Kultur: Eine „umfänglich verästelte Familie“
Das politische Buch in der Landeszentrale für politische Bildung: „Wir sind die Liebermanns“ von Regina Scheer
Stand:
Anfang des 19. Jahrhunderts waren sie nach Berlin gekommen: Die Liebermanns. Ihre „umfänglich verästelte“ Familiengeschichte spürte die Kulturwissenschaftlerin Regina Scheer in ihrem zuletzt erschienenen Buch (Propyläen Verlag) auf. In der Landeszentrale für politische Bildung stellte sie ihr Werk vor.
Ihre Recherchen führten sie 200 Jahre zurück. Die Wurzeln der jüdischen Familie liegen in Märkisch-Friedland, wo sie es bereits im 18. Jahrhundert durch weit reichende Handelsbeziehungen zu beachtlichem Wohlstand gebracht hatte. Das preußische Emanzipationsedikt von 1812 gewährte den jüdischen Zuwanderern uneingeschränkte bürgerliche Rechte. Mit dem mitgebrachten Kapital und dem in England erfahrenen Know-how des Maschinenbaus erwarben die Liebermanns im aufstrebenden Berlin bald wichtige Schlüsselpositionen im Finanz- und Industriegeschehen der Stadt. Im 20.Jahrhundert galt der Maler Max Liebermann als der bekannteste Vertreter der Familie. Aber bereits im 19. Jahrhundert wurde der Begründer der AEG, Emil Rathenau, ein Cousin von Max Liebermanns und Vater des späteren Reichsaußenministers Walter Rathenau, weltbekannt.
Dem Publikumsinteresse folgend, fokussierte Scheer bei ihrem Vortrag dann doch beinahe ausschließlich auf die Biografie des Malers, der auch als Kulturpolitiker, Mäzen, Stifter, Wohltäter und unverwechselbares Berliner Original bekannt wurde. Dessen markante Sprüche noch immer im Stadtgedächtnis erhalten geblieben sind. Max Liebermann wurde als zweites von vier Kindern des Fabrikanten Luis und seiner Frau Philippine geboren. Der Vater war Teilhaber der Kattunfabrik „Liebermann & Co.“, deren Bedeutung durch den Kauf Eisen verarbeitender Hütten in Schlesien eine wichtige Erweiterung erfuhr. Trotz der wohlhabenden Verhältnisse wären die Kinder sehr einfach erzogen worden. Orientierend an den preußischen Tugenden von Disziplin und Leistungsstreben. Und in der strenggläubigen jüdischen Religion der Väter. Gegen den Willen des Vaters setzte der Sohn seinen Wunsch Maler zu werden durch. Seine ersten Erfolge erwarb er sich zunächst in Frankreich. Mit Walter Leistikow gründete Liebermann 1899 die Berliner Secession, dessen Präsident er wurde. Nach dem Tod Adolph v. Menzels avancierte er zum bedeutendsten Maler Berlins und zu einem wesentlichen Vertreter des deutschen Impressionismus. Lange Zeit bestimmte Liebermann den Kunstbetrieb der Stadt, was ihm wegen seiner ablehnenden Haltung gegenüber dem Expressionismus viele Anfeindungen einbrachte. Die bereits auch antisemitische Züge trugen. Nach dem ersten Weltkrieg und der Revolution wurde er bis zu seinem Rücktritt 1933 Präsident der Preußischen Akademie der Künste. Nach der Ermordung Walter Rathenaus wurde die Wannseevilla Hauptthema seiner Malerei, wo er mit seiner Familie zurückgezogen lebte. Eines seiner letzten Werke war das Selbstporträt, das er für das Jüdische Museum malte. Die Fragen in der Diskussion bezogen sich beinahe nur auf den Maler. Die ablehnende Haltung zum Expressionismus begründete Regina Scheer mit der selbst erfahrenen jahrelangen Ablehnung seiner eigenen Werke. Bei der Frage nach jüdischen Themen in der Malerei verwies Scheer auf das frühe Werk Liebermanns „Jesus im Tempel“, das im Bayrischen Landtag wegen seiner realistischen und unpathetischen Gestaltung großen Aufruhr hervorrief. Seither wählte Liebermann unpolitische und nicht religiöse Themen. Warum die Liebermanns? Das Buch „Ahava, das vergessene Haus“, in dem Scheer über ein jüdisches Berliner Kinderheim berichtete, wäre der Beginn einer langen Geschichte geworden, bei der man an den Liebermanns nicht vorbei kommen konnte. Barbara Wiesener
Barbara Wiesener
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: