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Kultur: Ein Schutzort ohne fremde Einflüsse

Bilder und Bonsai – Ab morgen stellen Claudia Johanning und Stefanka Ernst in der Galerie Töplitz aus

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Bilder und Bonsai – Ab morgen stellen Claudia Johanning und Stefanka Ernst in der Galerie Töplitz aus Mit dem Malen begann sie, als der Vater nicht mehr aus dem Westen zurück kam. Damals war Claudia Johanning zwölf Jahre und nahm ganz unfreiwillig eine exponierte Stellung ein – „im negativen wie im positiven Sinne“. Der Ausreiseantrag, den die Mutter für die in Potsdam gebliebene Familie stellte, brachte ihr bisheriges Weltbild ins Wanken. Claudia zog sich bis spät in die Nacht in ihr Reich der Malerei zurück, philosophierte mit Pinsel und Farbe über Gott und die Welt. Gerade die Religionen eröffneten ihr nach der verordneten staatlichen Uniformität Neuland. „Vieles habe ich damals nur unbewusst wahrgenommen, meine Mutter und meine um vier Jahre ältere Schwester haben viel mehr Repressalien aushalten müssen. Ich wusste nur, dass unser Türschloss ausgewechselt und wir abgehört wurden. Alles andere hielt meine Mutter von mir fern, schließlich bestand die Gefahr, dass sie als Komplizin meines Vaters verhaftet und wir in ein Heim gebracht werden würden.“ Die ab morgen um 16 Uhr in der Töplitzer Galerie von ihr gezeigten Arbeiten lassen nur ahnen, was im Inneren der jungen Frau brodelt. Zuerst einmal nehmen ihre Landschaften gefangen, die vor allem vom Ausstellungsort, der Insel Töplitz, inspiriert sind. Der Blick auf die Wublitz, der in seiner Entrücktheit an das ferne Kanada erinnert, der tiefhängende Himmel, und immer wieder die weite Feld- und Wiesenflur. Doch wie ein im Gebälk der rustikalen Galerie hängendes beidseitig bemaltes Gemälde zeigt, schlagen zwei Seelen in ihrer Brust. Da gibt es neben der friedlichen, Ruhe ausströmenden Natur eben auch die inneren Auseinandersetzungen, die in ihrer Intensität mitunter an Edward Munch erinnern. Und vieles davon führt bis in die Jugend zurück. Ein sehr einschneidendes Erlebnis in ihrer Pubertät war der Besuch des Konzentrationslagers Sachsenhausen. „Ich habe damals sehr stark darauf reagiert, mich an gesellschaftspolitischen Problemen gerieben und auch moralische Fragen aufgeworfen.“ Anfangs verarbeitete sie diese aufwühlenden Gedanken und Gefühle in einer sehr surrealistischen Bildsprache. „Ich malte aber auch meinen Wellensittich und Porträts und immer wieder Haltungsstudien.“ Dann kam – zwei Monate vor Maueröffnung – die Ausreise. „Es war schrecklich für mich. Ich glaubte ja damals, es sei ein Abschied für immer.“ Gerade durch ihre besondere Situation entwickelten sich einige Freundschaften viel intensiver. Claudia war in der 8. Klasse, als sie „vom funktionierenden sozialistischen System ins funktionierende kapitalistische System“ wechselte: nach Bayern. „Ich glaube, ich war dort mehr Ausländer als jeder Türke.“ Immer mehr bestimmte die Malerei ihr Leben. „Bis zu acht Stunden experimentierte ich, probierte auch im Alleingang die verschiedensten Drucktechniken aus. Das war mein Bereich, und keiner sollte sich dort einmischen.“ Nach dem Abitur bewarb sie sich an verschiedenen Kunsthochschulen, doch nachdem sie vier, fünf Ablehnungen in den Händen hielt, war ihr klar: Dieser Konkurrenzdruck ist nichts für dich. Sie begann in Münster Kunstgeschichte und Philologie zu studieren, aber ohne das Latinum wiederum ein schwieriges Unterfangen. „In dieser Zeit kam ich mit der Band Mamasweed in Berührung, die auch aus Potsdam war. Auf einmal öffnete sich eine ganz neue Welt: Musik, Konzerte und auch die Liebe. Vorbei war die Zeit des eher eigenbrötlerischen Daseins. Sie ließ das Studium schleifen, zog nach Berlin und bekam vom Gitarristen der Band ein Kind. Die Mutter dieses Gitarristen war es wiederum, die die Idee zu dieser ersten Ausstellung von Claudia Johanning hatte: Stefanka Engst, eine mit der Natur durch und durch verbundene Frau. Sie kam 1969 aus Bulgarien in die DDR und studierte an der Humboldt-Universität Gartenbau. Seit langem schon ist sie leidenschaftliche Bonsai-Züchterin. Derzeit ist Stefanka Engst in Töplitz ABM-Leiterin und arbeitet an der touristischen Weitergestaltung der Wanderwege. Sie, die mit beiden Beinen im Leben steht und keine Zeit zum Philosophieren hat, wie sie mit einem herzlichen Lächeln betont, wird mit ihren Pflanzen im Topf - so die Übersetzung für Bonsai - das Räumliche in die Bilderausstellung einbringen. Und zur Eröffnung wird sich dann auch der die beiden Frauen verbindende Mann dazu gesellen: natürlich mit Band. Claudia Johanning sieht sich selbst als professionelle Dilettantin, die nicht vor hat, noch ein Kunststudium aufzunehmen. „Dafür hätte ich auch nicht das ausreichende Selbstbewusstsein. Ich sträube mich nicht gegen das Lernen durch andere, aber die Malerei ist für mich ein Schutzort, der frei geblieben ist von Einflüssen.“ Natürlich lebt sie nicht unter einer Glocke, sucht sehr wohl die Auseinandersetzung. Sehr angeregt fühlt sie sich von der Lyrik der seit 1943 verschollenen Jüdin Gertrud Kolmar, über die sie ihre Magisterarbeit schrieb. Die reiche bildhafte Sprache dieser Schriftstellerin löste wiederum in ihr eine Bilderflut aus. Jetzt versucht Claudia Johanning, die ihre Werke mit „Caludia“ signiert, eine Ausstellung zu organisieren, wo sich beide Bilderwelten treffen. Doch zuvor kann man sich in Töplitz auf eine auf- und anregende, weit gefächerte Schau freuen: auf „KUNST natürlich“. Tiere, Fabelwesen, Menschen, Landschaften – gepaart mit liebevoll zu Bonsais geschnittenen Linden, Ulmen, Eichen oder Hibisken – gibt es zu entdecken. Und die Töplitzer werden sicher auch ihre Freude haben, die Natur vor der eigenen Haustür nun in Öl zu betrachten. „Ich bin schon immer stark in der Landschaft gefangen gewesen. Seitdem ich in Berlin wohne, leide ich darunter, kaum Ruhe zu finden.“ So waren die Wochen in Töplitz auch ein Wiederentdecken ihrer Heimat, der brandenburgischen Landschaft mit den weiten Horizonten und den tief einschneidenden Wasserläufen.Heidi Jäger

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