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Kultur: Ein Ort für Kuchen, Sex und Denker Martin Ahrends hat ein Buch geschrieben über DDR-Menschen,

die im Café Heider ein- und ausgingen

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Sie arbeiten heute als Historiker, als Autorin, Buchhändler, Musiker, Astrologin, Galerist oder Bildhauer, leben in verschiedenen Welten – und doch gibt es einen Ort in der Vergangenheit, der ihre Biografien miteinander verknüpft: das Café Heider in der Friedrich-Ebert-Straße. Fast täglich sind sie in dem zu DDR-Zeiten einzigen privat betriebenen Café Potsdams ein- und ausgegangen, erzählen die Protagonisten in dem Buch „Damals im Café Heider. Die Potsdamer Szene in den 70er und 80er Jahren“. Der freie Autor und ehemalige Zeit-Redakteur Martin Ahrends stellt sein Potsdam-Buch heute im al globe vor. 25 Biografien hat er darin zusammengefasst. Überflüssigerweise kürzt der Autor die Namen der Interviewten ab: Buchhändler Carsten W., Malerin Olga M., Kulturmanagerin Jeanette N. – man kennt die Erzählenden sowieso.

Die Geschichten drehen sich rund um das Café, beschreiben das DDR-Zeitgefühl, das sich dort entfaltete, die Abhöraktionen der Stasi, die Neueröffnung nach der Wende durch Nico Gehn. Nichts ist geblieben, wie es war. Das zeigen auch die zum Teil sehr ästhetischen, aber vor allem sehr viel Stimmung transportierenden Fotografien von Roger Drescher in dem gebundenen, großzügig layouteten Werk. Man liest sich schnell ein, fühlt sich in Potsdams Vorwendezeit und ihre Mentalität versetzt: Wenn sich beim Durchblättern auch einiges wiederholt, das Café mehrfach aus dem selben Blickwinkel beschrieben wird. Auch stilistisch kann man meckern. Nicht alle im Gespräch entstandenen Protokolle sind sorgsam überarbeitet. In der Geschichte von Andreas H. zum Beispiel liest man gleich zweimal an verschiedenen Stellen, dass das Café Heider Zentrum für Randgruppen war. Außerdem hüpft die Erzählung in der Chronologie hin und her.

Das Café Heider, sagt Fotograf Andreas H., war günstig gelegen zwischen Abrissviertel und Wohnungen von Künstlern und Bohemiens. Die Inneneinrichtung habe aus einer skurrilen Mischung von DDR-Möbeln, Wiener-Caféhaus-Anklängen und Kitsch in der Mokkastube bestanden. Das Café sei Zentrale gewesen für Randgruppen aller Art, Trinker, Punks, auch helle kritische Köpfe und Touristen aus Berlin. Hier traf diese „Mischung aus Irren aller Kategorien, normalen Kaffeetrinkern und Kuchenessern“ aufeinander, sagt Andreas H. Sehr schräg, einer der wenigen Orte, an denen man Subkultur leben konnte. Er erinnert sich an die Tobsuchtsanfälle von Christa Köhler, der Schwester des Chefs. Und an die damals viel direktere Form sexueller Annäherung, die oft weiter ging, mitunter bis zum Tripper. Er war nicht der einzige, der sich infizierte.

Die in Potsdam aufgewachsene Autorin Renate W. fand das Heider „harmlos“. Es gab keine Untergrundbewegung, sagt sie, keine Opposition. „Wir haben unser Zeug gesponnen, aber Ideen waren ja immer der große Feind.“ Trotzdem hat sie das Heider als Insel empfunden, eine die nur im Osten so sein konnte, wie sie war. Die Gesellschaft im Café war offen, aber gleichzeitig auch geschlossen, sagt sie. Von jedem, der neu hinzu kam, habe man gedacht, er sei im Auftrag der Stasi da. Für die sexuelle Freizügigkeit hat sie eine ganz einfache Erklärung: Der Staat hat das Kreative unterbunden. Und im Heider sei es quasi umgeleitet worden, da konnte man das Kreative sexuell ausleben.

Auch Buchhändler Carsten W. denkt beim Heider an Christa Köhler. Sie war der Boss, sagt er. „Wenn man bei ihr einen Stein im Brett hatte, war man fein raus.“ Er schmunzelt heute noch über das seltsame Markenbestellsystem, mit dem er den Kuchen ordern musste. Ihm kommt ein Werbe-Dia in den Sinn, „Besuchen Sie uns im Café Heider“, das vor der DEFA-Wochenschau „Augenzeuge“ im Kino Melodie auf die Leinwand projiziert wurde. Für Carsten W. war das Heider seine Universität, seine geistige Heimat. Er hat dort viel diskutiert, auch über die Bücher die er sich im Café besorgte – z.B. von Mücke, der Westbeziehungen hatte und an Camus, Sartre und Freud herankam. „Es lässt sich gut reden, wenn man sich einig ist, wogegen“, sagt er heute. Für Carsten W. kam im Heider das Wort vor dem Sex. Nicht für jeden war das Café ein Ort für kreative Umleitung.

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