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Kultur: Eine Stadt namens B.

Monika Maron liest aus „Bitterfelder Bogen“

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Dieser Ort wurde ihr zum Alptraum. Ein Drecksnest, in dem sie gefangen blieb, obwohl sie nur für Tage dorthin reiste. Denn sie fühlte sich verantwortlich den Menschen gegenüber, die in diesem Ort nicht nur arbeiteten, sondern auch lebten. Bitterfeld. Oft reicht es sogar heute noch, nur den Namen dieser Stadt in Sachsen-Anhalt zu nennen und man weiß, was für eine Dreckschleuder dieses Zentrum der chemischen Industrie in der DDR war. Bitterfeld galt als die dreckigste Stadt Europas.

Monika Maron hat in den 70er Jahren immer wieder Bitterfeld für ihre Reportagen in der DDR-Zeitschrift Wochenpost besucht. Sie hat den Dreck und die Umweltverschmutzung gesehen und war entsetzt. Sie hat die Arbeiter in den Betrieben besucht und konnte nicht fassen, mit welchem Gleichmut diese ihr Schicksal hinnahmen. Sie wollte, dass sich etwas ändert. Doch die Wahrheit konnte sie in der Zeitung nicht schreiben. Erst in ihrem Debütroman „Flugasche“, der 1981 im westdeutschen Fischer Verlag erschien, konnte sie sich das Trauma Bitterfeld von der Seele schreiben.

Es bleibt zu hoffen, dass am Samstag in der Druckerei Rüss, nachdem Monika Maron aus ihrem aktuellsten Buch „Bitterfelder Bogen. Ein Bericht“ gelesen hat, auch über „Flugasche“ gesprochen wird. Denn „Bitterfelder Bogen“ ist ohne diesen schonungslosen Roman nicht zu denken.

In „Flugasche“ beschreibt Monika Maron gnadenlos die Verlogenheit des Systems DDR und die Verbohrtheit und das Scheuklappenprinzip der Verantwortlichen. Sie beschreibt die Niedertracht der Duckmäuser und Überangepassten und die Hilflosigkeit der Journalistin Josefa Nadler, die entweder mit kastrierter Sprache sich anpassen muss oder zur Sprachlosigkeit verdammt wird, mit einem Ton, der auch noch heute aufwühlt und mitleiden lässt. Für ihren Bericht „Bitterfelder Bogen“, der in diesem Jahr mit dem Deutschen Nationalpreis ausgezeichnet wurde, ist Monika Maron nach über 30 Jahren wieder nach Bitterfeld zurückgekehrt, dass in „Flugasche“ nur als verstümmeltes „B.“ bezeichnet wurde.

Zwischen „Flugasche“ und „Bitterfelder Bogen“ liegen nicht nur über 30 Jahre, zwischen beiden Büchern liegen Welten. Vom persönlichen und so ehrlich, verträumten Ton ihres Debüts, der sich wie ein Strahlen ausnimmt in diesem beschriebenen Grau der DDR, ist in „Bitterfelder Bogen“ nichts mehr zu spüren. „Ein Bericht“ hat die 68-Jährige ihr jüngstes Buch untertitelt. Nüchtern und distanziert erzählt sie von ihren Besuchen in einem Bitterfeld, in dem das Kohlsche Diktum von den blühenden Landschaften zur wörtlichen Wahrheit wurde. Kaum etwas erinnert an das Bitterfeld der DDR, das „zu einem Symbol für marode Wirtschaft, vergiftete Luft und verseuchten Boden geworden, zu einem Sinnbild des ruinierten Landes“. Monika Maron schaut auf renaturierte Landschaften und auf den Erfolg der Solarzellenfabrik, der sich in diesem einst so geschundenen Landstrich wie ein Wunder ausnimmt. Es ist gerade dieser nüchterne Ton, mit dem Monika Maron ganz unsentimental von einer deutsch-deutschen Erfolgsgeschichte erzählt, der den Reiz dieses Buches ausmacht. Denn auch wenn Skepsis mitschwingt über den Weg, den die Bitterfelder Region nach der Wende ging. Den Ton der Hoffnung, der „Bitterfelder Bogen“ durchzieht, kann diese Skepsis nicht mindern.Dirk Becker

Samstag, 20 Uhr, Ulanenweg 4

Dirk Becker

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