder einen „Medizyniker“, weil „unbeteiligte Schilderungen fremden Krebs-Eiters an sich noch keine Kunst bedeuten“. Die Dichterin Else Lasker-Schüler sagte dagegen über den expressionistischen Dichter, der vor allem mit Lyrik hervortrat: „Er steigt hinunter ins Gewölbe seines Krankenhauses und schneidet die Toten auf. Ein Nimmersatt sich zu bereichern an Geheimnis. Er sagt: ,tot ist tot.“
Kein leichtes Unterfangen, eine Ausstellung über den Dichter zu kuratieren. Der Berliner Historiker Horst Ermel, ein leidenschaftlicher Gottfried-Benn-Kenner, hat sich dieser Aufgabe in der Stadt- und Landesbibliothek gewidmet. Heute Abend wird die Exposition eröffnet. Sie will auch deutlich machen, welche historische und literarische Bedeutung Benn für das Land Brandenburg hat. Als Basis benutzen die Veranstalter die umfangreiche Gottfried-Benn-Sammlung der Bibliothek, die 1994 von Fritz Wüllner aus Sandhausen bei Heidelberg der Bibliothek übergeben wurde. Somit ist sie die zweitgrößte, öffentlich zugängliche Benn-Sammlung in Deutschland.
Neben dokumentarischem Material und Büchern sowie bildnerischen Objekten, Unikat-Büchern und Malerei der Künstlerin Irene Wedell werden in der Ausstellung auch Fotografien der Potsdamer Künstlerin Simone Ahrend zu sehen sein. Horst Ermel: „Die Fotografin hat die Orte der Kindheit und Jugend Benns in Mansfeld, in Sellin in der Neumark oder in Frankfurt an der Oder besucht und aufgenommen. Anhand der Bilder kann man das Lebensgefühl des jungen Benn noch heute erahnen.“
Vor 120 Jahren, am 2. Mai 1886 ist Gottfried Benn in Mansfeld in der Prignitz geboren. Großvater und Vater waren Pfarrer. Er selbst begann nach der Reifeprüfung Theologie und Philosophie in Marburg zu studieren, doch hat er sich früh von diesem Erbe seiner Vorfahren gelöst. „Er fühlte sich für das Theologiestudium nicht berufen, er wechselte zur Medizin. Später übertrug er die Religion von der Kirche auf die Kunst“, so der Kurator.
Horst Ermel fühlte sich bereits in jungen Jahren von der Vielfalt und dem Reichtum der Benn’schen Sprachrhythmen und Bilderkraft angezogen. „Er war für mich wie ein Gott.“ In den sechziger Jahren, in jener Zeit als man Traditionen auch oft mit Restauration verwechselte, wurde Benn auch für Ermel fast reaktionär. Doch mit der Zeit kehrte für ihn der Zauber der Dichtungen des Berliner Arztes und Schriftstellers zurück. „Natürlich bleiben bis heute schwerwiegende Fragen an Benn, die er freilich nicht beantworten kann: seine Hinwendung zum Nationalsozialismus.“ Der Dichter, der eigentlich seinen Lesern Nüchternheit und einen verantwortungsvollen Umgang mit der Sprache lehrt, hat dagegen 1933 massiv verstoßen. Er hat der Nazipropaganda gedient.
Als 1936 ein Band mit ausgewählten Gedichten in der Deutschen Verlagsanstalt erscheint, bringt es Benn neben Lob auch Ärger ein. In der Zeitung „Schwarzes Korps“ gibt es eine Rezension, in der die Lyrik mit der Ausstellung „Entartete Kunst“ verglichen wird. Er wird als Kulturbolschewist beschimpft, aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und das Erscheinen der Bücher verboten. „Als Benn nach 1945 wieder veröffentlichen durfte, war ihm ein gewisser Sarkasmus eigen, denn er hat ja längst gemerkt, dass er sich politisch geirrt hat.“ 1948 gibt es für ihn ein Comeback als Autor. Doch weitgehend einsam bleibt er in politischen Fragen. Sein Demokratieverständnis wird in der Öffentlichkeit weitgehend abgelehnt. „ Demokratie, als Staatsprinzip ist das beste“, schreibt er, „aber zum Produktiven gewendet absurd! Ausdruck entsteht nicht durch Plenarbeschlüsse, sondern im Gegenteil durch Sichabsetzen von Abstimmungsergebnissen, es entsteht durch Gewaltakt in Isolation.“ Am 7. Juli 1956 stirbt Gottfried Benn in Berlin.
Weil auch sie vom Zauber der Lyrik des Dichters begeistert sind, vertonen Komponisten, so Paul Hindemith, Boris Blacher oder Günter Bialas Gedichte von Gottfried Benn. Zur heutigen Vernissage ab 18 Uhr stellt Melanie Hirsch, Sopran, begleitet von Matthias Veit am Klavier, Lieder vor. Darunter werden Kompositionen von dem Hamburger Frederik Schwenk erstmals in der Öffentlichkeit zu hören sein.
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