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Der Potsdamer Regisseur Andreas Dresen (l.) und der CDU-Landtagsabgeordnete Henryk Wichmann auf dem roten Teppich der Berlinale.

©  Berlinale

Wichmann-Film-Premiere im September: Ein Regisseur, ein Politiker und zwei Filme

„Das erdet mich aber total, weil sich die Menschen in der Uckermark nichts daraus machen, ob ich im Kino bin oder nicht. Das ist denen völlig schnuppe.“ Ein Gespräch mit dem brandenburgischen Landtagsabgeordneten der CDU HENRYK WICHMANN

Stand:

Herr Wichmann, Sie sind als Landtagsabgeordneter über ein Jahr lang von Andreas Dresen, einem Kameramann und einem Tonmann begleitet worden. Wie stark hat die Anwesenheit des Filmteams die Wirklichkeit, durch die Sie da gewandert sind, verändert?

Eigentlich sehr wenig, würde ich sagen. Ich habe mich nicht auf das Kamerateam konzentriert, mich eigentlich nicht darum gekümmert. Ich bin ja kein Schauspieler, der eine Rolle spielt, und Andreas Dresen war nicht mein Regisseur, der mir von morgens bis abends irgendwelche Regieanweisungen gegeben hat. Ich habe einfach nur meine Arbeit als Abgeordneter gemacht, so wie auch jetzt, und Andreas Dresen war einfach nur dabei mit der Kamera.

Haben Sie das Gefühl, dass bei bestimmten Dingen während der Dreharbeiten die Anwesenheit des Kamerateams geholfen hat?

Absolut. Etwa die Szene mit den Naturschützern, als es um den Ausbau des Radweges Berlin-Usedom und den Schreiadler ging, wegen dem ein letztes Teilstück sieben Jahre lang nicht ausgebaut werden konnte, weil der Adler da – in der Nähe zur Autobahn übrigens – brütet. Da haben die sich natürlich viel kompromissbereiter gezeigt, als die merkten, dass Andreas Dresen mit der Kamera die ganze Zeit dabei ist. Natürlich wollen die Menschen und auch nicht die Naturschützer im Film schlecht wegkommen.

Es gibt eine Szene mit Ihnen und Ministerpräsident Matthias Platzeck in der Landtagscafeteria und man sieht, dass er die Kamera ganz bewusst wahrnimmt, dass er sich auch für die Kamera verhält. Hätte es das Gespräch ohne Kamera auch gegeben?

Solche Gespräche zwischen dem Ministerpräsidenten und mir gibt es immer wieder mal am Rande des Plenums, schon allein, weil er ja auch in der Uckermark seinen Wahlkreis hat und ich dort zu Hause bin. Wenn wir uns sprechen wollen, dann finden wir auch eine Gelegenheit dazu. Wie er geantwortet hätte, wenn die Kamera nicht dabei gewesen wäre, dass müssen Sie ihn selber fragen.

Sie hatten nach jedem Drehtag 48 Stunden Zeit, um bei Dresen ein Veto gegen das Verwenden von Filmmaterial einzulegen. Haben Sie davon Gebrauch gemacht?

Ich habe, glaube ich, einmal darum gebeten, etwas wegzulassen, weil es sich um ein sehr sensibles Bürgergespräch handelte, von dem ich nicht wollte, dass das dann hinterher im Kino zu sehen ist – auch, um den Menschen nicht bloß zu stellen.

Und eigene Szenen?

Nein. Was ich in dem Jahr gemacht habe, war alles frei für Andreas Dresen, er konnte das verwenden. Da hatte ich Vertrauen. Ich finde auch, da ist auch ein ganz ausgewogener Film entstanden, in dem auch Szenen sind, die ich sicherlich hätte rausnehmen lassen sollen, wenn es rein um meine Image-Pflege gegangen wäre.

Zum Beispiel?

