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Kultur: Einfach spielen

Eine komische Diskussion über Free Jazz in der DDR

Stand:

Für die Podiumsdiskussion „Free Jazz in der DDR“ im Kutschstall bemühte die einladende Friedrich-Ebert-Stiftung am Donnerstag nicht nur exzellente Musiker wie Helmut „Joe“ Sachse und Uwe Kropinski als musizierende Zeitzeugen, sondern auch etliche Worthülsen vom „lückenlos überwachten Einheitsstaat“, darin sich auf seltsame Weise „Individualität, Egozentrik, Spielfreude, Freiheitsdrang, Fantasie und Kreativität“ entwickeln konnten. Wie sei das eine mit dem anderen möglich gewesen? Abgesehen davon, dass sich die Stiftung in Bezug auf Überwachung und Gleichmacherei auch mal in der heutigen Welt umsehen sollte, war schon die Fragestellung verfehlt. Außer ihr weiß eigentlich jeder, dass sich Kreativität und Repression nicht etwa aus-, sondern einschließen, man denke nur an die vielen Kompositionen aus Theresienstadt oder an Schostakowitschs qualvolle Tonsetzerei unter Stalin. Letztlich geht es doch immer nur um die Frage, wie viel Freiheit die Macht gegen sich zulässt und wie viel Macht die Kunst für und außer sich akzeptiert. Das ewige Spiel seit Anbeginn.

Unter diesem Aspekt ließ sich beim Podiumsgespräch mit den DDR-Freejazzern kaum Politik machen. Sie wollten einfach nur musizieren, improvisieren, experimentieren, „sich frei spielen“, wie Sachse sagte. Eine Befreiung (free) von Jazz, Rock, Blues oder Pop indes war gar nicht nötig, weil Leute wie Uli Gumpert, Hannes Bauer oder Uwe Kropinski diese Standards zuvor erst gar nicht bedienten. Oder kaum. Sie wollten es einfach nur anders machen. Galt in den 50er-Jahren jeder Import aus dem Westen noch als kulturfeindlich und imperialistisch, so änderte sich das angesichts medialer Dauerbeschallung von der Zonengrenze und von Westberlin her bald. Die Musiker machten also, was sie wollten, der Staat hatte stets ein Horch und ein Guck für sie parat. Es gab einzelne Fälle von Repression, doch entstanden überall Jazz-Zentren, wo auch die Freien spielen konnten, in Eisenach, Berlin, Dresden, Glauchau, Freiberg. „Es war ein flächendeckendes Phänomen, wie eine Wolke“, so Albrecht Ecke, Kurator der dazugehörenden Ausstellung „Free Jazz in der DDR. Weltniveau im Überwachungsstaat“ im Kutschstall.

Die Szene war klein und überschaubar, jeder kannte jeden, man spielte frei von aller Konkurrenz, die kam erst nach 1989. Trotzdem stand, so der Kulturmanager Jörg Zieprig, die Free-Jazz-Szene in regem Kontakt mit dem Ausland. Über die staatliche Konzert- und Gastspieldirektion lud man bekannte Musiker ein. Andererseits hatten viele Jazzer schon früh die Möglichkeit, im westlichen Ausland zu spielen, auch Sachse und Kropinski. Nur deutsch-deutsche Begegnungen waren hierzulande nicht erlaubt. Was sollte man also gegen die DDR haben, wenn man die Musiker bestenfalls bat, ein paar Amerikanismen aus ihren nicht genehmigten Info-Blättern zu nehmen? Außerdem verschaffte der Staat ihnen in den Kulturhäusern nicht nur kostenlose Spiel- und Probemöglichkeiten, es wurden in vielen Städten auch Jazz-Arbeitsgruppen gegründet, die nicht allein zur Überwachung gut waren. Selbstverständlich lud die diensthabende Plattenfirma der DDR auch Freejazzer zur LP-Produktion ein.

Spätestens hier erübrigte sich die Frage des Veranstalters, wie denn zwei so konträre Dinge wie die „geschlossene Gesellschaft“ und musikalisches Weltniveau zusammenkommen konnten. Dreimal brillierten Uwe Kropinski und „Joe“ Sachse auf ihren Gitarren, der Saal war Feuer und Flamme. In der DDR gab es also nicht nur Nordhäuser, Kohl und Brot, es gab auch: Free Jazz! Gerold Paul

Gerold Paul

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