Kultur: Energiegeladenes Afrika
Das 8. Afrika-Festival „Africome“ auf dem Gelände der Schiffbauergasse
Stand:
Statt Worte gibt es Trancemusik. Da sich weder die Kulturbeigeordnete noch ein anderer Vertreter der Stadt sehen lassen, um die angekündigte Eröffnungsrede zu halten, verspüren auch die Offiziellen aus Kamerun und Marokko wenig Lust, etwas zu sagen. Eine kleine herzliche Willkommensgeste der Stadt haben die Gäste sicher erwartet. Nun aber greifen sie stattdessen gleich zu ihrem geliebten süßen Pfefferminztee und sammeln Energie für einen langen, kulturprallen Abend.
Der beginnt im prachtvoll mit Teppichen und fläzigen Lümmelecken ausstaffierten Königszelt. Dort musiziert Gnawa Halwa, eine Bruderschaft, die vor allem aus „Schwestern“ besteht, denn Frauen haben in ihr das Sagen. Ein türkis-gewandeter Marokkaner tanzt sich zu den Gesängen und Rhythmen seiner Begleiter langsam in Rage. Anders als zu Hause, wo nachts während des rituellen Musizierens Heilige angerufen und Lämmer geopfert werden, um Kranke zu heilen, geht es in Potsdam ohne Blut und Ekstase ab. Dennoch wird einem schon beim Zuschauen schwindlig, wenn sich der Tänzer wie ein Derwisch dreht und das Bändchen an seiner roten Kappe wie ein Propeller kreist. Das von allen Seiten des Marktes ertönende Trommeln versetzt den Besucher zusätzlich in Afrika-Feeling, auch wenn wahrscheinlich die wenigsten wissen, wo Marokko und Kamerun, die Schwerpunktländer des Festivals, genau liegen.
Um so besser, wenn man dann durch die malerischen Fotografien von Bruno Barbey förmlich hineingesogen wird in den fremden Kontinent mit seinen satten Farben und den harten Schattenwürfen. Die Fotos spiegeln den Alltag und wirken doch entrückt: Man sieht Wasserpfeife rauchende Männer in reich verzierten Hauseingängen, spielende Kinder in verwinkelten Straßen, vorbei huschende verschleierte Frauen, bettelnde Menschen. Und es gibt auch ein Aha-Erlebnis, wenn man Gnawa Halwa nunmehr in den Straßen von Marrakesch wieder begegnet. Eindrucksvoll ein Foto, das eine dichtgedrängte Menschenmenge mit weißen Gewändern zeigt, die im ersten Moment an den Ku Klux Klan erinnert. Doch es sind Berber, die neben den Arabern die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen. Barbey zeigt im Kunstraum – in dem zur Eröffnung leider noch Informationen zu den Künstlern fehlen – eine Auswahl seiner Marokko-Bilder aus 30 Jahren. Er bereiste die Welt, doch die Sehnsucht nach der Kultur und Mentalität seiner Heimat, nach den Düften der Märkte, hat ihn nicht verlassen. Und so kehrte er zurück.
Seine Fotos voller Licht und Farbe stehen im starken Kontrast zu den Blei-„Bildern“ Dounia Oualits. Sie nehmen sich in ihrer reduzierten Form und dem graublau-kühlen Farbton geradezu zurückhaltend aus. Und doch sind es Anregungen aus ihrer Kindheit in Marokko, die die heute in Berlin lebende Künstlerin darin verwoben hat. „Ich erinnere mich oft an die Quelle im Innenhof meiner Großmutter, die auf mich sehr stark beruhigend wirkte.“ Eigentlich wollte sie in die Ausstellung eine Installation mit richtig sprudelndem Wasser einbinden, was sich aber in dem Raum nicht realisieren ließ. Schade, es hätte den Arbeiten sicher zu mehr Sinnlichkeit verholfen, ihre Íntention verständlicher gemacht. Dennoch ist es interessant, wie Dounia Oualit das Metall zu erweichen versteht und es in Schwingung versetzt – fernab aller folkloristischen Anklänge, wie sie in den dekorativen Arbeiten von Abessinia in der oberen Etage zu sehen sind.
