Kultur: Ein Tag wird zum Hund
Voice in Concert: Attwenger mit Volxmusik im Nikolaisaal-Foyer
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Es wird ein Geheimnis bleiben, wie sich das österreichische Duo Attwenger mit ihrem Schlagzeug und dem an allerlei Elektronik angestöpselten Akkordeon gerade in die „Voice in Concert“ genannte Foyer-Reihe „schummeln“ konnten. Markus Binder singt zwar auf sehr markante Art, aber dass sein Organ nun besonders schön, kristallklar oder emotionalisierend klänge, um in die vom rbb-Kulturradio aufgezeichnete Reihe zu passen, kann niemand behaupten. Für Attwenger müsste es „Heimat in Konzert“ heißen, denn es ist nicht die Stimme, die hier prägt, sondern das Land Österreich mit allen seinen sprachlichen Eigenheiten und sonstigen Schrulligkeiten. Der Schlagzeuger und Sänger Markus Binder sowie Hans-Peter Falkner am Akkordeon sind überhaupt keine Sänger, sie sind Interpreten einer kritischen, chaotischen und damit zeitgemäßen musikalischen Identität Österreichs.
Attwenger spielen Volksmusik, oder besser Volxmusik. Die hat sich vom Musikantenstadl und hirschhornigen Trachten lange verabschiedet, hin in die Stadt, in die Szene, um an die Möglichkeiten einer aktuellen Musik aufzuschließen. Freilich auf heimatlicher Grundlage.
„Nicht HipHop, nicht Blues und nicht Chanson“. Lothar Jänichen, als Moderator vom rbb Kulturradio für die Einführung der Künstler zuständig, schwamm ein wenig bei der Vorstellung der beiden Musiker.
Attwenger sind bekennende Österreicher, und ihre Landsleute schätzen das. Von denen kamen einige in das Foyer und machten den auf den Sesseln sitzenden Preußen vor, wozu Attwengers Musik eigentlich gemacht ist. Zum Tanzen.
Der Österreicher an sich pflegt einen behäbigen, in breiter Sprache vorgetragenen Humor. Das Lachen ist dem Munde dabei oft nicht anzusehen. Der Scherz des Österreichers wirkt irgendwie immer ernst, fast traurig. So, als Binder auf die Saalbestuhlung schaute und bemerkte, er glaube, die Stühle wären aufgestellt, um auf ihnen zu tanzen. Trotz der Diskolautstärke, mit der das Duo seine Musik durch die Verstärker jagte, so dass sie immer hin und her zwischen den nackten schwarzen Wänden der Halle vibrierte, folgten die meisten dieser Aufforderung nicht. Aber man bewegte wenigstens Schultern, Arme und Füße. Was an dem knochigen Beat von Binders Schlagzeug lag, der seine Stöcke zackig und in Hochgeschwindigkeit auf Trommel und Becken wirbelte. Dieses Grundkorsett aller Stücke von Attwenger bietet selten rhythmische Variation, das Bauprinzip heißt Wiederholung. Binder trommelt kunstfertig, aber die Frequenz und Dauerhaftigkeit seines Tun erinnert tatsächlich an den Punk, mit dem Attwenger natürlich auch immer in Verbindung gebracht wird. Auch mit „Drum ,n“ Bass", einer auf monotonen Rhythmus basierende Ausprägung der Clubmusik.
Melodienstücke werden von Falkners Tasteninstrument geliefert, sofern die elektronische Verarbeitung nach dem Mahlgang etwas Struktur übrig lässt. Wer genau zuhörte, erkannte tatsächlich alte Ländler, das Österreich der Almwiesen, Lederhosen und Alphörner. Ganz von Ferne, aber sehr respektvoll behandelt.
Die Texte von Attwenger, meist vom trommelnden Binder in Stakkato-Taktung mehr gerappt als gesungen, sollen sich kritisch mit österreichischer Geschichte und Politik auseinander setzen. Zu hören war davon leider wegen der an diesem Abend in Konkurrenz zum neuen Theater stehenden extrem langen Nachhallwerte nichts. „Hobts i oales verstanden?“, fragte Falkner zweifelnd. Das Publikum heuchelte höflich. Es reichte jedoch, um die unerwartete Nähe des österreichischen Idioms mit amerikanischem Sprechgesang zu bemerken. Wie in der im Programm abgedruckten Zeile: „Und a dog is a dog, und da dog is a hund, waun da hund ned so mog, is ned guad für den dog.“ Attwenger ebnet mit Sprachwitz und Elektronik das steil aufragende Alpenpanorama, das die Volksmusik sonst einkesselt. Man sieht, ohne diese Begrenzung reicht der Horizont in der Musik Österreichs mindestens bis über den Atlantik. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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