Kultur: Ein Vorgefühl
Villa Kellermann und Filmmuseum ehren Strawalde zum 75. Geburtstag
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Wer seinen Film „Rangierer“ aus dem Jahr 1984 kennt, der vergisst sie nicht mehr, diese ästhetische Anordnung der unendlich miteinander verbundenen Gleise, das Hantieren der Rangierer im Güterbahnhof, wo das kommentarlose Quietschen und Kreischen und Stocken und Schleifen des Eisens zu einer eigenen Sprache wird. So entsteht eine merkwürdig poetische Dimension und der großartige Film war so eindringlich, dass man gleich wusste: dieser Regisseur Jürgen Böttcher ist außergewöhnlich.
Dass er bei der DEFA ein gefeierter Dokumentarfilmer war, versteht sich von selbst. Dass er dabei immer wieder an die Grenzen der Zensur geriet, bis seine Protagonisten eben nicht mehr sprachen, spricht für ihn. Aber dass er eigentlich auf anderem Felde tätig war und bis heute, seinem 75. Geburtstag, weiterhin ist, ist dann doch nicht leicht zu fassen.
Jürgen Böttcher gab sich den Namen Strawalde nach dem Dorf in der Oberlausitz, in das seine Familie 1937 zog. Nun werden seine Bilder in der Villa Kellermann gezeigt, und zu Recht wunderte sich Galeristin Friederike Sehmsdorf anlässlich der Vernissage am Donnerstagabend ein wenig, dass dies die erste Strawalde-Ausstellung in Potsdam sei, wo er immerhin Wesentliches zur Filmgeschichte der DDR beitrug.
Dass er dies auch für die Malerei nicht nur der DDR leistete, kann jetzt in der das gesamte Haus umfassenden Ausstellung bestaunt werden. Da sitzen sie sich gegenüber, gleich im Entrée, die beiden Frauen, das Model („femme assise“) und „Dobsy“. Sie tun so, als hätten sie nichts miteinander zu tun, ein wenig blasiert sind sie in ihren langen Roben, Dobsy trägt das lange Schwarze und das Model ein helles Etwas, das ihre beiden Brüste betont. Das Model trägt dazu ein verwegenes Hütchen auf ihrer langen Mähne und zeigt die schwarzen Stiefel unter dem Rock. Stolz, ehern, hoheitsvoll wie Mona Lisa. Diese Frauen hängen immer mal wieder in einem der Räume am kühlenden See.
So darf natürlich auch „Anna Chron“, die Legendäre, nicht fehlen, und an ihr hat sich der Maler so abgearbeitet, dass die Rillen der fast weißen Bluse tief gefurcht sind, fast so, als wäre ein kleiner Zug darüber gefahren.
Frauen erscheinen immer wieder auf den Bildern des inzwischen weltweit bekannten Künstlers, sie tauchen auf als Schatten oder als Möglichkeit wie in „Ahnung“, wo die vertikalen Strukturen nur einen Hinweis geben, eine Option auf ein Zusammentreffen. Ein Vorgefühl eben, soviel und so wenig. Selbst wenn seine Arbeiten komplett abstrakt zu werden scheinen, wie in „Assemblage“, so gibt die spielerische Komponente der Zusammensetzung der Teile, die Stoffe sind oder Haare, die weiß sind auf dem Schwarz des Untergrundes und mit der Tiefe lächelnd korrespondieren, einen Sinn. Und wenn es nur der der lichten Schönheit ist.
Strawalde – es wird Zeit, dass Potsdam diesen Maler sieht, der von 1960 bis 1991 Regisseur bei der DEFA war und dafür seinen bürgerlichen Namen Jürgen Böttcher nutzte.
Das Filmmuseum gratuliert ebenfalls mit einer Filmschau. Zu seinem heutigen Geburtstag wird sein 2001 entstandenes „Konzert im Freien“ gezeigt. 14 000 Meter Material über das Marx-Engels-Forum in Berlin filmten Böttcher und Kameramann Thomas Plenert zwischen 1981 und 1986 im Auftrag des DEFA-Dokumentarfilmstudio. Dieses alte Material hat Böttcher reanimiert. Entstanden ist eine Film-Collage von Aufnahmen der damals am Projekt beteiligten Künstler und Beobachtungen heutiger Besucher des anachronistischen Denkmalensembles.
Ausstellung Villa Kellermann, bis 20. August, Mo 18 bis 24 Uhr, Di bis So 12 bis 24 Uhr, Tel. 0331-291572.
Lore Bardens
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