Meine Zwischenrufe in einer Bildungsdebatte gegen einen Kollegen von den Linken. Da hätte ich natürlich sagen können, die fliegen raus. Aber Politikerporträts und Filme, in denen die Fassade perfekt ist, gibt es genug.

Sie haben 2002 Bundestagswahlkampf gemacht, daraus entstand der erste Film „Herr Wichmann von der CDU“, jetzt sind Sie im Landtag und es gibt „Herr Wichmann aus der dritten Reihe“. Haben Sie neben den Erfahrungen mit dem Medium Film in ihrem Alltag als Landes- und Lokalpolitiker Veränderungen im Verhältnis von Medien und Politik wahrgenommen?

Ich finde, dass die Politik insgesamt in ihren Äußerungen viel, viel schneller geworden ist – insbesondere durch die neuen Medien wie Internet, Twitter und Facebook. Nachrichten werden live verbreitet. Auch von Kollegen werden aus dem Plenarsaal heraus Nachrichten verbreitet, die sonst erst am nächsten Tag in der Zeitung gestanden hätten. Und da müssen wir aufpassen, dass wir als Politiker nicht noch mehr nur reagieren auf Trends oder Nachrichten, die gerade oben sind in den Schlagzeilen, und uns keine Zeit mehr nehmen für Analyse, für ein tieferes Einsteigen in Themen, um uns eine eigene Meinung tatsächlich bilden zu können. Wir müssen nicht immer gleich eine Antwort parat haben, nur weil alles so schnelllebig geworden ist. Da sind Politik und auch unsere Demokratie ein Stück in Gefahr, dass wir uns alle gegenseitig überfordern.

Und dann kommen Sie vom Landtag in Potsdam in die Uckermark, stehen am Wochenende in der Turnhalle am Infostand der Seniorinnen vom Deutschen Roten Kreuz und versuchen ins Gespräch zu kommen. Die sind aber maulfaul und Sie müssen immer neue Anläufe nehmen – ist das dann die totale Entschleunigung?

Das erdet mich aber total, weil sich die Menschen in der Uckermark nichts daraus machen, ob ich im Kino bin oder nicht. Das ist denen völlig schnuppe. Die wollen, dass ich die Probleme, die sie haben, mitnehme und versuche, diese zu lösen. Das ist alles total unverkrampft und entspannt und bodenständig. Und da stehe ich mit beiden Beinen auf uckermärkischem Boden und fühle mich wohl.

Das gemeine Wahlvolk gilt als politikerverdrossen – Andreas Dresen kann, wie er sagt, nach den Erlebnissen bei den Dreharbeiten mit Ihnen eine gewisse Volks- beziehungsweise Wählerverdrossenheit bei Politikern durchaus nachvollziehen. Es gibt ja mehrere Szenen im Film, wo Sie Wählern ausgeliefert sind, wo Sie nicht mehr durchdringen, in denen die Leute wirklich nur noch Frust und Vorurteile abladen. Sind Sie ein wenig volksverdrossen nach solchen Erlebnissen?

Nein, ich fühle mich manchmal mehr wie ein Seelendoktor, aber verdrossen bin ich überhaupt nicht. Aber es gibt ganz viel Frust bei den Bürgern, weil ihnen – wie ich glaube – nicht zugehört wird und Politiker es sich zu oft auch zu leicht machen und mit fertigen Botschaften in die Lande fahren. Man sollte zuallererst als Abgeordneter den Leuten zuhören. Und einige laden dann eben bei einem Frust ab, andere haben dafür Ideen und machen tolle Vorschläge, die kann man dann mit nach Potsdam nehmen. Wenn wir alle unsere Arbeit mehr so verstehen würden im Landtag und mehr auch auf die Bürger hörten, dem Volk aufs Maul schauten, dann wäre der Zustand unserer Demokratie auch ein anderer.

Können Sie sich vorstellen, dass es noch einen dritten Teil von Herr-Wichmann-Filmen gibt?

