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Kultur: Eintauchen, und ein Anderer werden

Der Fotograf Götz Lemberg hat ein Panorama der Havel geschaffen – zu sehen an sechs Orten im Land

Stand:

„There’s a crack“, heißt es bei Leonard Cohen, „a crack in everything, that’s how the light gets in“. Erst durch den Riss, das Kaputte, dringt das Licht der Erkenntnis ins Hirn. Bei Götz Lemberg sind es keine Risse, sondern Schnitte und die Erkenntnis ist erst einmal eine räumliche: Die ganze Länge der Havel auf einem Panorama. 12,5 Meter lang. Viel Landschaft, komprimiert auf ihre Essenz. Aber es gibt noch mehr Bilder: H–V–L Cuts heißt seine Foto-Arbeit, die seit Mittwochabend, als die Ausstellung offiziell im Kunstgeschoss in Werder (Havel) eröffnet wurde, an sechs Standorten zu sehen ist. Auch im Kunsthaus Potsdam übrigens.

Die Ausstellung auf verschiedene Stationen aufzuteilen, ist auf vielen Ebenen sinnvoll. Mit der Havel, dem Fluss, verbindet fast jeder hier in der Region etwas, nun soll auch jeder an Götz Lembergs Blick teilhaben können. Und der ist erst einmal nicht so weit entfernt vom normalen Seher. Bis man länger auf seine Foto-Reihen guckt. Jeden Kilometer hat Lemberg auf seiner Reise entlang der Unteren Havel angehalten und geschnitten. Den ruhigen, so melancholischen Fluss durchtrennt. Drei Bilder an jedem Stopp: Wasser, Himmel, Horizont.

Später hat er sie neu zusammengebaut, die Horizonte angeglichen. So entsteht ein neuer Fluss, einer, der in seiner ganzen unaufgeregten Schönheit so erst als einer zu erkennen ist. Und einer, der irritiert. Da springen Badende von einem Boot – aber ihr Kopf verschwindet im Schnitt, im Nirgendwo. Die Brücke über dem Seitenarm endet im Nichts. Denn dort, wo der Fluss so unmerklich und gleich aussehend weiterfließt, ist er schon wieder ein anderer. So ist es ja nicht selten im Leben: Man stürzt sich in etwas, dann macht jemand einen Schnitt – und schon findet man sich an völlig anderer Stelle wieder. Und man stellt fest: Auch das stillste Wasser kräuselt sich hier ganz anders als dort und derselbe blaue Himmel ist es eben doch nicht, der sich über allem spannt. Das kann trennen – es kann aber vor allem auch verbinden. Drei Schnitte, drei Lastkähne – bei Götz Lemberg werden sie zu einem, und Hans Otto Theater, Mercure und Landtagsschloss rücken ganz dicht zusammen. Ob das auch in den Köpfen funktioniert?

Götz Lemberg arbeitet mit Täuschung, aber einer, die sofort sichtbar ist. Und dennoch die Sinne schärft für andere Verkürzungen, Versimpelungen, Verdichtungen, die den Lauf der Dinge verfremden.

Die Idee des Panoramas, entstanden als künstlerisches Mittel im 18. Jahrhundert, der Versuch der perfekten optischen Illusion, ist eigentlich ein Vorläufer des Kinos, sagt Christiane Stahl, Leiterin der Alfred Ehrhardt Stiftung Berlin, bei der Eröffnung. Und das Kino kann ja auch beides sein. Illusion und Flucht aus dem Alltag, aber auch Ort tiefer Erkenntnis. Angetrieben allein vom Licht. Ariane Lemme

H–V–L Cuts, bis 4. September im Kunsthaus Potsdam, Schloss Caputh, Kirche Petzow, Havel-Land-Art-Galerie Töplitz, St. Marien-Andreas-Kirche in Rathenow und im Kunstgeschoss in Werder (Havel)

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