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Mehr Bauch-, denn Kopftyp. Der französische Cellist Gautier Capuçon.

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Kultur: „Eine eigene Stimme? Ist für mich nicht schwer“

Morgen spielt Gautier Capuçon im Nikolaisaal – Ein Gespräch über Leihwagen fürs Konzert und Bildern in der Musik

Stand:

Monsieur Capuçon, Sie haben sich ein Auto gemietet, um von Berlin aus selbst zu ihren Konzerten nach Frankfurt an der Oder und Potsdam zu fahren. Ist das Ihre übliche Art als Musiker zu reisen?

Mein Fahrer ist leider ganz plötzlich krank geworden. Aber nein, jetzt ganz ehrlich, natürlich ist das nicht meine übliche Art zu Konzerten mit dem Mietwagen zu reisen. Aber in diesem Fall habe ich mich dafür entschieden, denn es ist sehr angenehm, nicht jeden Tag in ein neues Hotel umziehen zu müssen. Oft genug besteht das Leben eines Musikers ja darin, jeden Tag in einem anderen Hotel aufzuwachen. Das ist für mich nicht immer leicht, denn es kommt nicht selten vor, dass ich morgens die Augen aufschlage und im ersten Moment gar nicht weiß, wo ich bin. Heute Morgen bin ich von Paris nach Berlin mit dem Flugzeug gekommen und die kommenden vier Tage wohne ich jetzt hier im Hotel. Eine Art Basis, an der ich zur Ruhe kommen kann.

Aber den Weg nach Frankfurt kennen Sie schon?

Nein, ich bin zum ersten Mal dort.

Und Potsdam?

Da bin ich auch noch nie gewesen.

Nun, dann haben Sie jetzt genug Zeit, auf Ihren Autofahrten die verschneite Landschaft Brandenburgs zu genießen. Uns macht dieser ungewohnte Winter allerdings mittlerweile sehr zu schaffen. Die Kälte, der graue Himmel, kaum Sonne. Wie gehen Sie als Musiker mit solchem Wetter um?

Sie meinen den Einfluss von Wetter auf meine Art zu spielen? Nun es gibt Menschen, die auf Licht sehr stark reagieren. Die werden depressiv, wenn es dunkel ist und blühen auf, atmen freier, wenn das Licht wieder da ist, die Sonne scheint. Die Aufnahmen für mein jüngstes Album mit Tschaikowskys Rokoko-Variationen und Prokofjews Sinfonia concertante fanden im Dezember in Sankt Petersburg statt. Ein Wetter wie hier, Schnee und Frost, eine Atmosphäre, die natürlich auch Einfluss auf die Musik nimmt. Aber da kommt so viel zusammen. Wie ich mich gerade persönlich fühle, was mich belastet oder erfreut und all die anderen, alltäglichen Einflüsse. Das Leben ist so voll davon. Das beeinflusst mein Spiel viel stärker als das Wetter.

Es gibt diese treffende Aussage, dass Musik sich mit Worten nicht beschreiben lässt, dass es dafür immer Bilder, Farben oder Wetterbeschreibungen bedarf. Welche Bilder sehen Sie, wenn Sie Cello spielen?

Da sind ständig wechselnde Bilder in meinem Kopf. Und das ist ein großes Problem, wenn ich einen Meisterkurs gebe. Nehmen wir zum Beispiel Dvoráks Cellokonzert, das ich auch in Potsdam spiele. Da bespreche ich dann mit einem Schüler einen bestimmten Abschnitt und benutze Bilder, um zu erklären. Die können aber nur für diesen Moment stehen. Denn schon am nächsten Tag, bei demselben Abschnitt, sehe ich wieder ganz andere Bilder. Oder nehmen wir Tschaikowskys Rokoko-Variationen, die so melancholisch sind. An einem Tag spiele ich sie vielleicht mit einer großen Verzweiflung und Sehnsucht und schon am nächsten Tag zwar immer noch mit einer gewissen Traurigkeit, aber mit einer Distanz, in der auch etwas Hoffnung mitschwingt. Da wird es schon wieder schwierig mit den Bildern.

Aber Bilder und Farben können doch zumindest eine Vorstellung schaffen.

Ja, aber jeder hat seine eigene Vorstellung. Der eine sieht in dem Stück eine Berglandschaft im Schnee, ein anderer ein ganz dunkles Blau und der nächste dann ein lächelndes Kind. Wir versuchen da etwas auszudrücken und merken, wie schwer das in Worte zu fassen ist. Manchmal helfen dann auch keine Bilder oder Farben, dann ist da einfach nur ein ganz starkes Gefühl, das aus meinem Inneren kommt.

Wie gelingt es Ihnen dann bei einem regelrechten Evergreen wie Dvoráks Cellokonzert, das so oft schon gespielt wurde und von dem es unzählige Referenzaufnahmen gibt, eine eigene Stimme zu finden, einen Ton, eine Interpretation, die sich von den anderen abhebt?

Für mich ist das nicht schwer.

Aha!

