
© HOT/HL Böhme
Von Heidi Jäger: Eingeschnürt
„Die Glasmenagerie“ von Tennessee Williams hatte am Hans Otto Theater erfolgreiche Premiere
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Die Sorge quillt aus allen Sofaritzen. Wie ein Wurm windet sie sich durch das weiche Plüsch und gräbt sich tief in die Seelen von Amanda und ihren Kindern Laura und Tom. Die treiben auf dem meterlangen zerborstenen Polster wie auf einem Eismeer. Jeder auf seiner Scholle. Das hilflose Aneinanderklammern lässt sie noch weiter auseinanderdriften.
Die Regisseurin Isabel Osthues packt Tennessee Williams Familiendrama „Die Glasmenagerie“ mit einfühlsamer und zugleich kraftvoller Hand. Sie lässt die Sehnsüchte und Ängste der drei Protagonisten in aller Konsequenz aufeinanderprallen. Und zieht das Publikum zur Premiere am Sonntagabend in der Reithalle A mit eindrücklichen Bildern ohne Umschweife in die Geschichte hinein.
Ihr Focus ist vor allem auf Tom gerichtet. Der sitzt Popcorn verschlingend im Kino, seinem einzigen Zufluchtsort. Irgendwann platzt sein Panzer und er häutet sich im Erinnern wie eine Zwiebel. Für ihn ist diese Familie ein Käfig. Der Vater hat sich vor Jahren aus dem Staub gemacht, nun soll er die Brötchen verdienen. Also arbeitet er unmotiviert in einer Lagerhalle, statt seinem Traum nachzugehen, Schriftsteller zu werden.
Florian Schmidtke, der bereits in „Clavigo“ überzeugte, gibt diesem Tom markante Züge. Sowohl im Schweigen als auch im leidenschaftlichen Ausbruch der Gefühle hält er die Zuschauer in Atem. Er rebelliert gegen die fordernde, ihm die Luft zuschnürende Mutter und wird im nächsten Moment butterweich, wenn sich die Schwester an ihn lehnt. Er hält freiwillig die Arme hin, wenn sie das Hemd über ihn zieht, eng wie eine Zwangsjacke. Laura ist den Härten des Lebens nicht gewachsen, flüchtet sich in die Zauberwelt ihrer Glasmenagerie. Das durch eine Behinderung in ihrem Selbstvertrauen geschwächte Geschöpf ist ebenso zart und zerbrechlich wie ihre Tierfiguren, in denen sich das Licht hundertfach bricht: in ihrem Regenbogen der Phantasie.
Diese Laura hat sich eingesponnen in ihrer häuslichen Welt, in der sie nicht dem Leistungsdruck der Gesellschaft Stand halten muss und sie findet im tranceartigen, wie aus der Zeit gefallenen Spiel von Franziska Melzer die beste Entsprechung. Doch es gibt für Laura auch in ihrer Familie kein stilles Untertauchen. Die Mutter macht dem Mädchen die Hölle heiß, will, dass sie einen Mann findet, um sich selbst und ihren Sohn aus der Verantwortung der Versorgerrolle herauszumanövrieren. Doch das ist der Schwachpunkt der Inszenierung.
Andrea Thelemann gelingt es nicht, wirkliche mütterliche Fürsorge zu zeigen. Ihr Spiel wirkt ausgestellt, streckenweise operettenhaft. Sie eilt körperlich und verbal ohne Innehalten auf ihr großes Ziel zu und verliert dabei den Atem. Das gibt der Inszenierung zwar eine gewisse unterhaltsame Leichtigkeit, um die Emotionen nicht übermäßig zu schüren. Aber das wirkliche Sorgen und Mitfühlen, wie es für eine alleinerziehende Mutter nur allzu verständlich ist, wenn es um die Zukunft ihrer Kinder geht, bleibt in einer großen, leeren Sprechblase zurück.
Es gibt indes auch schöne Momente, so wenn die Mutter herausgeputzt wie eine Diva endlich den ersten vermeintlichen Anwärter auf ihre Tochter begrüßt und bezirzt. Da flammt sie auf: die unerfüllte Sehnsucht nach dem eigenen Glück. Noch einmal will sie schön und begehrt sein. Obwohl sie die Tochter verkuppeln möchte, trägt sie selbst das goldene Gewand. Laura steckt indes wie eine Marionette im abgelegten Schwarz der Mutter.
Dennoch wird sie wachgeküsst von ihrem „Prinzen“, den der Bruder auf Druck der Mutter mit nach Hause bringt. Toms Arbeitskollege Jim, sportiv und geradlinig gespielt von Eddie Irle, sticht mit dem beim Rhetorikkurs antrainierten Selbstbewusstsein aus dem verquasten und verstrickten Gefühlsgewaber der Familie befreiend heraus. Ein wunderschön leiser Liebestanz dreht sich, betört die Sinne der entflammten Laura. Und erlischt mit einem Satz.
Auch im anrührenden Schlussbild ist es Tom, der aufhorchen lässt. Er löst sich von der Familie und hat sie dennoch weiter im Schlepptau. Das Licht geht aus, doch das Gefühl, die Schwester im Stich gelassen zu haben, brennt als Dauerkerze der Schuld weiter in ihm.
Ein wunderbarer Text, starke Schauspieler und eine spannungsreiche Inszenierung auf der gefährlich verrutschten Polsterlandschaft der Bühnenbildnerin Jessica Rockstroh machten die vielbeklatschte Premiere zu einem weitgehend überzeugenden Theaterabend.
Wieder zu sehen am 29. Oktober, 19.30 Uhr, Reithalle A.
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