Kultur: Eisgefrorene
Ann-Kristin Reyels „Jagdhunde“ beim Aktuellen Potsdamer Filmgespräch / Kinostart am 18. Oktober
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Marie spricht mit den Händen und sagt mehr, als Worte es mitunter tun. Während die Erwachsenen um sie herum das Miteinanderreden offensichtlich verlernt haben, weiß sie sehr genau, auszudrücken, was sie bewegt und was sie will. Und vor allem will sie jetzt mit Lars zusammen sein: dem Neuen in ihrem Dorf, der mit seinem Vater ein altes Bauernhaus ausbaut.
Marie ist in Ann-Kristin Reyels Film „Jagdhunde“ die eindringlichste Figur. Das liegt vor allem an der darstellerischen Kraft von Luise Berndt, die die Gebärdensprache so glaubwürdig in Szene setzt, als gehöre sie wirklich zu ihr. Die Augen funkeln, das ganze Gesicht ist ein offenes Buch, in das man hinein gezogen wird. Hier wird nichts geheim gehalten oder Unangenehmes vertuscht. Ihre Marie zeigt, was sie fühlt: impulsiv, direkt und vor allem zärtlich.
Am Dienstagabend sitzt die junge, dunkelhaarige Frau fast unscheinbar im Filmmuseum, um beim Aktuellen Potsdamer Filmgespräch mit Ann-Kristin Reyels über deren Abschlussarbeit an der HFF zu berichten. Beide kennen sich aus dem Studium, und nach einem gemeinsamen Improvisationsseminar stand für Ann-Kristin Reyels fest: „Luise ist meine Marie“. Den richtigen Lars zu finden, sei da schwieriger gewesen. Es gab ein langes Casting, bis endlich Constantin von Jascheroff vorsprach und der gehörlosen Marie die richtige Ungezwungenheit entgegenbrachte. „Diese Natürlichkeit war wichtig, denn ,Jagdhunde“ sollte ja kein Film über Gehörlosigkeit werden“, so die Regisseurin.
Stattdessen geht es um Sprachlosigkeit: um zu Eis erstarrte Beziehungen. Der ab 18. Oktober in die Kinos kommende Film nimmt den Zuschauer mit in die verschneiten Weiten der Uckermark. Er sieht störrische Menschen, die die Neuen aus Berlin keines Blickes würdigen, viel Schnaps trinken, in Kittelschürzen Pingpong spielen und Weihnachten in Kitsch versinken. Zum Glück bleibt der Film nicht in diesen Klischees haften. Sven Lehmann gibt den Vater von Marie sehr authentisch, als den vor Jahren von seiner Frau sitzengelassenen, alleinerziehenden Vater: bodenständig, manchmal unbeholfen und vor allem klammernd. Denn die Tochter ist für ihn fast zum Ersatz für die Frau geworden.
Auch der Vater von Lars (mit Josef Hader ebenfalls bestens besetzt) wurde von seiner Frau verlassen. Er rettet sich vor dem Alleinsein überstürzt in eine neue Beziehung: mit der Schwester seiner Frau. Lars fühlt sich hintergangen und unerwünscht. Die unbeholfenen Gespräche zwischen Vater und Sohn münden in Frustration. Am Ende schneit auch noch die Mutter von Lars in das unfertige Bauernhaus hinein: auch sie mit Liebhaber, der allerdings fast zur Karikatur abgestempelt wird. Das Weihnachtsfest verkommt zur Farce. „Jeder für sich ist liebenswürdig und verzweifelt, doch wenn alle zusammen treffen, sinken sie nur noch weiter nach unten“, beschreibt die Regisseurin ihre Sicht auf die Figuren.
Das Ende bleibt offen und hinterlässt, wie in dem anregendem Filmgespräch zu hören ist, bei manchem Ratlosigkeit. Ist Lars wirklich ertrunken? „Das Eisgefrorene kommt in Bewegung.“ Allein das sei ihr wichtig gewesen, so Ann-Kristin Reyels. Manches an diesem mitunter zu rasant geschnittenen Abschlussfilm wirkt noch etwas akademisch und bedeutungsschwanger. Doch die Regisseurin fand über weite Strecken mit ihrer überzeugenden Schauspielercrew den richtigen Ton, auch durch ihren Sinn für Humor. Ein herrliches Bild, wie Lars mit seinem verletzten Hund auf der weißen Couchdecke sitzt und wie aus einem Gemälde neugierig auf diese verrückte Welt schaut. Oder wenn die beiden jungen Leute ein ausrangiertes, im Wald abgestelltes Flugzeug zum Kino umfunktionieren und vorbeilaufende Wildschweine ihre „Leinwand“ füllen“.
„Ich wollte unbedingt einen Film im Schnee machen, und ich finde auch Familien total spannend“, sagte die HFF-Absolventin über ihren gemeinsam mit Autor Marek Helsner verfolgten Drehbuch-Ansatz. Die erste Fassung sei etwas experimenteller und gewagter gewesen. „Später sind wir mehr auf die Figuren eingegangen, haben gemerkt, dass man nicht alles mit Blicken erzählen kann.“ Doch vieles durchaus: Das Verharren auf den angespannten Gesichtern, die spärlichen Dialoge und sparsamen Musikeinsprengsel lassen auch den Zuschauer frösteln. Vor dieser Verkrampfung kann man nur wegrennen, so wie Lars es immer wieder tut.
Marie läuft nicht weg, als der Vater ihr die Verbindung mit Lars untersagen will. In ihrer Rage spricht sie sogar: abgehackt, in den ihr möglichen Wortfetzen. „Ich wollte einen starken Gefühlsausbruch haben, wusste aber nicht, wie man ihn am besten in Szene setzt. Ich hatte richtig Panik vor dem Drehtag“, erinnert sich Ann-Kristin. Doch alles passte. Genau so, wie Luise Berndt es spielte. Zu Recht erhielt sie für diese Rolle den First Step Award, den deutschen Nachwuchsfilmpreis.
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