Andreas Dresen hat ja irgendwo schon spaßig gesagt, dass der Titel für ihn schon feststeht: „Herr Wichmann im Bellevue“. Warten wir es mal ab. Man könnte ja über den Bundespräsidenten auch viel sagen in diesen Tagen – von daher passt der neue Film auch ganz gut in die Zeit, denke ich.

Warum?

Weil gezeigt wird, dass es nicht nur die Spitzenpolitiker gibt, die – warum auch immer – in negative Schlagzeilen geraten sind, sondern dass es einen großen, großen Teil von Politikern und eben auch Abgeordneten gibt, die einen sehr harten und fleißigen Job machen. Und über die wird eigentlich viel zu wenig gesprochen. Wir sehen in den Medien immer nur die Negativbeispiele und über die vielen ehrenamtlichen Stadtverordneten und Gemeindevertreter, Kreistagsabgeordneten und Bürgermeister wird viel zu wenig gesprochen. Die arbeiten auch jeden Tag bis zu 14 Stunden – genau wie Christian Wulff. Und wenn die irgendwo eine Übernachtung buchen, dann bezahlen die diese sogar selbst.

Klingt so, als wären Sie von ihrem Parteifreund und Bundespräsidenten schwer genervt. Sollte er nach all den Affären und Vorwürfen zurücktreten?

Die Entscheidung muss er für sich allein treffen, das muss er am Ende mit sich selbst ausmachen. Egal wie die Sache ausgeht, seine Glaubwürdigkeit ist schon sehr angekratzt. Wir können alle nur das bekommen, was wir uns auch leisten können: Freunde hin, Freunde her. Ich denke, wenn ich in seiner Situation wäre, würde ich schon zum Schutz der eigenen Familie einen Strich ziehen. Meine Frau würde das jedenfalls so nicht ertragen können, glaube ich.

Ist Politik auf Kommunal- und Landesebene, so wie Sie die betreiben, brotlos?

Man muss schon sehr verrückt sein und Leidenschaft mitbringen, wenn man das so betreibt. Meine Büros kosten ja auch Geld und ich könnte mich ja zurücklegen und weniger Bürgerarbeit machen.

Der Film endet immer vor Ihrer Haustür. Privtleben gibt es da nicht, wie viel Zeit bleibt Ihnen für die Familie?

Das ist nicht einfach, auch weil die Abende ja oft mit Politik ausgefüllt sind. Ich kann eigentlich nur froh sein, dass unsere älteste Tochter schon immer erst ganz spät einschläft. Dadurch sehe ich sie wenigstens noch wach, wenn ich gegen 21 oder 22 Uhr nach Hause komme. Für alle Besorgten: Sie hat einen guten Tiefschlaf und ist auch sonst fit – wir müssen uns keine Sorgen machen. Ich versuche ansonsten, jeden Morgen mit ihnen zu frühstücken und die Wochenenden einigermaßen mit der Familie zu verbinden – denn die Woche ist wirklich voll. Wenn wir Plenum haben in Potsdam oder Ausschüsse und ich zwei, drei Mal in der Woche nach Potsdam pendle, dann sitze ich ja schon allein vier bis fünf Stunden im Auto – Zeit, die dann bei der Familie fehlt. Meine Frau muss da ungeheuer viel kompensieren und mir abnehmen.

Jetzt sind nach dem ersten Wichmann-Film neun Jahre vergangen. Wo wollen Sie in neun Jahren sein?

Ich möchte weiter in Brandenburg Politik machen – für Brandenburg. Ich möchte nicht in den Bund wechseln, weil ich mich in der Brandenburger Landespolitik inzwischen sauwohl fühle, weil es überschaubar ist, weil ich schnell Mal an einen Minister oder Staatssekretär rankomme, obwohl wir nicht einmal in der Regierung sind, das ist auf der Bundesebene alles viel größer und komplizierter, denke ich.

Das Interview, das am Rande der Berlinale stattfand, führte Peter Tiede

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