Ortswechsel: Geradezu ein Ausbund an Temperament, Expressivität und Humor ist der Tänzer Merlin Nyakam in der fabrik, der mit seiner Compagnie La Calebasse in dem Stück „Liberté d“Expression“ alle Vorurteile und Klischees wegtanzt und zugleich mit ihnen spielt. Er kreiert völlig neue Bilder, unabgenutzt, mit viel Raum für Fantasie und doch klaren Botschaften. Man sieht, wie die Tänzer in den eigenen Spiegel schauen und verzückt von ihrem Antlitz sind. Der Blick in fremde Spiegel zeigt hingegen ein verzerrtes Bild, in dem man sich nicht wiederfindet. Dann treffen sich fünf Tänzer auf einer Bank: als Jude, Moslem, Christ, Buddhist und Rapper, sich gegenseitig ihre Herzen schenkend. Burlesk auch der Tanz mit der Wasserflasche auf dem Kopf, zu dem Barockmusik erklingt. Mit Selbstironie geben sie sich als Buschmenschen, springen wie auf heißen Kohlen, verzaubern mit ihren athletischen und zugleich weichen, schwarzen Körpern, zu denen sich die weiße Gestalt einer europäischen Tänzerin wie ein kalkiger Fremdkörper ausnimmt. Doch Tanz verbindet.
Eine vielbeklatschte Aufführung, die in ihrer Kraft und Leichtigkeit gut den Boden für das Konzert mit Sally Nyolo bereitet. Ihre Bikutski-Musik, eine Mixtur aus Tanzbeat und Trance-Rhythmus, hat in ihrer Gleichförmigkeit etwas Meditatives. Im Nu schmilzt die Distanz zwischen der Sängerin mit ihrem eindringlichen, soulartigen Gesang und dem Publikum. Viele wiegen sich gleich ihr in den Hüften. Die in Paris lebende Kamerunerin hat ihre Mitte gefunden – eine multikulturelle. Heidi Jäger
Wenn Idriss Al-Jay seine marokkanischen Märchen erzählt, hängen die kleinen und großen Zuhörer gespannt an seinen Lippen. Geschichten und Geschichte Marokkos werden in seinen Erzählungen zu lebendigen Fabeln über Zauberer, wilde Löwen und abenteuerlustige Königssöhne. Als eine Zuschauerin sich über die Lautstärke von den anderen Ständen beschwert, lacht Al-Jay nur: „So geht es nun mal zu auf den Basars in Marrakesch.“ Der bunte Basar befindet sich aber nicht in Nordafrika, sondern im Schirrhof der Schiffbauergasse.
Trotz der sommerlichen Sahara-Sonne und des abwechslungsreichen Programms bleibt der große Ansturm der Besucher auch am Samstag aus. „Der Kontinent Afrika ist in den Köpfen vieler Menschen immer noch zu negativ belastet“, versucht Volker Mett, der Initiator des Festivals, zu erklären. Das mache die Organisation eines afrikanischen Festivals jedes Jahr aufs Neue zu einer Herausforderung. „Aber wir wollen das Image Afrikas drehen!“, so Mett.
In diesem Jahr geschieht dies nicht nur durch ein exzellentes Kulturangebot, sondern auch durch eine Ausweitung der politischen und sozialen Inhalte. Ein Novum ist das Symposium „Modernes Afrika", in dem hochkarätige Referenten einer einseitigen Darstellung Afrikas entgegenwirken. Es wird über das Frauenrecht in Marokko diskutiert, über die Rolle des Islams in Afrika und das Bild des Kontinents in den Medien. Dokumentarfilme runden die Diskussionen visuell ab und sind mehr als nur eine touristische Bilderschau. Dieses runderneuerte Konzept findet auch von offizieller Seite Beachtung: Vertreter aus der kamerunischen Wirtschaft diskutieren mit und sogar der marokkanische Botschafter besucht das Festival.
Volker Mett zeigte sich sehr zufrieden über die Zusammenarbeit mit Kulturträgern und verschiedenen Initiativen. „Das hat alles super geklappt.“ Besonders die Arbeit von „AfricAvenir“ sei sehr bereichernd. Der Berliner Verein hat sich maßgeblich an der Organisation des Symposiums beteiligt und auch eine Lesung des kamerunischen Prinzen und Schriftstellers Kum''a Ndumbe III. organisiert. Die musikalischen Gäste präsentieren ein Spiegelbild der ungeheuren und zumeist noch unentdeckten Energie Afrikas. Mit Houssaine Kili wurde neben Sally Nyolo ein weiterer Grenzgänger zwischen den musikalischen Welten Afrikas und Europas nach Potsdam geholt. Der Marokkaner ist ein Avantgardist auf diesem Gebiet und zählt heute zu den schillernden Persönlichkeiten der World-Jazz-Szene.
Das Afrika-Festival hat sich zu einer festen Institution gemausert, die auch die politische Debatte nicht mehr scheut. Das bleibt hoffentlich auch im nächsten Jahr so, wenn Senegal und Äthiopien im Mittelpunkt des Festivals stehen – dann hoffentlich mit genauso viel Sonne und mehr Besuchern.
Christoph Henkel
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