Das ist auch einfach zu erklären, denn ich unterscheide mich ja von jedem anderen Cellisten. Egal wer Dvoráks Cellokonzert spielt, er wird immer etwas anderes sagen als ich. Und dabei geht es nicht darum, ob das, was er sagt, besser ist. Natürlich können Sie jetzt fragen, warum ich auch noch Dvoráks Cellokonzert aufgenommen habe. Aber warum nicht! Ich wollte es einfach machen, weil dieses Konzert zu mir spricht.

Was heißt, das Konzert spricht zu Ihnen?

Das ist wie mit einem Buch, das ich lese und die erzählte Geschichte spricht mich an. Dabei muss ich nicht alles durchschauen, aber ich muss es verstehen. So ist das auch mit Dvoráks Cellokonzert. Es spricht mich, es spricht mein Herz an, es löst etwas in mir aus. Daraus entsteht eine Ehrlichkeit in meinem Spiel, die da sein muss, damit ich mit gutem Gewissen vor das Publikum trete.

Aber entsteht da nicht eine gefährliche Routine, wenn Sie dieses Konzert regelmäßig spielen?

Ich habe es schon so oft gespielt, trotzdem entdecke ich bei jedem weiteren Auftritt etwas Neues und ich spiele es auch anders, weil ich in der Zwischenzeit neue Erfahrungen gemacht habe. Darum klingt auch kein Konzert wie das andere.

Dann sind Sie also eher ein Bauch-, denn ein Kopftyp?

Ja, das ist wahr, ich bin da eher instinktiv. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch darüber nachdenke, was ich da spiele. Ich analysiere sehr viel. Ich nehme nicht einfach die Noten zur Hand, greife mein Cello, spiele und stelle dann fest: Wow, das klingt ja großartig. Lassen Sie mich noch einmal auf meine jüngste Aufnahme mit Tschaikowskys Rokoko-Variationen und Prokofjews Sinfonia concertante zurückkommen. Natürlich war es für mich in der Vorbereitung wichtig zu wissen, wann und unter welchen Umständen diese Stücke geschrieben wurden.

Das liegt dann wohl auch am Reiz des Neuen?

Nein, denn egal wie oft ich ein Stück schon gespielt habe, wie sehr ich es bis ins kleinste Detail, jede einzelne Note analysiert habe, sitze ich auf der Bühne, habe ich das vergessen. Dann erzähle ich auf meinem Cello eine Geschichte, suche das Zwiegespräch mit dem Orchester, mit dem Publikum. Und auch wenn ich etwas Neues probiere oder etwas anders spiele, der Intellekt bleibt außen vor, dann bestimmen nur noch meine Gefühle, da spricht allein mein Herz.

Wie gelingt eine solche musikalische Bedingungslosigkeit, wenn Sie mit einem neuen Orchester spielen und nur ein oder zwei Tage für Proben hatten?

Oh ja, das ist nie einfach bei einer oder zwei Proben vor einem Konzert. Viel entscheidet sich bei einem neuen Orchester schon beim ersten Treffen mit dem Dirigenten. Das ist wie mit uns. Vor einer halben Stunde sind wir uns zum ersten Mal begegnet, haben uns die Hände gegeben und einen ersten Eindruck voneinander gewonnen. Und wir haben vielleicht gedacht: Ja, das kann ein sehr interessantes Gespräch werden. Oder: Oh mein Gott, mit dem muss ich jetzt 30 Minuten reden. Auch wenn Sie jetzt lachen, ich bin mir sicher, Sie hatten einen Eindruck.

Ja, und ich kann darüber offen reden, weil er sehr positiv war.

So ist das auch mit einem Dirigenten. Wenn ich ihm zum ersten Mal die Hand gebe, habe ich eine Ahnung davon, wie die Proben verlaufen werden. Ist da ein Funke, der sofort überspringt, reichen ein oder zwei Proben. Denn dann ist da auch ein Vertrauen, das es braucht, weil so ein Konzert ja auch immer etwas sehr Persönliches ist. Passiert das nicht, kann man dreimal so oft proben, es bleibt schwierig. Aber das ist dann wie im ganz normalen Leben.

Solche Proben müssen der reinste Horror sein.

Ach, man kann ein ganzes Leben proben und trotzdem zu keinem Ende finden. Denn Perfektion gibt es für mich nicht. Ich bin zwar ein Perfektionist, weil ich nie wirklich komplett zufrieden bin. Natürlich bin ich glücklich nach einem Konzert, mal weniger, mal mehr. Aber ich bin nie so glücklich, dass ich sagen würde: Das war jetzt das perfekte Konzert. Denn jedes noch so gute Konzert kann immer noch besser sein. Nicht besser hinsichtlich der Technik. Es geht darum, als Musiker mit einem solchen Konzert auch selbst noch zu wachsen.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Gautier Capuçon spielt am morgigen Samstag mit dem Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt unter anderem Antonín Dvoráks Cellokonzert h-Moll op. 104 im Nikolaisaal. Das Konzert ist ausverkauft. Bei EMI Music Germany ist Anfang Februar Gautier Capuçons russisches Cello-Album mit Tschaikowskys Rokoko-Variatonen und Prokofjews Sinfonia concertante erschienen

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