
© Monika Heitmann
Kultur: Einladung zum Fliegen
Glücksfördernd, verständigungsstiftend, interdisziplinär: Der Klangkünstler Ulrich Miller stellt am Waschhaus seine neue Veranstaltungsreihe „Hunnewapp“ vor
Stand:
Ein See, dahinter ein Berg. Eigentlich eher ein Hügel. Ulrich Miller sagt: ein Haufen. Der Klangkünstler sitzt im ersten Stock des Waschhauses, wo er die neue Veranstaltungsreihe vorstellt, die er hier kuratieren wird. Vor ihm auf dem Tisch der Ausdruck einer fotografierten Landschaft. Ein Stillleben: Das Wasser trübt kein Windchen, der Himmel ist unaufgeregt und grau. Eine karge, eine brandenburgische Landschaft. Im Vordergrund ein Holzkarren. Miller hat sich das Foto ausgesucht, um es den „Liner Notes“ für die neue Reihe im Waschhaus voranzustellen. Liner Notes, das sind die Texte auf Plattencovern. „Hunnewapp“ hat Miller seine Reihe genannt. Und Hunnewapp, das heißt Maulwurf. Auf Plattdeutsch.
Wäre die Essenz der neuen Reihe im Waschhaus also: Stille? Wohl eher das Gegenteil. In „Hunnewapp“ geht es um Musik. Und um Dialog. Ab Ende April soll im Kesselhaus regelmäßig medienübergreifend improvisiert werden, und zwar immer am vierten Mittwoch des Monats. „Gärtner und Geheimdienste wären froh, wenn Maulwürfe auch sonst so planbar wären“, heißt es dazu selbstironisch im Programm. Ironisch, denn: Zeitpunkt und Besetzung sind in der Improvisation bekanntlich das einzig Planbare. Der Rest ist vor allem Zuhören, Reagieren. „Das Zuhören ist das Wichtigste überhaupt an der Improvisation. Ohne geht nichts“, sagt Ulrich Miller. So ist vermutlich auch die Stille auf dem beschriebenen Foto zu verstehen: als Einladung zum Hinhören, Hinschauen, Drauf-Einlassen. Als Anfang. Wenn Improvisation funktioniert, sagt Miller auch, dann ist das wie Fliegen.
Anders als beim Impro-Theater, das mit den Gorillas ebenfalls im Waschhaus vertreten ist, wird bei „Hunnewapp“ nicht aus Stichworten des Publikums eine Bühnenshow gebaut. Die Atmosphäre soll zugleich intimer und entspannter als beim Impro-Theater sein. Keine Bühne. Man sitzt um die Künstler herum, nicht ihnen frontal gegenüber. Und den Dialog mit dem Publikum soll es zwar geben, aber nicht in Form von Zwischenrufen. Wenn die neue Reihe auffordert: „Trau dich, mit uns zu hunnewappen“ – dann ist vor allem eine innere Haltung gemeint. Lust auf Neues. Offenheit. Gedanklicher Austausch. Das Publikum kann sich beteiligen, muss aber nicht. Kann auch einfach zuhören, in sich rein hören. „Sein eigener Maulwurf sein“, nennt Ulrich Miller das. „Ich habe mal gelesen, dass Maulwürfe sich durch die Erde graben, weil sie sonst nichts zu futtern finden.“ Das hat ihm gefallen. Für ihn, den Maulwurf Ulrich Miller, was ist das Futter? „Begegnungen. Mit mir selber, auch im Sinne von Grenzen überwinden. Und mit anderen Leuten.“
Die Sache mit dem Grenzenüberwinden ist bei Ulrich Miller keine Phrase. Der Mann hat selbst mehr als eine überschritten. 1967 geboren in München, wuchs er im bayerischen Marien-Wallfahrtsort Altötting auf, wo unliebsame Kritik gerne mit der Replik „Geh doch rüber“ vom Tisch gewischt wurde – „womit nicht das nahe Österreich gemeint war“. Nach dem Abitur geht – flüchtet? – er für ein Jahr nach Irland, beginnt danach ein Biologiestudium. Bricht ab. Spielt Schlagzeug, was in seiner WG „fast durchgehend Tag und Nacht möglich war“. Schreibt. Macht Radio. Jobbt in einer psychiatrischen Anstalt. Anfang der 90er geht er nach Leipzig, zum Film. Dreht den Dokumentarfilm „Auf halbem Weg zum Himmel“, über ein Massaker in Guatemala. Die Mutter erkrankt, er geht zurück nach Bayern. Dann wieder gen Norden, nach Angermünde. Vor vier Jahren dann Potsdam, wo er heute anderen beibringt, was er gut kann: improvisieren. Die Eröffnungsveranstaltung von „Hunnewapp“ am 27. April hat Ulrich Miller „Elektro-Akustische Begegnungen“ übertitelt. Und begegnen sollen sich hier verschiedene Musikstile, die sonst selten zusammenkommen: Folk, Free Jazz, Industrial, Neue Musik und Pop. Acht Musiker, fünf musikalische Genres. Die Künstler alle wie Miller selbst Grenzüberschreiter. Der Finne Harri Sjöström hat unter anderem bei John Cage gelernt, er macht zeitgenössische Musik, aber auch Film, Theater, Fotos. Der Brite Lawrence Casserley war lange Professor für Elektroakustische Musik in London, war im Team, als die Komponistenlegende Karlheinz Stockhausen seine Arbeit erstmals in England vorstellte. Der US-Amerikaner Jeffrey Morgan ist Multimediakünstler, spielt Klavier und Saxophon. Aus Deutschland sind die Violinistinnen Cordula Heth und Grit Blaßkiewitz dabei. Und, als bekannteste der Runde, der Sampler und Produzent DJ Illvibe und Chris Hinze, der 1982 die Gruppe Sandow mitgründete. Das Instrument, mit dem Hinze am 27. April dabei sein wird: selbst gebaut.
Bleibt die Frage: Woher der plattdeutsche Name, von einem Bayer in Brandenburg? Ach, ganz einfach, sagt Ulrich Miller. „Indem man nach Potsdam der Liebe wegen zieht und die Liebste aus Niedersachsen kommt, wo Plattdeutsch gesprochen wird.“ Wenn Millers Idee aufgeht, dann könnte das dazu führen, dass eine äußerst schöne, glücksfördernde und verständnisstiftende Aktivität auch in Potsdam bald einen neuen Namen hat: Bislang muss sie etwas umständlich als „Ich lasse mich auf Neues ein, ohne genau zu wissen, was dabei herauskommt“ umschrieben werden. Demnächst könnte es einfach heißen: Hunnewappen.
Die erste Hunnewapp-Begegnung der elektroakustischen Art findet am Mittwoch, 27. April, 21 Uhr, im Waschhaus statt.
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