Kultur: Eine Reise um acht Ecken
Der „Kulturkiosk“ öffnet am 3. August in Potsdam seine Luken nach Osteuropa
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Der „Kulturkiosk“ öffnet am 3. August in Potsdam seine Luken nach Osteuropa Von Heidi Jäger Soja ist die perfekte „Kiosk-Verkäuferin“: Sie brennt für ihre Produkte und weiß diese mit einem charmanten Lächeln zu vermarkten. Zu Hause ist Soja Lukjanova im russischen Perm, „der geografisch letzten Stadt Europas“, dort, wo das Erdöl seinen Weg durch die Trasse nimmt. Seit Anfang des Jahres hat die junge Frau ihre Zelte in Potsdam aufgeschlagen – um ihren „Kultur-Kiosk“ zu betreiben. „Normalerweise laufen wir zum Kiosk an der Ecke, um uns am frühen Morgen Zeitungen mit den neuesten Nachrichten zu holen oder um uns für den Abend mit der Lieblingsschokolade zu versorgen.“ Im „Kulturkiosk“ treffen indes Bekanntes und Ungewohntes zusammen. Auch hier kann man in Zeitungen schmökern, mit Fachleuten über frisch übersetzte Bücher plaudern und dabei auch Süßes naschen. Aber an diesem besonderen Kiosk gibt es auch Schnupperkurse in Polnisch, einen Europa-Quiz, Tanzworkshops – und inmitten des bunten Treibens die herrlichen Zeichentrickfilme von „Lolek und Bolek“, „Nu Pogodi“ oder „Gustav“. Seine Luken öffnet dieser mobile „Laden“ am 3. August am Brandenburger Tor in Potsdam, nachdem er derzeit in Heidelberg und Regensburg seine „Waren“ feilbietet. „Käufer“ müssen sich indes beeilen, denn schon nach einem Tag wird das Sortiment wieder verpackt. Die Idee des „Kulturkiosk“ ersann Soja gemeinsam mit elf weiteren jungen Frauen, die wie sie Stipendiaten des Programms „Kulturmanager aus Mittel- und Osteuropa“ der Robert Bosch Stiftung sind. Ihr gemeinsamer Slogan: „Die Welt ist eine Kugel. Osteuropa ein Oktaeder. Eine Kulturreise um acht Ecken auf wenigen Quadratmetern führt im Kulturkiosk nach Litauen, Polen, Rumänien, Russland, in die Slowakei, nach Slowenien, Ungarn und Tschechien.“ Soja Lujanova betont die Wichtigkeit, dass nicht jeder für sich und für sein Land alleine kämpft, sondern dass sie gemeinsam ihr Wissen über ihre Heimat unkonventionell unter die deutsche Bevölkerung streuen. Das geschieht am Tage informativ am „Kiosk“, wo es zu Begegnungen zwischen Tradition und Moderne, zwischen West und Ost kommen soll und wo man sich auch über Gerüchte und Halbwahrheiten austauschen kann. Der Abend bietet dann im wetterfesten „al globe“ innovativer junger Kunst aus Osteuropa ein Podium. In Potsdam ganz speziell zwei slowakischen Autorinnen, einem Multimedia-Performer aus Estland, Filmemachern aus ganz Osteuropa sowie der DJane „Die Rote Vasilissa“, die zwar in Berlin zu Hause ist, aber ihren Plattenteller mit Balkanbeats, russischem Ska oder Orientalbeats bestückt. „Das al globe war super offen für unser Projekt“, geizt Soja nicht mit Lob, das sie gern auch über die fabrik ausschüttet. Denn dort ging sie ihre ersten Potsdamer Kulturschritte, durfte ganz unkompliziert bei den Tanztagen hospitieren und zudem die russische Kompanie „Doors“ ins Festival-Programm mit einbringen. Im Gegenzug kann die fabrik 2006 mit einer Eigenproduktion nach Perm fahren. Dann ist Perm russische Kulturhauptstadt – ein Pendant zur europäischen Kulturhauptstadt, „die Potsdam leider nicht geworden ist. Ich finde Potsdams Kulturlandschaft sehr lebendig, die Leute sind engagiert und hoch professionell.“ Enttäuscht war die Kulturmanagerin hingegen über die Ignoranz der Stadt, ganz speziell über die vom Kulturamt, „die den Kulturkiosk völlig ignorierte. Wir haben mehrmals um Unterstützung angefragt, aber keinerlei Feedback erhalten. Wir hätten uns auch gern mit einem Logo auf unserem Plakat bei der gastgebenden Stadt bedankt – aber wir waren Potsdam nicht ,kulturwert“ genug.“ Nun stehen nur Regensburg und Heidelberg auf dem Plakat, wo die engagierten Frauen auch offiziell vom Oberbürgermeister eingeladen sind. In Potsdam zeigten sich indes wenigstens die Kulturhauptstadt 2010 GmbH sowie das Verkehrs- und Ordnungsamt Kiosk-freundlich. Soja Lukjanova ist bereits eine „alte Häsin“ in Sachen Kulturorganisation. Schon während der Schulzeit begleitete sie Projekte. Dann studierte sie Deutsch, Englisch und Spanisch: „als Türöffner für andere Kulturen.“ Ein Praktikum führte sie schließlich zur Permer Kontaktstelle des Goethe-Instituts. Als die dortige Leiterin nach Moskau versetzt wurde, übernahm Soja den Chefsessel, vertrat die deutsche Kultur in ihrer Stadt. Sie empfing das Berliner Grips Theater, Ausstellungs- oder Filmemacher. „So wie der Permer Künstler Djagijew Anfang des 20. Jahrhunderts die russische Kunst nach Europa brachte, holen wir sie nun zu uns. Die Leute in meiner Stadt sind sehr interessiert. Wir haben auch selbst eine sehr angesehene Kultur, wie die Permer Ballettschule, die Bildende Kunst und speziell die Fotokunst.“ Durch ihr jetziges Stipendium sieht Soja eine gute Chance, für ihr Land und natürlich auch für Perm zu werben. „Ende August kommt der Kulturviezegouverneur aus dem Permer Gebiet nach Berlin. Ich möchte auch einen Termin in Potsdam für ihn bekommen.“ Nach den letzten Wahlen herrsche bei ihr Zuhause ein frischer Wind. „Den jetzigen Machthabern geht es um das Image der Stadt und nicht um sich selbst, wie es noch in den 90ern üblich war. Natürlich ändert sich nicht alles von heute auf morgen, denn der alte, übernommene Apparat ist eine träge Masse. Aber man spürt schön Veränderungen.“ Jedenfalls seien die Permer jetzt auf der Suche nach neuen Partnern. Auch der Kulturkiosk wird 2006 nach Perm reisen: dann auch mit deutschen „Waren“ im Angebot. „Wir hoffen, dass wir den Kiosk weiter führen können. Die Idee ist einfach gut, mobile und vielfältige Kultur zu präsentieren. Vielleicht lassen sich ja auch die nächsten Bosch-Stipendiaten vom Kiosk-Virus infizieren und führen ihn in modifizierter Form fort.“ Auf jeden Fall wird der Kiosk weiter „bewirtschaftet“. Nicht nur Soja brennt für diese Idee.
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